Es liegt an der Neigung der Erdachse auf der Umlaufbahn um die Sonne, dass wir hierzulande verschiedene Jahreszeiten mit sehr verschiedenem Wetter haben. Das ist ungünstig, wenn man die Solarenergie zum Rückgrat der Energieversorgung machen will. Denn justament in der kältesten Zeit des Jahres ist der Energieverbrauch am höchsten und die Energiezufuhr durch solare Wärme am geringsten. Gleichwohl gibt es in Deutschland maßgebende Kräfte, die der Welt beweisen wollen, dass Wind- und Solarenergie ein Industrieland versorgen können.
Wie das in die Hose gehen kann, zeigten die beiden ersten Novemberwochen. Wenig Wind und kaum Sonne ließen das Stromangebot sinken und die Preise steigen. Da der Strommangel im Netz zwar in grünen Stuhlkreisen besprochen, aber nicht geändert werden kann, waren andere Stromerzeuger im In- und Ausland umfangreich gefordert. Selbst in Frankreich ging am Standort Saint-Avold wieder ein Kohlekraftwerk in Betrieb. Gut, dass es noch nicht stillgelegt worden war.
Die Bezeichnung der Windkraft als dem „Arbeitspferd“ der Energiewende wurde einmal mehr als Märchen entlarvt. Ein Arbeitspferd reagiert auf Kommandos, die Windenergie hängt von den Launen der Natur ab. Klar, dass der Import die Preise trieb. Robert Habeck, der zuständige Minister und zugleich Kanzlerkandidat der Grünen, legte seine ganz eigene Sicht dar: Wenn mehr „Erneuerbare“ einspeisten, würde der Strom wieder billiger, also müsse man mehr davon bauen. Allerdings nutzt der Ausbau bei null Wind nichts.
Nicht nur die Strompreise stiegen, auch die spezifischen CO2-Emissionen pro erzeugter Kilowattstunde. Mit zeitweise mehr als 500 fiel Deutschland im Ranking der europäischen Staaten ans untere Ende. Die Dunkelflaute und ihre Folgen wurden in den sozialen Medien viel diskutiert, es überwogen Bedenken und Entrüstung über die eingetretene Entwicklung. Das Fähnlein der Aufrechten der Energiewende hielt mit den bekannten Beschwichtigungen dagegen. Das Ausland helfe uns, das sei halt im europäischen Markt ganz normal.
Kenner widersprechen: Das ist nicht normal. In der Tat: Das europäische Netz ist in über einhundert Jahren gebaut und ausgebaut worden, um vor allem Sicherheit zu geben und einander in Störungsfällen zu helfen. Natürlich läuft darüber auch der Handel, aber es entspricht nicht dem Geist europäischer Zusammenarbeit, das eigene Energiesystem so weit zu schrumpfen, dass eine sichere Eigenversorgung nicht mehr möglich ist und man abhängig von Importen wird.
Auch ist dieses gewachsene europäische Netz nicht dafür geeignet, grüne Zukunftsträume zu realisieren. Die Lieferung von Sonnenstrom im Sommer aus dem Süden nach Skandinavien und Windstrom von dort im Winter retour bleibt Theorie. Der eine oder andere mag sich noch an den Physikunterricht erinnern: Stichwort Ohmscher Widerstand – als Übertragungsverlust muss mit etwa ein Prozent der eingespeisten Leistung pro 100 Kilometer Leitungs- länge gerechnet werden. Da hat es zwar Fortschritte gegeben, aber große Mengen über große Entfernungen zu liefern ist genauso unmöglich, wie Strom bei Dunkelflaute mit großen Überkapazitäten von Wind- und Photovoltaik-(PV-) Anlagen überhaupt zu liefern.
Sogar Ölkraftwerke reaktiviert
Einige argwöhnten, Deutschland hätte eigentlich noch genug Reserven gehabt, die nur aus Preisgründen nicht gehoben worden wären. Das ist barer Unfug, denn sicher ist, dass bei Preisen von bis zu 820 Euro pro Megawattstunde in Deutschland alle betriebsfähigen Kraftwerke auch in Betrieb waren. Bis zu 700 Megawatt kamen sogar aus alten Ölkraftwerken (!) mit schlechten Wirkungsgraden und hohen Emissionen.
