Am 25. Juni des Jahres 1919 geschah Denkwürdiges, dessen wahre Bedeutung wie bei so vielen bemerkenswerten Ereignissen erst Jahrzehnte später sichtbar wurde. An diesem Tag hob mit der von Hugo Junkers erbauten F 13 das erste moderne, zivile Verkehrsflugzeug der Welt zu seinem Jungfernflug ab. Der ganz aus Metall gefertigte freitragende Tiefdecker mit geschlossener Kabine definierte einerseits die primären Gestaltungsmerkmale aller Verkehrsflugzeuge bis heute. Und stellte andererseits die letzte echte Innovation aus Deutschland dar. Seitdem wurde hierzulande nichts wirklich Neues mehr entwickelt. Seit einhundert Jahren folgt Deutschland den Trends, die andere setzen, statt selbst eine Quelle für Umbrüche zu sein.
Erfindungen hat es viele gegeben. Aus diesen erfolgreiche Produkte zu generieren, wurde aber konsequent den Wettbewerbern überlassen. Deutsche Unternehmen gefallen sich in der Rolle der Nachahmer, deren Talente und Energien sich darauf konzentrieren, die Pionierleistungen des Auslands zu kopieren und zu optimieren. Deutschlands Geschäftsmodell lautet, die Gegenwart so lange wie möglich in die Zukunft hinein zu verlängern. Wenn sonst nichts mehr hilft, auch gerne mittels staatlich gelenkter Reanimation veralteter Technologien, die schon mehrfach an mangelnder Marktfähigkeit gestorben sind. Nichts verdeutlicht dieses Vorgehen besser, als der untote Wiedergänger Elektromobilität.
Batteriefahrzeuge sind nicht neu
Seit die Batteriefahrzeuge in den 1950er Jahren von den Straßen verschwanden, wird ihre Wiederauferstehung regelmäßig als scheinbar notwendige Antwort auf phantasievoll erdachte Krisen beschworen. In den 1970ern schien das baldige Versiegen der Ölquellen bevorzustehen, in den 1990ern trat die Reduzierung von Stick- und Schwefeloxiden in den Vordergrund und heute, wieder zwanzig Jahre später, ist es die Furcht von einer Klimakatastrophe, die das Thema treibt. Und immer begleiten den Hype zahllose Mythen, die nur auf dem Humus einer weit verbreiteten technischen Ahnungslosigkeit gedeihen können. So scheint vielen Zeitgenossen der physikalisch unmögliche Wunderakkumulator, dessen Energiedichte der von Kohlenwasserstoffen gleichkommt und der in minutenschnelle geladen werden kann, nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Auch ist der Wahn weit verbreitet, batterieelektrische PKW seien effizienter als ihre Benzin oder Diesel verbrennenden Pendants. Tatsächlich aber benötigen zwei baugleiche Fahrzeuge, die dieselbe Strecke mit derselben Geschwindigkeit durchfahren, dieselbe Menge an Vortriebsenergie. Unabhängig vom Antriebssystem, denn der Energiebedarf eines Autos hängt allein von dessen Roll- und Luftwiderstand ab. Keine Frage, der Elektromotor setzt Strom mit einem höheren Wirkungsgrad in Vortrieb um, als der Verbrenner sein Benzin. Strom ist allerdings keine Primärenergie, man kann ihn nicht einfach in der Natur fördern. Seine Herstellung und Verteilung sind mit deutlich aufwendigeren Umwandlungsprozessen verbunden als bei fossilen Kraftstoffen. Das spiegelt sich im Preis.
Ein grober Vergleich zwischen Benziner und Elektroauto beginnt mit der Simulation eines idealen Marktes ohne verzerrende staatliche Eingriffe. Von allen Aufschlägen befreit, läge der Strompreis in Deutschland für Privatkunden im Durchschnitt bei etwa 13 Cent pro Kilowattstunde. Super hingegen liefert die Kilowattstunde für fünf Cent, einen Literpreis (enthält etwa neun Kilowattstunden) von 1,30 Euro an der Zapfsäule vorausgesetzt, von dem zwei Drittel Steueranteil abzuziehen sind. Bei einem Wirkungsgrad von 30% hat der Besitzer eines Verbrenners also rund 17 Cent für eine Kilowattstunde Vortrieb aufzuwenden. Inklusive Lade- und Entladeverluste kann man den Wirkungsgrad eines elektrischen Antriebsstrangs zu 70% ansetzen. Womit für diesen 19 Cent für jede an den Achsen ankommende Kilowattstunde zu Buche schlagen. Bei allen Ungenauigkeiten, die eine Schätzung dieser Art beinhaltet, ist daher von einem Gleichstand auszugehen. Alles andere wäre auch überraschend, denn der Energieerhaltungssatz gilt entlang der gesamten Kette, von Bohrloch oder Bergwerk (aus denen auch die Kohlenwasserstoffe stammen, die für die Herstellung von Windrädern oder Solarzellen benötigt werden) bis zum Gaspedal.
