Je weiter das nationale Projekt der begonnenen Stromwende, die von selbsternannten progressiven Kräften der Gesellschaft heftig als „Energiewende“ gepriesen wird, voranschreitet, desto öfter flattert eine Rechnung ins Bundesfinanzministerium. Nun ist eingetreten, was ich im Beitrag zum Thema Reststrommenge im März dieses Jahres beschrieb. In Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Dezember 2016 hat nunmehr das Kabinett beschlossen, den Steuersäckel zu öffnen und den ewig gestrigen Atomkonzernen RWE und Vattenfall Geld zu geben. Wir erinnern uns: Der Schröder-Trittin’sche Atomkompromiss von 2002 legte Reststrommengen fest, nach deren Erzeugung die deutschen Kernkraftwerke hätten stillgelegt werden müssen. Mit der schwarz-gelben 11. AtG-Novelle 2009 wurden die Laufzeiten durch erhöhte Reststrommengen verlängert, bevor die Fukushima-Katastrophe zur 13. AtG-Novelle mit der 180-Grad-Kehrtwende in der Atompolitik führte. Zurückgenommen wurden damit die erhöhten Reststrommengen aus der Novelle 2009, nicht jedoch die von 2002. Dafür wurden feste Abschalttermine beschlossen. Diese verhindern, dass die zugestandenen Strommengen noch erzeugt werden können.
Insoweit konnten die Betreiber eine Verletzung des grundgesetzlich garantierten Rechts auf Eigentum geltend machen und Entschädigung beanspruchen. Nach Spruch des Bundesverfassungsgerichts ist die Eigentumsbeeinträchtigung der Betreiber quantitativ erheblich und wiegt wegen des rechtlichen Hintergrundes der 2002 zugesprochenen Reststrommengen schwer. Das Gericht spricht von „Verstrombarkeitsdefiziten“, auch von „frustrierten Investitionen“, ein Begriff, den jetzt auch Dieselfahrer benutzen können, wohl ohne Aussicht auf Entschädigung.
Wie bei der Brennelementesteuer (die komplett und verzinst zurückgezahlt werden musste), treffen wir auch hier auf regierungsamtlichen Pfusch, schlampige Gesetzgebungsarbeit mit teuren Folgen. Ich äußere nochmals meine Verwunderung über in Kompaniestärke in unserem Parlament vertretene Juristen, die solcherart Rechtsfolgen nicht schon bei der Beratung der Gesetze erkennen. Und wozu gibt es gleich nochmal den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages?
Um welche Summe es sich nun handeln wird, ist noch nicht klar. Erst 2023, wenn die letzten Regelstäbe in einem deutschen Kernkraftwerk gefallen sein werden, kann kalkuliert werden, was der nicht produzierte Strom für einen Preis gehabt hätte.
Wie beim Phantomstrom, der im Überlastungsfall von Teilen des Netzes und abgeschalteten Windkraftanlagen kraft Gesetz bezahlt werden muss, wird auch hier der Bürger für doppelte Nichtleistung zur Kasse gebeten. Zum einen für nicht produzierten Strom, zum anderen für die politische Fehlleistung unserer Laienspielgruppe in der Regierung. Dabei ist es völlig unerheblich, dass einmal der Stromkunde, im anderen Fall der Steuerzahler herhalten muss. Jeder Steuerzahler ist auch Stromkunde.
RWE und Vattenfall werden die Entscheidung mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, EnBW hatte nicht geklagt. Für sie funktionierte in diesem Fall die Judikative zu ihren Gunsten. Vattenfall hat mit dem Verfahren vor dem internationalen Schiedsgericht der Weltbank (ICSID) noch ein zweites Eisen im Feuer und es ist kaum zu vermuten, dass Deutschland kostenlos aus der enteignungsähnlichen Stilllegungsverfügung der schwedischen Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel herauskommt. Dieses Schiedsgericht war geschaffen worden, um ausländische Investitionen in Drittweltländern zu schützen. Deutschland steht jetzt in einer Reihe mit Bananenrepubliken.
Das Bundeskabinett geht beim jüngsten Beschluss von einem „niedrigen einstelligen Milliardenbetrag“ aus. Da sind wir aber froh. Angesichts von Energiewendekosten im Bereich von hunderten Milliarden Euro, bis 2030 vermutlich über einer Billion, fallen diese Peanuts wirklich kaum ins Gewicht.
Eine Übersicht über die Energiewendekosten gibt es ohnehin nicht, wie die Regierung zugab und was der Bundesrechnungshof bemängelte. Dies ist aber nachvollziehbar, denn neben den direkt zuordenbaren Positionen wie der Höhe der EEG-Umlage und direkter Subventionen in bestimmte Vorhaben, Redispatch und Phantomstrom gibt es keine belastbare Übersicht über die indirekten Kosten wie den Netzausbau (was hätte auch ohne Wende getan werden müssen?) und die Verluste zum Beispiel der Kommunen, die sie durch den verfallenen Großhandelsstrompreis mit ihren Stadtwerken einfahren. Indirekte Auswirkungen durch ausgebliebene Investitionsentscheidungen auf Grund hoher Strompreise lassen sich nicht beziffern, sind aber unzweifelhaft vorhanden.
So ist die Lage bei einem weltweit einzigartigen „Experiment“ (Prof. Fratzscher, DIW), in einem „Freiluftlaboratorium auf dem Energiesektor“ (Christoph Frei, Generalsekretär des Weltenergierates).
Wir schaffen das.