Ende September lud die Interessengemeinschaft der Unternehmerverbände Ostdeutschlands und Berlins zum jährlichen Ostdeutschen Energieforum nach Leipzig ein. Es war ein merkwürdiges Aufeinandertreffen von akuter Krise und Dekarbonisierungstheorien. Realitäten und Visionen könnten kaum weiter voneinander entfernt sein.
Wenn man von einer Versammlung sagen kann, dass es unter den Teilnehmern brodelt, so trifft das auf dieses Energieforum vollständig zu. Mittelständlern stand die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben, vermeintlich sichere Geschäfte haben sich in ein Roulette verwandelt, in dem Schwarz und Rot verlieren. Jahrelang gepflegte Gewissheiten haben sich unter der Wirkung einer „Fortschrittskoalition“ aufgelöst. Nicht nur die lebenswichtigen Betriebsgewinne, sondern ganze Existenzen stehen auf dem Spiel. Unternehmerverbände, Handwerkskammern, viele Branchen sind verunsichert und höchst unzufrieden mit der Ampelpolitik.
Dr. Christian Growitsch von Fraunhofer schlug als Energiewendebefürworter einen großen Bogen vom „Jahrhundertprojekt Energiewende“, das allerdings aus Sicht von DIW-Chef Michael Fratzscher kein Projekt, sondern ein Experiment ist, zum gegenwärtigen Stand. Ein Land, das ohne Kohle, Kernkraft, Fracking und CCS auskommen will, sei weltweit einmalig. Fehler der Vergangenheit seien die gegenläufige Wirkung von europäischem Emissionshandel und Subventionierungen über die EEG-Umlage, teilweise zu hohe Subventionen und der Übergang in globale Abhängigkeiten durch den Ausbau der „Erneuerbaren“. Zu den staatlichen Eingriffen bemerkte er, dass Regulierung erst erlernt werden müsse. Ergänzend ist anzumerken, dass dies auch auf die Staatliche Plankommission der DDR zutraf, allerdings mit dem Unterschied, dass damals die Versorgungssicherheit höchste Priorität genoss. Nie wären die realen Staatsplanwirtschaftler auf die Idee gekommen, Kraftwerke abzuschalten, ohne dass sichere Alternativen zur Verfügung stehen. Zudem ließen sich die Genossen von Fachleuten beraten und schafften es sogar einige Jahrzehnte, den Mangel zu managen. Am Ende waren sie erfolglos wie in jedem Land, was sozialistisch und planwirtschaftlich gestaltet war.
Staatssekretär Dr. Graichen wurde zugeschaltet, aus ihm sprach die Stimme seines Herren: „Wir sind zuversichtlich, dass wir durch den Winter kommen können.“ Nähere Angaben zum gewünschten Wetter machte er nicht. Auf die Frage, warum die Regierung nicht schneller hinsichtlich von Entlastungen handele, führte er aus, dass die nötigen Zahlen erst erfasst werden müssten. Schwerpunkt seien die Preisdeckel und die Abschöpfung von Übergewinnen. Im Fokus steht also nicht die Beseitigung der Ursache – des Energiemangels –, sondern das Umverteilen von Geld als Behandlung der Symptome.
Während Seine Exzellenz der Staatssekretär aus Zeitmangel nicht nach Leipzig kommen konnte, nahm sich der sächsische Ministerpräsident Kretschmer eine Auszeit vom Treffen der Ministerpräsidenten in Berlin und kam spontan zum Energieforum. Sein Statement war eindeutig, er plädierte für eine Angebotserhöhung im Energiesystem durch einen Weiterbetrieb respektive einer Wiederinbetriebnahme von insgesamt sechs Kernkraftwerken. Die Preise müssten unbedingt runter, auch weil den Unternehmen Geld für Investitionen bleiben müsse. Die aktuelle Krise sei die größte Bedrohung für Wirtschaft und Land seit Bestehen der Bundesrepublik.