Der batterieelektrische PKW ist also nicht nur nicht schneller unterwegs, als der konventionelle, er ist auch nicht effizienter. Aus der Nutzerperspektive weist er sogar deutliche Nachteile auf, man denke an die höheren Kosten (bezieht man den energetischen Aufwand für die Produktion ein, ist ein Elektroauto in jedem Fall ineffizienter) und an die durch das Nachladen erzwungenen Stillstandszeiten. Elektromobilität ist keine Innovation und ohne regulatorische Markteingriffe nicht überlebensfähig. Deswegen spielte sie bislang in unserer Serie zur Zukunft der Mobilität keine Rolle.
Dabei haben elektrische Antriebe durchaus spezifische Vorteile zu bieten. Häufig wird die deutlich geringere Lärmemission genannt. Die allerdings auf der Straße keine große Rolle spielt, denn Verkehrslärm ist heute wesentlich durch schwere Nutzfahrzeuge bedingt und nicht durch PKW. Zudem ist die akustische Orientierung wichtig für viele andere Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Radfahrer – lautlose Autos könnten ein Sicherheitsrisiko sein, gerade im Stadtverkehr. Viele Elektrofans schwören auf das hohe Beschleunigungsvermögen aus dem Stand. Richtig, im Gegensatz zum Verbrenner liefern Elektromotoren ihr volles Drehmoment direkt nach dem Start. Aber wozu braucht man das, außer für Wettrennen an roten Ampeln? In der Praxis ist Beschleunigung beim Überholen gefragt, wenn man schon mit einem gewissen Tempo unterwegs ist. Da wiederum steht vor allem der Otto dem Elektromotor nicht nach. Gut, Elektromotoren sind bei gleicher Leistung kleiner und leichter als Verbrenner, man spart Gewicht und Bauraum. Auch kann man sie einfach über Kabel mit Energie versorgen und steuern – die Handhabung diverser Flüssigkeiten mittels Schläuchen, Ventilen und Pumpen entfällt. Dadurch sind verteilte Antriebssysteme möglich mit je einem Nabenantrieb an jedem Rad. Was den Konstrukteuren ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit für Karosserie und Chassis einräumt. Wirklich? Wie ein Auto aussehen kann und darf, ist durch sein Nutzungskonzept (man soll ja bequem darin sitzen und auch noch Getränkekisten oder Koffer transportieren können) und durch die Infrastruktur (Höhe, Breite, Länge) weitgehend vorgegeben. Nein, aus der Perspektive des Autofahrers überzeugt dies alles nicht, wenn man für eine ordentliche Reichweite stundenlang an der Elektrotankstelle verharren muss.
Für welche Anwendung aber könnten leise, leichte, kleine verteilte Antriebssysteme mit konstant hohem Drehmoment bei jeder Drehzahl wirklich geeignet sein? Was kann man tatsächlich nur elektrisch realisieren?
Beim Fliegen hat der E-Motor sein Plus
Einen Multikopter. Denn zur Stabilisierung der Fluglage dieser aerodynamisch wenig optimalen Geräte ist nicht nur ein schnell rechnendes elektronisches Gehirn erforderlich, sondern auch ein Antriebssystem, das die Steuerungsimpulse schnell genug in Drehzahländerungen umsetzen kann. Für ein Auto ist es egal, ob ein Motor in 250 oder 150 Millisekunden reagiert. Für einen Multikopter ist es entscheidend. Und in dieser Hinsicht hat der Elektromotor ein echtes Alleinstellungsmerkmal.
