Die Deutsche Post will elektrische Lieferfahrzeuge einsetzen und Tesla vielleicht 2017, vielleicht auch erst 2018 ein neues Modell auf dem Markt bringen. Sind dies bedeutende Fortschritte des Fahrzeugbaus? Der Blick auf die Nutzerinteressen gebietet Skepsis – Auftakt einer neuen Artikelserie zur Zukunft der Mobilität.
Hat Deutschland Innovation verlernt? Der Blick auf die Debatte über die Zukunft der Mobilität scheint dies zu belegen.
Da wird die Ankündigung der Firma Tesla, man könne vielleicht im kommenden Jahr ein neues Elektroauto anbieten, wie eine Offenbarung gefeiert. Gleichzeitig blickt man voller Stolz auf den von einer Tochter der Deutschen Post entwickelten Streetscooter. Ein batterieelektrisches Transportfahrzeug für die Belieferung von Innenstädten, das ohne Radio und Klimaanlage auf Reichweiten von gerade mal 50 bis 80 Kilometer bei einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 80 km/h kommt. Das entspricht dem technischen Stand der 1950er Jahre. Richtig, bis 1958 lieferte die Post ihre Pakete in den Innenstädten mit Elektrowagen aus. Dann erst kam der Umstieg auf Benzin und Diesel – aus wirtschaftlichen Gründen. Im Jahr 1981 startete ein erneuter Versuch, den man sehr schnell wieder aufgab. Es rechnete sich wieder nicht. Trotzdem werden heute die alten Fehler wiederholt, und das sogar mit erhöhtem Einsatz. Ein Fahrzeug, das seine Energie schneller verbraucht, als sie nachgeladen werden kann, soll zukunftsweisend sein?
Solche Ideen entstehen, wenn man den eigentlichen Zweck der motorisierten Fortbewegung ignoriert. Da helfen nur noch der Blick zurück und die Wiederholung von Banalitäten, die scheinbar jede Generation neu zu erlernen hat.
Warum nutzen wir überhaupt motorisierte Fahrzeuge?
Auf seinen zwei Beinen beziehungsweise mit reiner Muskelkraft kann der Mensch schließlich jeden Punkt auf diesem Planeten erreichen. Schon Homo Erectus gelang es von Afrika aus, sich über ganz Eurasien auszubreiten. Homo Sapiens dann besiedelte alle Kontinente. Bis in das 19. Jahrhundert geschahen Reisen und der globale Austausch von Waren und Ideen allein zu Fuß, mittels Pferden und Segelschiffen. Und es wäre überheblich, den zivilisatorischen Status unserer in dieser Hinsicht genügsamen Vorfahren geringzuschätzen.
Wozu also sind motorisierte Fahrzeuge gut, wenn die Menschheit fast während ihrer gesamten Existenz ohne solche ausgekommen ist? Die Vielfalt an Optionen, die sich heute zur Erfüllung von Mobilitätsbedarfen eröffnet, schließt Pferd, Kutsche und Segelboot in der Regel nicht mit ein. Warum wurde so rasch verdrängt, was Jahrtausende genügte?
Geschwindigkeit lautet die Antwort. Die Evolution der Mobilitätssysteme orientiert sich primär an der Verkürzung von Reisezeiten. Schneller ankommen zu können ist der Grund, warum man in sein Auto steigt oder sich eine Fahrkarte kauft, statt einfach zu Fuß zu gehen. Die Reduzierung der zeitlichen Distanzen bringt zudem entfernte Ziele erst in Reichweite, das gilt für Menschen und Waren gleichermaßen.
Mit steigender Geschwindigkeit steigen allerdings auch Energiebedarf und Kosten. In diesem Spannungsfeld von Reisezeitverkürzung und Effizienz bewegen sich seit jeher die Innovationen im Fahrzeugbau. Da jeder Transportwunsch zudem individueller Natur ist, steht uns heute eine breite Palette an Transportmitteln zu Wasser, zu Lande und in der Luft zur Verfügung. Und jede Fahrzeugart, ob PKW, LKW oder Bus, ob ICE, Regional- oder Straßenbahn, ob Helikopter, Propellermaschine oder Strahlflugzeug, findet ihre Nutzer und hat daher ihre Berechtigung. Diese Vielfalt wird eher noch zunehmen.
