Es ist parlamentarischer Alltag: Ein Antrag der AfD-Landtagsfraktion NRW („Versorgungssicherheit und Arbeitsplätze sichern, weiteren Strompreissteigerungen entgegentreten: Kohleverstromung erhalten“ – Link am Ende) führte am 3. Juli zu einer Anhörung im Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung. Das Ergebnis ist sensationell, auch wenn es öffentlich kaum Widerhall finden durfte. Denn das Ergebnis paßt nicht in die erwünschte Landschaft der Selbsttäuschung.
Zunächst drehten sich Fragen und Antworten um die Ergebnisse der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (WSB)“, umgangssprachlich meist „Kohlekommission“ genannt. Einige Sachverständige feierten deren Abschlussbericht als guten Kompromiss, der Handlungssicherheit gäbe.
Dass dieser „Kompromiss“ offenbar nur von einigen akzeptiert wird, grüne Teilnehmer bereits am Tag nach dem Abschlussbericht ihre Unzufriedenheit zeigten, einen zeitigeren Ausstiegstermin forderten und weder NGOs noch linksgrüne Parteien ihre gewalttätigen Fußtruppen im Hambacher Forst zurückpfiffen, spielte in dieser öffentlichen Beweihräucherung eines klimadevot motivierten Ergebnispapiers der Kohlekommission keine Rolle. Sogar eine grüne Bundestagsabgeordnete hatte im Hambacher Forst dafür gesorgt, dass die Kriminellen versorgt wurden. Die Frage, ob sie vor Ort mäßigend oder eher anstiftend auf diese einwirkte, lässt sich leicht beantworten. In jedem Fall eine seltsame Interpretation eines gefeierten Kompromisses durch eine Bundespolitikerin.
Unter den geladenen Sachverständigen der Veranstaltung befand sich der Chef der „Hydro Aluminium Rolled Products GmbH“ aus Grevenbroich. Bereits in der schriftlichen Stellungnahme hatte er wie folgt ausgeführt:
„Die Frage nach einer sicheren Versorgung mit elektrischer Energie darf sich in einem Industrieland wie Deutschland auch zukünftig nicht stellen; bevor auf konventionelle Energieträger verzichtet werden kann, müssen Erneuerbare Versorgungssicherheit gewährleisten.“
Allein die Notwendigkeit, darauf explizit hinweisen zu müssen – in einem hochentwickelten Industrieland, das dazu noch Exportweltmeister ist – wirft ein bezeichnendes Licht auf den derzeitigen wirtschafts- und energiepolitischen Zustand des Landes.
Aluminium ist das jüngste und global am schnellsten wachsende Industriemetall. Stringent und glasklar, auch mit erkennbarer persönlicher Betroffenheit, gingen die Aussagen des Hydro-Chefs über den Tisch:
Die Kohleverstromung sei kein Selbstzweck, es gäbe eine Gleichrangigkeit der energiepolitischen Ziele (neben Umweltschutz waren Preiswürdigkeit und Versorgungssicherheit gemeint), Speicher seien nicht existent.
Im internationalen Wettbewerb mit China und den USA, die ihre Wirtschaft stützten, wollen wir in Deutschland das abschalten, worauf die Industrie beruht. Er wende sich nicht prinzipiell gegen das Aus der Kohle, mahnte aber an, dies erst vorzunehmen, wenn man funktionierende Alternativen hat.
Der Umstieg auf Gas, in den niemand investieren werde, wenn auch Gaskraftwerke 2050 abgeschaltet werden sollen, treibe politisch induziert die Preise, was in anderen Ländern nicht der Fall sei. Investitionsentscheidungen der Industrie würden global getroffen.
„Denn unser Aluminium genauso wie die Produkte der chemischen Industrie oder der Stahlindustrie werden nicht im Internet hergestellt, und die werden auch zukünftig nicht im Internet hergestellt. Unsere Arbeitsplätze sind auch nicht virtuell. Wenn Arbeitsplätze verloren gehen in der Industrie, dann ist es nicht irgendetwas in der Industrie, was sich in Nordrhein-Westfalen, in diesem großen Industrieland, schon regeln lässt, nein, das sind persönliche Schicksale von meinen Kollegen. Das bitte ich auch, zu berücksichtigen.“
Und dann schob er eine Nachricht hinterher, die inhaltlich der Höhepunkt der Veranstaltung gewesen sein dürfte:
„In unserem Fall ist es so – ich denke, ich spreche für weite Teile der Industrie –, dass selbst Ersatzinvestitionen derzeit verschoben werden.“
Im Klartext heißt das, verschlissene Anlagen nicht mehr zu erneuern. Wie bei Nachbar Klaus, der neulich sagte, er fahre seinen Golf jetzt bis zum bitteren Ende, repariere nur das Nötigste, ein neues Auto brauche er dann nicht mehr.
