„Europa ist die Antwort“ lautete ein SPD-Wahlwerbespruch vor den Unionswahlen 2019. Er ist inhaltsleer und falsch. Europa wurde nicht gewählt, sondern das EU-Parlament. Die EU ist nicht einmal halb so groß wie der Kontinent und die wohlhabendsten Länder, Norwegen und die Schweiz, gehören nicht dazu. Die Antwort auf die Frage, auf welche Frage „Europa“ nun die Antwort sei, bleibt im Nebel sozialdemokratischer Beliebigkeit.
In Zeiten von EU-Wahlen häufen sich die Sonntagsreden über deren Segnungen. Ansätze zu nötigen Reformen dieser zunehmend bürokratischen Union sind nicht erkennbar und wenn eine Pech- und Schwefelpartei diese fordert und eventuell ein späteres Referendum über einen möglichen Dexit, kennt die mediale Erregung kaum Grenzen.
Zweifellos werden große Kapazitäten an Wind- und Solarstromerzeugern in der EU aufgebaut – dort, wo es die Naturkräfte sinnvoll erscheinen lassen. Niemand folgt aber Deutschland auf seinem Kurs, ein bestehendes System konkret abzuschalten und zu demontieren in der Hoffnung, in kurzer Zeit einen belastbaren Ersatz in Form einer wetter- und tageszeitabhängigen Stromproduktion installieren zu können. Dem gesunden Menschenverstand folgend wäre in der Abfolge zunächst ein sicheres alternatives System zu schaffen und in Betrieb zu nehmen, um einen gleitenden Übergang und stromlose Zeiten zu vermeiden.
Es gilt das Prinzip Hoffnung, von einschlägigen Institutionen und Thinktanks am Leben erhalten. Kein Land schleift die Säulen seines Energiesystems, alle erkennen den Charakter der Naturenergien als substitutive Energieformen, also zeit- und teilweise ersetzende Stromproduktion.
Am Ende geht es aus Sicht der EU nur um geringere Emissionen an Treibhausgasen. Da hat „Vorreiter“ Deutschland schlechte Karten. Nach dem Atomausstieg liegt die spezifische Emission der Stromproduktion bei 381 Gramm CO2 pro Kilowattstunde, Frankreich glänzt mit 56. In ihrem Regulierungsbedürfnis will die Union nun Regelungen für die Emissionen bei der Herstellung bestimmter Produkte vorgeben, also für deren CO2-Fußabdruck. Zunächst nimmt man sich die Emissionen bei der Batterieproduktion vor, indem einfach die CO2-Intensität des zur Produktion eigesetzten Stroms betrachtet wird. Das ist eine schlechte Nachricht für die Batterieproduktion und insgesamt die E-Mobilität in Deutschland. Es wäre nachteilig am Markt, es gäbe keine Fördermittel, möglich wären sogar Verbote.
In Konsequenz bedeutete dies die Fortschreibung der sogenannten Öko-Design-Richtlinien der EU, die dann künftig auf alle Produkte ausgeweitet werden könnte. Dabei erweist sich der deutsche Strommix, der ohne Not durch den Atomausstieg künstlich eingeengt wurde, als Bumerang. Hilfreich sind nur möglichst große Mengen an Importstrom, der als emissionsfrei gilt.
Wohin wandeln?
In den Bundesländern des Kohleausstiegs, den sogenannten Strukturwandelgebieten, werden Ansiedlungen gezielt gefördert. 40 Milliarden Euro stehen laut Strukturstärkungsgesetz bis 2038 zur Verfügung (nicht inflationsbereinigt). Im Lausitzer Lauchhammer kündigte der chinesische Investor SVOLT den Bau einer Batteriezellenfabrik an. Als Werksgelände empfahlen sich die Hallen der ehemaligen Rotorblattproduktion von VESTAS, die aus Kosten- und Standortgründen im August 2022 eingestellt wurde.