Multikopter kennt man als Spielzeuge oder auch als professionelle Kamera-, Überwachungs- und Transportdrohnen. Wäre es denn denkbar, diese irgendwann auch als Personentransporter einzusetzen? Als „fliegende Autos“, die nicht auf asphaltierten Wegen am Erdboden fahren, sondern entlang virtueller „Luftstraßen“ fliegen? Ja, sagt der chinesische Hersteller Ehang. Ja, sagt, nach allem was man weiß, auch die geheimnistuerische amerikanische Firma Zee.Aero, deren Verbindung mit Google-Gründer Larry Page jüngst ein großes Thema in den Gazetten war. Ja, sagt auch das von Intel unterstützte deutsche Unternehmen eVolo, dessen Volocopter im Februar seinen bemannten Erstflug absolvierte. Der Volocopter zeigt dabei vor allem, wie verteilte Antriebssysteme komplexe Flugmanöver erleichtern. Statt sich mit Rudern und Klappen auseinandersetzen zu müssen, lenkt ihn der Pilot mit einer Hand am Joystick intuitiv. Lässt er diesen los, schwebt das Gerät automatisch auf der Stelle. Starten und Landen gelingt per Knopfdruck. Fliegen können, ohne Fliegen lernen zu müssen, das ist die Art von Anspruch, der echte Innovationen treibt.
Ein Reichweitenproblem haben solche Vehikel natürlich auch. Zumal das maximale Startgewicht bei ihnen nicht nur technisch, sondern auch rechtlich begrenzt ist. Einfach wie in einem Straßenfahrzeug die Batteriemasse zu erhöhen, stellt daher keine geeignete Strategie dar.
Eine Lösung für dieses Dilemma hat das Team von Airstier aus dem niedersächsischen Bad Pyrmont in diesem Jahr auf der Hannover Messe vorgestellt. In dessen „yeair“ getaufter Drohne wirken Elektro- und Dieselmotor gemeinsam auf dieselbe Achse, ohne zwischengeschaltetes Getriebe. Der Elektromotor wird vor allem für den Start gebraucht und arbeitet im Streckenflug wahlweise als Generator oder als Drehzahlregler für den Diesel. Diese Technologie liefert alles, was man braucht: hohe Reichweiten und lange Flugzeiten, hohe Effizienz in langsamen wie in schnellen Flugphasen und hohe Stabilität bei gleichzeitig guter Manövrierbarkeit. Eine Steckdose benötigt das Gerät nie, durch einfaches Nachtanken ist die Flugfähigkeit schnell wieder hergestellt. Ihr erstes Modell hat die Firma via Crowdfunding realisiert. Nun ist man in Gesprächen mit Investoren, um größere Einheiten zu erschaffen. Am Ende aber steht auch hier die Vision des flexiblen Individualverkehrs in der Luft auf Basis eines „Persocopters„.
Wer elektrische Antriebe will, sollte deren spezifische Eigenschaften nutzen, um Fahrzeuge zu entwickeln, die mit konventionellen Systemen nicht möglich sind. So entsteht Fortschritt. Batterieelektrische Straßenfahrzeuge hingegen können nichts, was ein Verbrenner nicht auch oder sogar besser kann. In der Elektro-Propaganda drückt sich nur der Wunsch aus, die Zukunft aus Furcht vor Risiken zu vermeiden. Deutschland hat mit dieser den Götzen „German Angst“ anbetenden Politik schon den Anschluss in der Informationstechnologie, in der Bio- und Gentechnologie, in der Energietechnik, der Medizin und der Nanotechnologie verloren. Nun droht die Fokussierung aller Ressourcen auf elektrische PKW uns sogar in unserer Kernkompetenz, im Fahrzeugbau, endgültig zurückzuwerfen. Denn es stellt sich die Frage, ob Ideen wie der Tragschrauber, wie Bodeneffektfahrzeuge, Raketenflugzeuge, fliegende Autos oder Personen-Multikopter hierzulande überhaupt noch die Unterstützung erhalten, derer sie bedürfen, damit sie nicht ins Ausland abwandern und dort für neue Wertschöpfung sorgen.
Von Hugo Junkers ist das folgende Zitat überliefert: „Unsere Ziele sind höher gesteckt, nämlich das Flugzeug zu benutzen, um die Menschen und die Nationen einander näher zu bringen.“ Dies drückt aus, worin die Zukunft der Mobilität besteht. Es geht darum, Menschen und Güter schneller und mit geringerem Aufwand zu transportieren, als mit den bereits etablierten technischen Lösungen möglich ist. Hugo Junkers wäre sicher begeistert von den Konzepten, die ich Ihnen in den vergangenen Wochen hier bei Tichys Einblick in einer kleinen Serie vorgestellt habe. In einem Land, in dem allzu viele Zeitgenossen Radwege als Synonym für Fortschritt begreifen, ist es dringend erforderlich, sich seiner zu erinnern. Denn echte Innovationen lösen keine Probleme, schon gar nicht eingebildete, echte Innovationen schaffen neue Möglichkeiten.
Bisherige Folgen: