Tichys Einblick
Voll ins Risiko

Der Zocker Robert Habeck

Alles oder nichts. Das ist der Kurs des neuen Klimaministers mit Nebenfach Wirtschaft. Die Regierung geht ins Risiko. Wie groß sind die Erfolgsaussichten rücksichtsloser grüner Politik?

IMAGO / Metodi Popow

„Wir starten nicht auf der Ziellinie, sondern mit einem gehörigen Rückstand“, formulierte Robert Habeck bei Bekanntgabe seiner „Eröffnungsbilanz“. Nun startet man ohnehin nicht auf der Ziellinie, aber wenn man von der Co-Vorsitzenden des Öfteren zugetextet wird, unterlaufen auch einem sprachgewandten Klimaminister ungenaue Formulierungen. Er meinte sicherlich die Ziellinie der kleinen Groko, deren zugegeben problematisches Altmaier-Erbe er nun antreten will oder darf oder muss. Die „Klimaziele“ 2022 und 2023 würden verfehlt, auch dies ist sprachlicher Klimapopulismus, denn die Ziele bestehen nicht in der Vorgabe von Temperaturen, Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit oder anderen Parametern des Klimas, sondern in selbst auferlegten Grenzen an Emissionsmengen, die nun offensichtlich überschritten werden.

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Man kann und sollte sich hohe Ziele setzen. Sie können aber auch unrealistisch sein. Diese Erkenntnis wird noch eine lange Reifezeit brauchen, denn das fantasielose Rezept „mehr Wind, mehr Sonne“ mag der einschlägigen Branche helfen, es ist aber keine Strategie für die Energieversorgung eines Landes. In ihrer Oppositionsrolle dachten und arbeiteten die Grünen ausschließlich entlang ihrer Lieblingstechnologien. In Regierungsverantwortung reicht das nicht mehr aus, jetzt ist systemisches Denken gefragt. Mit viel Glauben und Hoffnung, eher dünnem Wissen und schwachem Management wird die Energiewende aber nicht gelingen.

Nun geht Habeck „voll ins Risiko – vielleicht gelingt es ja auch“ (Bild vom 13. Januar 2021). Und wenn nicht? Er bestätigt damit den Experimentalcharakter der Energiewende, den Professor Marcel Fratzscher, Chef des DIW, so formulierte (in: „Die Deutschland-Illusion“, Seite 96): „Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Energiewende ein Experiment ist.“ Der Generalsekretär des Weltenergierates, Christoph Frei, äußerte sich schon 2015 im Interview des rbb-Inforadio (31. Januar 2015) ähnlich: „Deutschland ist das größte Freiluftlaboratorium auf dem Energiesektor.“

Charakteristisch für Experimente ist, dass sie gelingen können oder auch nicht, und deshalb macht man sie im Labormaßstab. Die deutsche Energie- und Wirtschaftspolitik liegt nun offenbar in den Händen eines Hasardeurs, der ganz Deutschland zum Labor erklärt und alles oder nichts spielt. Kein Gedanke an die Möglichkeit, dass das Experiment nicht gelingen könnte. Gern werden von grüner Seite bestimmte Adjektive zur Bezeichnung des Kurses verwendet: ehrgeizig, ambitioniert, herausfordernd. Hin und wieder heißt es auch: radikal. Daran zeigt sich die Brachialität grüner Politik, denn radikal heißt nichts anderes als „ohne Rücksicht auf Verluste“. Die wird es massenhaft geben, wenn der Menschen-, Umwelt- und Landschaftsschutz erst dem exzessiven Windkraftausbau geopfert werden wird.

„Wir wollen, dass … jede Biene und jeder Schmetterling und jeder Vogel in diesem Land weiß: Wir werden uns weiter für sie einsetzen!“, tönte Katrin Göring-Eckardt auf einem Grünen-Parteitag. Sie meinte offenbar diejenigen Tiere, wohl auch Fledermäuse, Greifvögel und Insekten, die den Grünen-Kurs überleben.