Ähnliches droht in Guben an der Neisse. Hier will „Rock Tech Lithium“ den ersten europäischen Konverter bauen, versorgt mit lithiumhaltigem Gestein aus Kanada. Entstehen soll daraus Lithiumhydroxid, das für die Batteriezellenproduktion gebraucht wird. Mindestens 730 Millionen Euro beträgt die Investitionssumme, die Baugenehmigung liegt vor. Allerdings waren 200 Millionen Euro Bundesfördermittel eingeplant. Nach langem Zögern verwehrt das Habeck-Ministerium die Fördermittel, nun schaut das Land Brandenburg in die Kasse und denkt über „substantielle Unterstützung“ nach.
Als Abnehmer des Lithiumhydroxids ist Mercedes Benz bereits gefunden, aber der sehr schwankende Automobilmarkt, wie man den Einbruch der Verkaufszahlen von E-Mobilen auch bezeichnen kann, dürfte auch bei Mercedes spürbar sein. Vermutlich kalkulierte man mit staatlich gewünschten 15 Millionen batteriegetriebener Fahrzeuge bis 2030.
Wenn also jetzt noch die EU den CO2-Gehalt des zur Herstellung von Batterien und Vorprodukten eingesetzten Stroms bewertet, dann wird in Deutschland auf lange Sicht kaum eine Batterieproduktion stattfinden.
Auch ein „Innovationskraftwerk“ am Standort Jänschwalde wird nicht wie geplant kommen, denn Kern ist eine Gaskraftwerksanlage (GuD). Allerdings fehlt eine wasserstofffähige Gasleitung, die wohl erst Mitte der dreißiger Jahre zu erwarten ist. Ab 2028, mit der Stilllegung des letzten Kohleblockes, ist der Standort energetisch tot.
Ansiedeln und Wegsiedeln
Ziel der Strukturwandelpolitik ist der Erhalt an Wertschöpfung und Arbeitsplätzen. Mit dem Bau des Bahnwerks in Cottbus und der Gründung einer medizinischen Akademie ebendort sind wichtige und zukunftsfähige Entscheidungen getroffen. Schlechter sieht es für bereits bestehende Unternehmen aus. Im Vorjahr ging mit dem Waggonbau Niesky der vorletzte Hersteller von Güterwagen in den Konkurs. „Von der Straße auf die Schiene“ ist eine der beliebtesten Plattitüden in Sonntagsreden von Politikern, die sich zur Verkehrspolitik äußern. In der Praxis passiert das Gegenteil. Der Waggonbau in Görlitz, Produzent von Doppelstockwagen, wird voraussichtlich Mitte 2026 die Produktion am Standort einstellen. Gebaut wird natürlich weiter – in Kattowitz, Breslau und Bautzen. Eigentümer Alstom sieht auf lange Sicht keine Wirtschaftlichkeit. Ursprünglich sollte die Werksschließung erst nach den Wahlen im Herbst bekannt werden, aber der Zorn der Betroffenen war offensichtlich so groß, dass sich der Management-Beschluss nicht unter der Decke halten ließ.
Beide Firmen, 1835 und 1849 gegründet, stehen beispielhaft für deutsche Industriegeschichte und rückblickend ist es erstaunlich, welche Zeiten sie durchgestanden haben – König- und Kaiserreich, Krisen, Kriege, Diktaturen, Vergesellschaftung und Reprivatisierung. Energiewende und Ampel-Wirtschaftspolitik haben ihnen maßgeblich nun das Genick gebrochen.
An den Arcelor-Mittal Flachstahl-Standorten in Bremen und Eisenhüttenstadt soll auch dekarbonisiert werden. Direkt reduziertes Eisen (Eisenschwamm) soll zunächst mit Hilfe von Erdgas, ab 2028 (!) mit grünem Wasserstoff und Elektro-Lichtbogenöfen zu Stahl werden. Der Wasserstoff müsste etwa zwei Euro pro Kilogramm kosten, weniger als der heutige graue Wasserstoff aus der Erdgas-Pyrolyse und weit unterhalb der Kosten für grünen Wasserstoff von sieben bis neun Euro. Auch mit den jetzigen Strompreisen sei das nicht darstellbar, sagt das Deutschland-Management des Konzerns. Die Umstellung der gesamten deutschen Stahlindustrie würde deren Stromverbrauch versechsfachen. Politisch korrekt fordern die Bosse nun eine „klare Industriepolitik“, landläufig übersetzt heißt das, viel Geld vom Staat. 1,3 Milliarden Euro sagte Minister Habeck schon zu. Dass er die vermutlich gar nicht hat, steht auf einem anderen Blatt.