Damit wird auch eine weitere grüne Hoffnung zerstört: Der Kohleausstieg kommt bis 2030 eben nicht von ganz allein. Zwar werden die CO2-Zertifikatepreise weiter steigen, aber die alten Anlagen werden dadurch nicht unwirtschaftlich und aus dem Markt gedrängt, weil die Strompreise – mindestens – mit den Zertifikatepreisen steigen. Entscheidend für die Kalkulation ist nämlich der sogenannte „Clean Spread“ – die Differenz von Strompreis minus Gestehungskosten inklusive CO2-Zertifikatekosten. Bleibt dieser Wert positiv, bringt der Weiterbetrieb Gewinn. Seit Anfang 2023 ist der CO2-Preis von etwa 100 auf heute 65 Euro pro Tonne gesunken. Zurzeit machen die Fossilstromer also gute Geschäfte.
Ein weiterer Vorwurf lautet, die Regierung hätte den Netzausbau verschlafen. Auch das ist Unfug: Wenn Strom nicht da ist, muss er auch nicht transportiert werden. Ach ja, und es fehlten die Speicher, heißt es, die man längst hätte bauen müssen. Welche Kapazität hätten wir gebraucht? Legen wir für die Überschlagsrechnung einen durchschnittlichen Import von neun Gigawatt im Zeitraum vom 1. bis 10. November zugrunde, dann hätten zur Eigenversorgung insgesamt 2160 Gigawattstunden gefehlt. Das wäre die 27-fache Kapazität, die Deutschland heute an Batterie- und Pumpspeicherkapazität hat. Mit jedem weiteren abgeschalteten konventionellen Kraftwerk erhöht sich die nötige Kapazität.
Dennoch wird jede neue Batterie, die ans Netz geht, wie ein Wunder gefeiert. Bei Arzberg im Fichtelgebirge ging ein „Riesen-Batteriespeicher“ mit 200 Megawattstunden Kapazität in Betrieb. Das ist sinnvoll für die schnelle Netzregelung, wo es sich auch rechnet. Aber es ist nicht zielführend für die Überbrückung von Dunkelflauten. Das Kernkraftwerk Isar 2 hätte – vor seiner Abschaltung – diesen Speicher in theoretisch acht Minuten vollgeladen, nach einer Stunde Dunkelflaute wäre er wieder leer gewesen. So ein Speicher nutzt wenig, kostet aber 110 Millionen Euro.
Wer solchermaßen rechnet, dem wird das Zauberwort „Wasserstoff“ entgegengeschleudert. Wann wie viel Wasserstoff zu welchem Preis zur Verfügung stehen wird, steht aber immer noch in den Sternen. Gleichwohl ist es nun das einzige Pferd, auf das die Rest-Ampel setzen will. Die meisten Ideen der Wasserstoffgewinnung und –verarbeitung haben das Stadium einer Powerpoint- Präsentation indes nicht verlassen.
Die Wasserstoffwechselstörung
Selbst die NGO Agora Industrie geht davon aus, dass die Kosten für grünen Wasserstoff im Jahr 2030 zwei- bis drei- mal höher liegen werden als angenommen und damit das Siebenfache des Erdgaspreises erreichen. Der Strompreis müsste auf vier Cent pro Kilowatt- stunde sinken, um annähernde Wirtschaftlichkeit zu erreichen – Utopie.
Der H2-Preis ist für die Abnehmer derzeit weitab jeglicher Wirtschaftlichkeit. Der Import von grünem Wasserstoff soll es richten, aber der norwegische Konzern Equinor hat ein Pipelineprojekt nach NRW gestoppt, die Dänen ein solches auf mindestens 2031 verschoben. Sie wollen eine Preisgarantie.
Das beeindruckt die noch amtierende Regierung nicht. Sie leidet offenbar an einer Wasserstoffwechselstörung und wirft weiter Geld in das Fass ohne Boden. Der Wirtschaftsminister geht nach eigenem Bekunden voll ins Risiko – „vielleicht gelingt es ja auch“. Und wenn nicht? Es gibt keinen Plan B, nur eine Idee, die an Maos „Großen Sprung nach vorn“ von 1959 erinnert. Damals wurden Großbetriebe wie Stahlwerke geschlossen, um in kleinen dörflichen Hochöfen zu produzieren. Wir schließen große verbrauchernahe Kraftwerke, um aus kleinen über das Land verteilten Zufallsstromerzeugern Strom zu gewinnen.
Wohin geht nun der Trend der deutschen Stromerzeugungstechnologien? Für Zyniker ist das klar: von der Kernspaltung zur Vogelspaltung und schließlich zur Wasserspaltung. Das hat Folgen. Je nach Wetter und Jahres zeit haben wir zu viel oder zu wenig Strom, niemals aber bedarfsgerecht. Manchmal, wie jetzt im November, stehen fast alle Windkraftanlagen still. Sie stehen aber nicht nur so rum, sie ziehen auch noch von dem knappen Strom etwas ab für ihren Standby-Bedarf.