Experiment statt Projekt

Der maximierte Windkraft-Ausbau bringt indes wenig hinsichtlich der CO2-Vermeidung. Ein fossiles Backup-System bleibt vollumfänglich nötig, und das Betreiben beziehungsweise Vorhalten zweier Systeme treibt die Kosten in astronomische Höhen. Die Backup-Kraftwerke sind aufgrund geringer Betriebsstundenzahl und häufiger Lastwechsel nicht mehr wirtschaftlich betreibbar, aber systemisch notwendig. Deshalb werden auch sie künftig, wie heute schon die Anlagen der Kapazitäts- und Netzreserve, subventioniert werden müssen.

Die Definition der Energiewende als Experiment wird auch dadurch gestützt, dass sie nicht wie ein Projekt ausgeführt wird. Die Eigenschaften eines solchen würden sich in der Abkürzung SMART wiederfinden: Spezifisch, messbar, angemessen, realistisch, terminiert. Auch sind Projektschritte nicht erkennbar. Vereinfacht zählt man zu diesen:

– Aufgabe
– Plan
– Maßnahmen / Durchführung
– Evaluation / Ergebniskontrolle

Wenn man als Aufgabe die „Dekarbonisierung“ versteht, wäre ein Plan erforderlich, der den unterbrechungsfreien Umbau des Energiesystems enthält. Bisher gibt es nur Abschaltpläne. Zuschaltungen gesicherter Energie werden nicht geplant, sondern auf sogenannte Ausbaukorridore, bisher imaginäre Gaskraftwerke und Importstrom unklarer Herkunft verschoben.

Die Durchführung müsste basierend auf konkreten Ablaufplänen terminlich durchgetaktet werden, mit Benennung klarer Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, zum Beispiel jener für den Bau von Gaskraftwerken. Zur Evaluierung der Ergebnisse würden Terminkontrolle und eine Kostenbetrachtung gehören. Letzteres wurde vom Bundesrechnungshof angemahnt, von Regierungsseite ignoriert.

Will man tatsächlich effizient Treibhausgase reduzieren, bräuchte es die Verwendung konkreter Kriterien wie der Kennziffer „Euro pro vermiedener Tonne Treibhausgas (THG)“. Setzt man den bisherigen Energiewende-Aufwand mit 500 Milliarden Euro an (viele indirekte Kosten sind nicht konkret zuordenbar), ergeben sich seit 1990 trotz des „helfenden“ Zusammenbruchs großer Teile der ostdeutschen Industrie THG-Vermeidungskosten von über 1.000 Euro pro Tonne.

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Bis 2030 werden die Kosten der „Wenden“ (Energie, Verkehr, Wärme) die Kosten der deutschen Einheit weit übersteigen. Aber auch eine auf CO2 bezogene Kennziffer wäre nicht treffend, denn die Vermeidung dieser Emissionen ist nicht Selbstzweck, sondern soll einen Temperaturanstieg verhindern. Das harte Kriterium wäre also in einer Kennziffer „Milliarden Euro pro Grad verhinderter Erderwärmung“ darzustellen. Obwohl theoretisch auf Basis der sogenannten CO2-Budgets berechenbar, tut das niemand. Die Ernüchterung, dass sich trotz hohem Milliardenaufwand nur eine Ziffer mehrere Stellen nach dem Komma ändert, wäre zu ernüchternd.

Wo ist das viele Geld nun geblieben? Vor allem bei den Herstellern und Betreibern nicht marktfähiger regenerativer Energieumwandlungsanlagen. 2020 wurden per EEG-Umlage um die 30 Milliarden Euro in diese Richtung umgewälzt. Dafür hätten wir den Schweizern zwei Gotthard-Basistunnel schenken können – nur in diesem einen Jahr. Inzwischen bringt der stark gestiegene Großhandels-Strompreis auch die Zufalls-Stromerzeuger in die schwarzen Zahlen. Dennoch bleiben als Profitsicherung feste Vergütungen auch bei negativen Börsenpreisen, die Vergütung von Phantomstrom, der Einspeisevorrang, der Gratisanschluss und die Abrechnung durch die Netzbetreiber erhalten. Die Kosten dafür werden sozialisiert.