Innerhalb des Arcelor-Mittal-Konzerns stehen die Standorte übrigens im Wettbewerb untereinander. Die Vorteile des belgischen Zweigs sind dann der Nachteil der deutschen Standorte. Die Werke in Algerien und Brasilien sind ohnehin aus mehreren Gründen im Vorteil – nicht nur wegen nicht vorhandener CO2-Zertifikatekosten.
Die Weichen stehen auf Batteriezellenfertigung in Frankreich, Waggonbau in Polen und keine Stahlindustrie mehr in Deutschland.
Kein Geld ohne Ausstieg
Ex-Wirtschaftsminister Altmaier sagte den Braunkohlekonzernen RWE und LEAG im Rahmen der Abstimmungen zum Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) Entschädigungen für die Stilllegungen ihrer Kraftwerke zu. 2,6 Milliarden beziehungsweise 1,75 Milliarden Euro waren angekündigt als Entschädigung für entgangene Gewinne, mit denen auch die Folgekosten gesichert werden sollten, die dann nicht mehr aus dem aktiven Betrieb bezahlt werden können.
Nach dem Ausstiegsbeschluss für NRW für das Jahr 2030 gab die EU die Gelder für RWE frei, allerdings nicht für LEAG. Hier finde der Ausstieg erst 2038 statt, sodass sich eine Entschädigung nicht berechnen ließe. Das dürfte ganz im Sinne Habecks sein, dessen Forderung nach einem vorgezogenen Kohleausstieg 2030 in der Lausitz und in Mitteldeutschland kein Echo bei Politik und dem Konzern fand. Diese führten das gestrige Argument der Versorgungssicherheit an, das ein wahrer CO2-zentrierter Grüner natürlich nicht akzeptieren kann.
So bleibt die Frage, wie LEAG-Eigentümer Kretinsky, der kürzlich bei Thyssen eingestiegene tschechische Milliardär, mit seinem feinen Instinkt für Geld reagiert. Die Versorgungssicherheit in Deutschland kann ihm egal sein. Er bräuchte schon das Geld, um die Folgekosten von Braunkohleförderung und -verstromung zu sichern und nicht in die eigene Schatulle greifen zu müssen. Wir werden sehen.
Planwirtschaft als Leitmarkt
Die deutsche Wirtschaft mutiert unterdessen zur allseits subventionierten Veranstaltung. „Leitmärkte für klimafreundliche Grundstoffe“ möchte der Klimaminister erschaffen. Abgesehen davon, dass man Märkte nicht schaffen muss und dass sie in der Regel von ganz allein funktionieren, bedeutet jeder Staatseingriff eine Beschränkung des Marktes und erfordert immer weitergehende Eingriffe, bis aus der Markt- eine Staatswirtschaft geworden ist. Diese sogenannten „Leitmärkte“ funktionieren nur, wenn sowohl Produzenten als auch Abnehmer subventioniert werden. Durch Steuergeld, dessen Herkunft immer unklarer wird. Aber es entspricht der grünen Wirtschaftsphilosophie und Staatsgläubigkeit, zentrale kleinteilige klimapolitische Vorgaben zu machen.
Kurze Denkpause. Ein Minister, nach Amtseid verpflichtet, Schaden vom Volk abzuwenden, benutzt selbiges als Versuchskaninchen, um auszutesten, wie weit er seine grünen Allmachtsphantasien ausleben kann. Millionen von Menschen, die ihr ganzes Arbeitsleben in eine Immobilie gesteckt haben, um im Alter abgesichert zu sein, erleben nun, dass diese zum Risiko im Alter wird. Wenn Habeck nun einsieht, dass der Test misslungen ist, warum zieht er dann nicht dieses unsägliche Monstergesetz zurück?