Trotzdem kann man eine allgemeine Regel ableiten, die zwischen potentiell erfolgreichen und wahrscheinlich zum Scheitern verurteilten Innovationen trennen hilft. In erster Näherung hängt nämlich die erforderliche Beschleunigungsarbeit bei allen motorisierten Fahrzeugen von ihrer Masse ab. Schiffe müssen eine Wassermenge verdrängen, die soviel wiegt wie sie selbst. Autos und Eisenbahnen müssen den masseabhängigen Rollwiderstand überwinden. Flugzeuge schließlich müssen eine Auftriebskraft erzeugen, die ihrer Gewichtskraft entspricht. Mittels des dimensionslosen Verhältnisses von Gewichtskraft zu der für eine ausreichende Beschleunigung erforderlichen Vortriebskraft, die ich als „spezifische Effizienz“ bezeichnen möchte, werden die einzelnen Fahrzeugtypen vergleichbar.
Klassische Verdrängerschiffe weisen eine sehr hohe spezifische Effizienz auf, denn sie benötigen für den Transport großer Lasten nur wenig Energie. Fluggeräte sind im Flug natürlich unschlagbar effizient, da sie lediglich den Luftwiderstand überwinden müssen, aber Start und Landung verschlechtern die Energiebilanz enorm. In dem folgenden Diagramm ist die spezifische Effizienz für einige Land- (braun), Wasser- (dunkelblau) und Luftfahrzeuge (hellblau) gegen den erreichbaren Geschwindigkeitsbereich aufgetragen.
Man diskutiere nun bitte nicht, ob der eine Kreis etwas weiter links oder etwas weiter unten anzuordnen wäre. Die Graphik soll nur das Prinzip verdeutlichen. Bei der Verwendung realer Zahlenwerte ergäben sich der Übersichtlichkeit wenig dienliche Überschneidungen.
Der heilige Gral des Fahrzeugbaus wird in der Darstellung deutlich. Er liegt oben rechts, wo sich futuristische Methoden wie das Teleportieren befinden, die eine Bewegung ohne Zeitverlust und ohne großen Energieaufwand gestatten. Marktfähig, das heißt im Nutzerinteresse, waren in der Vergangenheit und werden in der Zukunft nur solche Innovationen sein, die sich von bestehenden Lösungen aus nach oben (höhere Effizienz) oder nach rechts (höhere Geschwindigkeit) oder in beide Richtungen bewegen. Drei solcher Konzepte sind vermerkt.
Ich möchte in den kommenden Wochen hier in der Lichtblicke-Kolumne diese Ideen vorstellen. Man kann beispielsweise durch eine genaue Bedarfsanalyse zu einem neuartigen, ideal auf eine kleine Zielgruppe zugeschnittenen Produkt gelangen (das „fliegende Auto“ als Optimierung des klassischen Automobils). Man kann auch die Eigenschaften des Mediums, in dem man sich bewegt, optimaler ausnutzen als bislang („Bodeneffektfahrzeuge“ als Nachfolger der klassischen Luftkissenboote oder Hovercrafts). Und man kann den Raum erweitern, in dem Mobilität stattfindet, um ein völlig neuartiges Verkehrssystem zu etablieren (das „Raketenflugzeug“ als Verbesserung des klassischen Düsenjets).
Elektromobilität hingegen sucht man in dem Bild vergeblich. Batterieelektrische PKW sind nicht schneller als konventionell angetriebene. Auch bewegen sie sich in demselben physikalischen Rahmen hinsichtlich Roll- und Luftwiderstand und weisen daher keine höhere spezifische Effizienz auf. Ganz im Gegenteil verlängern sie die Reisezeiten eher noch durch die erzwungenen Aufenthalte an den Ladesäulen.
Auch die Post bewirbt ihre Streetscooter-Initiative ausschließlich mit Klima- und Umweltschutz. Als Logistik-Dienstleister sollte es ihr aber darum gehen, Waren schneller und kostengünstiger zum Kunden zu bringen. Eine Belieferung mittels robotischer Systeme, möglicherweise aus der Luft, wäre ein hierfür geeigneter Ansatz. Auch Drohnen und autonome Transportfahrzeuge können Lärm- und Schadstoffemissionen lokal vermindern. Zusätzlich bestünde sogar das Potential, den innerstädtischen Verkehr zeitlich zu entzerren und zu reduzieren. Wer Elektromobilität will, muss sie als Mittel zum Zweck verstehen. Wer sie dagegen als Selbstzweck propagiert, hat Mobilität nicht verstanden.