Eine effektive THG-Vermeidung steht nicht im Vordergrund, sondern die Förderung von grünen Lieblingstechnologien. Schon kurz nach Amtsübernahme verlängerte Habeck zugunsten des grünen Bevölkerungsklientels die Förderung der individuellen E-Mobilität. Zählt man die entgangenen Kfz-Steuer- und Mineralölsteuereinnahmen hinzu, werden um die 20.000 Euro Aufwand dafür erreicht. CO2 wird dadurch nicht oder kaum, jedenfalls nicht abrechenbar gespart, solange der Strommix seinen künftig fossilen Gas-Anteil behält. Unterdessen verlagern Bahnunternehmen zunehmend die Traktion wieder auf Dieselloks oder die Fracht gleich auf die Straße, weil sich der Bahnstrompreis verdreifachte. Dass der grüne Streifen am ICE nur das Wunschdenken eines Staatskonzerns spiegelt, war hinlänglich bekannt.

Wohnen als Luxus

Dafür cancelte der Klimaminister aus Geldmangel Hals über Kopf die sogenannten KfW-Zulagen im Gebäudebereich und grätschte damit Bauministerin Klara Geywitz ins Ressort. Nicht nur die KfW-55-Zulage für den Energieeffizienzstandard EH55 fiel damit ohne Vorwarnung weg, auch die 40er Zulage. Zirka 50.000 Bauherren sind betroffen, ihnen drohen die Projekte zu platzen.

Wegen falscher Anreize:
Bundesregierung stoppt KfW-Finanzierung für energieeffiziente Gebäude
Bei permanent steigenden Material- und Handwerkerpreisen und steigenden Bauzinsen werden viele ihre Vorhaben beerdigen müssen, nachdem sie oft Tausende Euro für Grundstücke, Planungen und Vorbereitungen ausgegeben haben. Viele Projekte müssen zusammengestrichen werden, am Ende stehen dann weniger energiesparende Häuser. Allerdings ist der 55er Standard inzwischen verpflichtend, die Bauherren müssen also selbst die Kosten in voller Breite tragen.

Auch der Mietwohnungsbau ist betroffen. Die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), Ingeborg Esser, vermutet 80.000 Wohnungen, vor allem Sozialwohnungen, die vorerst nicht gebaut würden. Im Gegensatz zum Eigenheimbau sei im Mietwohnungsbau der Standard EH70 noch üblich. Perspektivisch wird von Mietsteigerungen von etwa 1,50 Euro pro Quadratmeter ausgegangen.

Das sind sie also, die Zumutungen, von denen der Große Philosoph sprach und von denen grünes Klientel eher nicht betroffen ist. Die rot-grüne Melange aus Vorwahlzeiten mit Ankündigungen niedriger Mieten, Enteignungsfantasien und billigem klimaneutralem Leben im Wolkenkuckucksheim, entpuppt sich als politischer Dilettantismus zugunsten der eigenen Gefolgschaft. Auch an den mehr als 20.000 Baugesetzen und -vorschriften wird sich die Regierung nicht vergreifen. Nach Tacitus hat der verdorbendste Staat die meisten Gesetze. Sie bilden die Humusschicht zur Beschäftigung und passablen Existenzsicherung der grünaffinen Verwaltungs- und Beamtenschicht.

Wohnungsmangel ist für diese ein nachrangiges Problem. Allerdings erreichen die Grünen durch die Hintertür damit ein anderes Ziel: Der Eigenheimbau wird gebremst und damit der angeblich zu hohe Flächenverbrauch reduziert. Flächen werden für Windkraft und Fotovoltaik gebraucht, mögliches Bauland genauso wie Wälder, die man aus grüner Sicht nur noch als baumbestandene Industrieflächen versteht. Durch öffentlichen Druck werden nun die bis zum Stichtag 24. Januar eingegangenen Anträge weiter bearbeitet, dann soll es eine neue Regelung geben.

Viva Italia

"Sozial-ökologische Marktwirtschaft"
Habecks Jahreswirtschaftsbericht: Klimaschutz mit einem Unterkapitel Wirtschaft
Das Geld, was nun für die „Gebäudewende“ nicht mehr ausgereicht wird, ist natürlich nicht weg, es wird nur woanders gebraucht. So schafft sich Außenministerin Baerbock eine zusätzliche hoch dotierte Planstelle einer „Klimastaatssekretärin“. Mit der Besetzung durch die Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan zieht der personifizierte Aktionismus in die deutsche Politik ein. Ihr Arbeitsschwerpunkt „aggressive Kampagnen“ wird sie international ein paar Zeichen setzen lassen, auf messbare Ergebnisse kommt es in deutscher Außenpolitik schon lange nicht mehr an. Eingebettet in eine feministische Außenpolitik wird sie die Welt zur Dekarbonisierung auffordern, während Deutschland gleichzeitig immer mehr Erdgas importieren muss.