Letztendlich ist die ganze Energiewende ein Test. Ihr Versuchscharakter ist spätestens mit dem Buch „Die Deutschland-Illusion“ von Marcel Fratzscher, des Chefs des energiewendefreundlichen DIW, aus dem Jahr 2014 bekannt. Zitat (S. 96): „Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Energiewende ein Experiment ist.“
Die Energiewende folgt also nicht nur keinem Masterplan, der alle Sektoren und Technologien in Beziehung setzt, es gibt auch keinen Plan B. Stattdessen ein Experiment, das zum Erfolg verdammt ist, das die Menschen im Land aber überwiegend nicht wollen, weil der Großversuch absehbar vor die Wand läuft. Hätte man den Versuch nicht erst im Kleinen machen können? Doch, das hat man tatsächlich getan!
Die nordfriesische Insel Pellworm eignete sich als Labor für den Nachweis einer autarken Strom-Vollversorgung aus „Erneuerbaren“. Die Naturkräfte fallen gut an, es weht viel Wind, auch die Sonne meint es im Sommerhalbjahr gut. Es gibt nur 650 Haushalte und keine stromfressende Industrie. Da sollte es doch mit ein paar Großbatterien möglich sein, die Versorgung sicherzustellen. Der Energiekonzern Eon stellte 2013 solche Speicher auf, inklusive von Smartmetern wurden etwa 10 Millionen Euro investiert, pro Einwohnerkopf um die 6.000 Euro.
Die Medien waren voll des Lobes. Obwohl 97 Prozent des Verbrauchs durch „Erneuerbare“ und Batterien gedeckt werden konnten, waren die fehlenden drei Prozent nur über die Landstromverbindung zu sichern – oder man hätte die Investitionen mindestens verdoppeln müssen, was das Unterfangen letztlich ins Aus schoss. Ähnlich erging es den Spaniern auf El Hierro, einer der Kanarischen Inseln.
Grün und flüchtig
Obwohl dieser Versuch scheiterte, führt man ihn mit dem ganzen Land fort. Ähnlich verhält es sich mit den Projekten zum Grünen Wasserstoff. Das „Westküstenprojekt“ in Heide in Schleswig-Holstein starb 2023 den Kostentod, weil der wirtschaftliche Betrieb eines 30-Megawatt-Elektrolyseurs nicht absehbar war. Dabei lagen theoretisch günstige Bedingungen vor: viel Windstrom sowie Wasserstoff-Pipelines und -Kavernen in der Nähe. Die drei potenten Investorenfirmen stiegen aus, weil kein billiger konstanter Strom verfügbar ist.
Die Reaktion der Bundesregierung darauf besteht darin, im Rahmen des Projekts Hyscale 100, ebenfalls in Heide, den Bau eines 500-Megawatt-Elektrolyseurs mit 646 Millionen Euro zu fördern. Auch dieser wird nicht wirtschaftlich betreibbar sein. Nach wie vor herrscht der Irrtum vor, mit der Gewalt von Unmengen an (Steuer)Geld den wirtschaftlichen Durchbruch bestimmter Technologien erzwingen zu können.
Viele Milliarden später werden wir sehen, dass diese Form der EU-inkompatiblen Energiewende nicht funktioniert. Schon allein deshalb, weil immer weniger Steuergeld zur Verfügung stehen wird. Allein 2023 sind 176.000 Firmen vom Markt verschwunden, sicherlich nicht nur durch hohe Energiepreise, aber preiswerte Energie ist nun mal das Fundament jedes Wirtschaftens.
Inzwischen sinkt die Lebenserwartung in Deutschland, wir sind Schlusslicht in Westeuropa. Die Zahl der Drogentoten stieg 2023 auf einen neuen Höchstwert von 2.227. Die Reaktion der Bundesregierung besteht in der Freigabe von Cannabis als Einstiegsdroge. Auch hier entfernen wir uns von der EU.
Der Kanzler sagt, die Lage sei nicht schlecht, nur die Stimmung. Folgt die Freigabe von Cannabis vielleicht doch einem höheren Plan? Aus der EU kommt die Idee jedenfalls nicht.