Am folgenden Tag trat Kretschmers Stellvertreter, der sächsische Umweltminister Wolfram Günther von den Grünen, auf. Er widersprach seinem Chef zwar nicht hinsichtlich der Forderung, jetzt alles ans Netz zu bringen, was nötig ist (die Kernkraftwerke natürlich nur kurzzeitig). Es ist aber schwer vorstellbar, dass beide in einer Regierung an einem Strang in dieselbe Richtung ziehen. Zum Thema Krise erwähnte er eine von ihm geschaffene Stabsstelle „Energiesicherheit“ in seinem Ministerium, danach tat er das, was Grüne am liebsten tun: Er sprach über die Zukunft und Visionen mit einer Prise rückwärtsgewandter Kritik. Die globale Gesellschaft sei auf dem Weg zur Klimaneutralität und ins Thema Wasserstoff müsse endlich strategisch eingestiegen werden. Den weltweiten Ausbau der Kohlekraft, vor allem in Indien und China, blendete er aus und dass eine grüne Wasserstoff-Wirtschaft jede Menge Strom braucht, den wir immer weniger haben, trug ihm auch noch niemand an. Wäre grüner Wasserstoff auch nur annähernd konkurrenzfähig, bräuchte niemand strategisch subventionieren, der Markt hätte es von selbst getan.
Wie zu erwarten, forderte er natürlich viel mehr vom Selben, was bisher nicht geholfen hat: mehr Wind- und Solaranlagen. Eine eigene PV-Industrie solle wieder geschaffen werden, die „Bremsen“ beim Ausbau der Regenerativen sollten gelöste werden. Also mehr von alten „Erneuerbaren“ ohne jegliche neue Idee. Günther redete viel ohne irgendeinen Erkenntnisgewinn zum aktuellen Stand der Krise. Wer ihm zuhörte, weiß, dass mit solchen Leuten an der Spitze die Krise in ihrem akuten Stadium nicht zu meistern ist und auch die Zukunft höchst unsicher. Die Abhängigkeit von Russland zu erreichen und sich gleichzeitig in die Abhängigkeit von Wind und Sonne zu begeben, ist keine tragfähige Lösung.
Oftmals bemüht wurde wieder das Narrativ, dass man nur ganz viel mehr an Solar- und Windkraftanlagen brauche, um die Krise zu bewältigen. Dass die installierte Leistung und ihr Zubau nicht viel mit der tatsächlich erzeugten Strommenge zu tun hat, sprach sich offenbar selbst in höchsten Managerkreisen der großen Energieunternehmen nicht herum. Der Weg zur Erkenntnis wird lang und für uns alle sehr teuer werden.
Die Teilnehmerschaft bestand keineswegs nur aus bedrückten Unternehmern und Verbandsmitgliedern, ein solches Treffen ist auch eine Plattform für Startups und die PR-mäßig klimagerechte Darstellung von Firmen, Verbänden und Initiativen. Die Gefahr, dass entsprechende Geschäftsideen und Kampagnen von der Energiekrise einfach überrollt werden, ist durchaus gegeben. Deshalb mahnen interessierte Kreise stets davor, die Gefahren des Klimawandels zu ignorieren.
Einige Start-ups erhielten Gelegenheit, sich und ihre Ideen vorzustellen. Eine neue Technologie stach dabei hervor, die Stromgewinnung aus Windböen im städtischen Gebiet. Dabei werden auf Hausdächern Segel gesetzt, die sich durch die Böen des über den Dächern turbulenten Windes aufspannen und bei Abflauen der Böe wieder zusammenfallen. Über Seilzüge soll so ein Generator betrieben werden. Im Unterschied zur bekannten Flugdrachentechnologie von „enerkite“ nützt hier also ein gleichmäßiger Wind wenig, nur die Änderungen der Windgeschwindigkeit sollen den Ertrag bringen. Jedenfalls steigen so die Varianten des Anlagenstillstands. Sie stehen still bei Windstille, auch bei gleichmäßigem Wind (da bleibt das Segel aufgespannt), nur bei böigem Wind mit entsprechenden Turbulenzen gibt sie Energie ab. Ich wage die These, dass eine solche Idee nur in Deutschland Aufmerksamkeit findet.
Der Markteintritt von „enerkite“ war übrigens für 2018 vorgesehen, in diesem Jahr soll nun nach weiteren Fördermittel-Spritzen ein erster Serienprototyp fertiggestellt werden. Gegen die Krise wird auch er nicht helfen.
Ein Wirtschaftsminister, der auf einen milden Winter hofft, wäre in Regierungen unter Adenauer bis Schröder im hohen Bogen aus dem Kabinett geflogen. Kanzler Scholz hatte Führung versprochen, vermutlich hat er auch das vergessen.
Zurück bleibt der Eindruck einer diffusen Veranstaltung, auf der Realitäten und Visionen als ungleiches Paar aufeinander trafen. Die Zukunft liegt im Nebel künftiger hoffentlich milder Winter.