Weiterhin braucht der Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) bis Ende des Jahres wiederum eine Finanzspritze von 2,4 Milliarden Euro. Er wird zum dauerhaften Subventionsfall und zum Präzedenzfall staatlich induzierter Insolvenzverschleppung. Dann ist freilich viel Geld für den EU-Wiederaufbaufonds nötig, Deutschland ist mit über 200 Milliarden dabei. Das italienische Klimaschutzprogramm sieht für energetische Ertüchtigung an Gebäuden eine Förderhöhe von 110 Prozent vor. Das ist gut für die Hausbesitzer und hilft Italien möglicherweise dabei, seine Emissionsziele zu erfüllen. Sollte Deutschland bis 2030 die seinen aufgrund des Geldmangels und des klimaschädlichen Atomausstiegs verfehlen, drohen hohe Strafzahlungen an die EU.

Derweil gehen bei uns die Energiepreise durch die Decke. Ein Drittel aller Brandenburger sind Geringverdiener. Die DGB-nahe Hans-Böckler-Stiftung empfiehlt ihnen, ein Haushaltsbuch zu führen. ZDF-Professor Harald Lesch beklagt indessen unsere „energetische Verfettung“, andere meinen, wir sollten endlich vom Wohlstand etwas „abgeben“. Grün hält und macht arm.

Regierende "Regierungsorganisationen"
Clan- und Lobbyklüngel sind in den Bundesministerien an der Tagesordnung
Forderungen nach sozialen Maßnahmen wie der Absenkung der Mehrwertsteuer auf Energie – eigentlich ist Energie ein Lebensmittel – erteilte Habeck eine Abfuhr. Es reiche ein Kinderzuschlag aus, außerdem gäbe es den Heizkostenzuschuss für Bedürftige. Andernfalls könnten sogar „Reiche“ profitieren. So viel zum sehr simpel gestrickten Weltbild eines grünen Spitzenpolitikers. Es wird gestärkt durch eine „Wirtschaftsweise“, die die Regierung berät. Monika Schnitzer hält hohe Energiepreise für einen „Katalysator“ der Energiewende. Ich halte sie für wirtschaftsschädlich und den Beginn eines Abwärtstrends.

Da Klimaminister Habeck wenig belastbare Fakten für seinen riskanten Kurs anführen kann, wird er pathetisch und spricht von einem „ökologischen Patriotismus“. Ausgerechnet er, der Vaterlandsliebe stets „zum Kotzen“ fand und mit Deutschland noch nie etwas anzufangen wusste, erklärt die grüne Windkraftartillerie gegen Natur- und Landschaftsschutz, gegen Artenschutz und Biodiversität zur patriotischen Frage.

Formulierungen wie „ökologische Konterrevolution“ tauchen in öffentlich-rechtlichen Medien auf, um durch Kriegsrhetorik radikale Maßnahmen zu legitimieren. Habeck regiert formal nicht allein. Aber die Ampel steht auf grün. Nur 11,3 Prozent aller Wahlberechtigten haben 2021 die Grünen gewählt, aber sie beherrschen uns zu 100 Prozent. Gelbes Licht ist nicht zu erkennen, und der Kanzler schweigt. Auch bezüglich seines Vorhabens, den „Stromverbrauch künftig gesetzlich festlegen“ zu wollen, hat er sich noch nicht erklärt.

So geht das grüne Zocken weiter. Hop oder top, pair oder impair am Roulettetisch der Energie- und Wirtschaftspolitik. Ein Vorteil zeichnet sich ab: Nach dem Scheitern Habecks wird die „Große Transformation“ kein Thema mehr sein, denn wir werden in einer Energiemangelwirtschaft damit ausgelastet sein, die Grundbedürfnisse irgendwie zu befriedigen. Dann bleibt kein Spielraum mehr zum Zocken.

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