Dafür gibt es im Sommer zu viel Strom, aus dem in der Zukunft grüner Wasserstoff gemacht werden soll – der dann verlustreich gelagert und im Winter mit einem Gesamtwirkungsgrad von weniger als 25 Prozent rückverstromt werden soll. Gleichzeitig sollen die Sektoren Wärme und Mobilität elektrifiziert werden.
„Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“, sagte Lenin. Grüne Energiepolitik ist deutscher Größenwahn plus E-Mobilität plus Wärmepumpe. Das offensichtliche Scheitern dieses Vorgehens wird kaum benannt, vor allem nicht von der betroffenen Industrie. Eine Ausnahme macht ThyssenKruppChef Miguel Ángel López Borrego, der die Subventionierung von Wind und Solarenergie grundsätzlich infrage stellt.
In den sogenannten Qualitätsmedien herrscht eher Sparsamkeit bei der Berichterstattung über die Dunkelflaute, abgesehen von „Welt“, „B.Z.“ und einigen kleineren Blättern. Die – auch aus Bundesmitteln finanzierte – Nachrichtenagentur dpa meldete dagegen, dass sich Stromausfälle „im normalen Rahmen“ bewegten, wobei man sich auf den sogenannten SAIDI-Wert bezieht, der Stromausfälle bei Endkunden von mehr als drei Minuten erfasst. Informationen, die verunsichern könnten, sollen vermieden werden.
Steuerbare Ersatzkraftwerke knapp
Wie groß ist die Gefahr wirklich? Markus Löffler, Professor am Westfälischen Energieinstitut, beschäftigt sich intensiv mit der Schwankungsproblematik im Netz und stellt fest, dass die geplanten steuerbaren Ersatzkraftwerke auf Gas oder Wasserstoffbasis bei Weitem nicht ausreichen werden. Folgerichtig empfiehlt er, den Ausbau der „Erneuerbaren“ zu reduzieren. Insgesamt müss ten 150 Gigawatt abrufbarer Leistung in Deutschland bereitstehen.
Was Laien häufig übersehen: Nicht nur der Mangel kann zum Problem werden, der Überschuss ist möglicherweise sogar gefährlicher. Auch hier spielt das Wetter eine maßgebliche Rolle. Wir kennen Ostern, Pfingsten, Himmelfahrt und sonnige Sommerwochenenden, an denen eine hohe PV-Stromerzeugung einem geringen Verbrauch gegenübersteht. An verlängerten Wochenenden pausieren oft auch mittelständische Firmen, die sonst am Wochenende durcharbeiten. Nach dem Mittagessen an einem sonnigen Pfingstsonntag geht es an den Baggersee – es wird praktisch kein Strom verbraucht. Da 29 Gigawatt Sonnenstromkapazität – ein Drittel der insgesamt installierten PV-Leistung – nicht fernsteuerbar und damit nicht abregelbar sind, kann es in den Verteilnetzen zu instabilen Situationen kommen.
„Denken schadet der Illusion“, spottete die große Hildegard Knef einmal. Die Grünen beharren auf ihrem negativen Wissensvorsprung und werden uns weiter die Welt erklären wollen. Grün sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun – zumindest im Sinne der dahinterstehenden Lobby. Zyniker halten da gegen: Von deutschem Boden sollte nie wieder eine Energiewende ausgehen.
Wie geht es weiter? Das System wird zunehmend „auf Sicht“ gefahren werden müssen, um kurzfristig die Versorgung der nächsten Wochen und Tage zu sichern. Hochfliegende Erwartungen an einen schnellen Netzausbau und eine Wasserstoffwirtschaft werden versanden. Die „Versorgungssicherheit“ kommt in den Sonntagsreden der Politiker jeder Couleur weitgehend folgenlos vor. Eine ähnliche Wetterlage wie im November würde im Januar aufgrund niedrigerer Temperaturen allerdings deutlich kritischer.
Da die Franzosen gern mit Strom heizen, verbrauchen sie im Januar deutlich mehr Energie, die dann nicht mehr nach Osten über die deutsche Grenze geliefert werden kann. Darüber will niemand nachdenken.
Zum guten Schluss noch einmal die Zyniker: Wir können auf einen gnädigen Wettergott hoffen, aber wer zum Regentanz geht, sollte wenigstens einen Schirm mitnehmen.