Die Reaktion der Parlamentarier auf diese höchst alarmierende Aussage war schwierig zu erkennen. War die Information angekommen? Es gehört zu den Grundfähigkeiten von Politikern, auch zu brisanten Informationen Pokerface zeigen zu können. In Zeiten selektiver Wahrnehmung besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass die Nachricht einige Empfänger gar nicht erreichte. Wenn die Aufmerksamkeit mit dem Smartphone geteilt werden muss und man sich nur bei Nennung von Schlüsselwörtern wie „CO2“ der Veranstaltung wieder geistig zuschaltet, kann die eine oder andere Botschaft schon verloren gehen.
Mit einer Vertreterin der BDEW¹-Landesgruppe NRW hatte der Hydro-Aluminium-Manager und hier auch Sprecher der energieintensiven Industrie eine Verbündete im Raum – leider nur theoretisch. Schließlich versteht sich der BDEW als Interessenverband der deutschen Unternehmen der Energie- und Wasserwirtschaft und sollte damit eng verbunden auch mit der energieverbrauchenden Industrie sein.
Die Beiträge von dieser Seite waren allerdings sehr ernüchternd. Neben Lobpreisungen der Ergebnisse der „Kohlekommission“ gab es wenig, im Grunde nichts, was den verlautbarten Sorgen der Industrie hätte entgegengestellt werden können. Hier einige Sätze, dem Zusammenhang entnommen, aber beispielhaft für die Vorstellungen beim BDEW. Nachzulesen im Protokoll (Verlinkung siehe unten).
– „Natürlich gibt es eine Menge zu tun“
– „Wir müssen die Rahmenbedingungen zügig angehen“
– „Das war einer der Hauptaspekte der WSB-Kommission, dass es gelungen ist, hier wirklich so einen breiten Konsens zu erzielen.“
– „Vor diesem Hintergrund muss man sich . . . wirklich auch jetzt mal die Chancen anschauen und vielleicht auch mal das Wörtchen „Wachstumsmöglichkeit“ in den Mund nehmen und in den Blick rücken.“
– „Diese Sachen muss man wirklich anpacken.“
– Zu den Netzen: „Auch das sind Sachen, die angepackt werden müssen. Die ergeben sich nicht von heute auf morgen, sondern die muss man planen. Auch dafür ist es natürlich wichtig, dass man die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft, um auch der Netzstabilität gerecht zu werden.“
– „Es muss wirklich hier Hand in Hand gehen. Man darf sich hier sicherlich nicht nur auf eine Maßnahme versteifen, sondern es muss ein ganzes Potpourri von Maßnahmen geben, um sicherzustellen, dass der Kohleausstieg klappt, aber auch die Integration der neuen dezentralen Erzeugungen.“
Sogar der altbekannte Fake, Wind- und Sonnenenergie seien die „Arbeitspferde“ der Energiewende, wurde ausgegraben. Arbeitspferde reagieren allerdings auf Kommandos und schlafen zwischendurch nicht ein.
Offenbar wurde: Wer als Industrie einen solchen Verband im Rücken hat, der steht mit dem Rücken zur Wand. Der braucht auch keine Feinde mehr.
Nunmehr soll eine Grüne Hauptgeschäftsführerin des BDEW werden. Obwohl Frau Andreae zum Realo-Flügel gerechnet wird, ist nicht schwer zu vermuten, wo ihre Prioritäten liegen werden. In der Abwägung zwischen Industrie und CO2-Emissionen wird sie sich für die Weltrettung durch Senkung deutscher Emissionen entscheiden. Stromverbrauchende Industrie ist hinderlich dabei.
Auch die Netzgefährdungen und die Abschaltungen der Aluminium-Schmelzen in NRW wurden angesprochen. Am 6., 12. und 25. Juni kam es zu kritischen Netzsituationen, die nicht durch Mangel an Erzeugungskapazität, sondern durch schlechtes staatliches Marktmanagement verursacht wurden. Ein neues Preismodell hatte dazu geführt, dass vorzuhaltende Regelenergie billiger war als der Strom auf dem Spotmarkt. Deshalb nahmen Marktteilnehmer lieber die billigere Regelenergie in Anspruch, als an der Börse Strom zuzukaufen. Die war dann allerdings ausgereizt.
Gewinnorientiertes legales Verhalten kann man keinem Unternehmen vorwerfen außer in Deutschland, wo ein grottenschlechtes Staatsmanagement die größte Gefahr für das Energiesystem darstellt.
Der Vertreter des „Landesverbandes Erneuerbare Energien“ zitierte die Kohlekommission mit der Aussage, die Strompreise würden „nur moderat“ steigen. Eine Zahl an Eiskugeln gab er zwar nicht an, aber was man von solchen Aussagen halten kann, sieht man an aktuellen Meldungen und Hintergrundinformationen wie vom „Tagesspiegel Background“ (19. Juli): „Industriestrom nochmals teurer“, 6,9 Prozent über die letzten zwölf Monate. Großhandelspreise und Netzgebühren seien gestiegen. Dazu wird 2019 auch die EEG-Umlage wieder steigen. Bis 2025 gäbe es kein Versorgungsproblem, verkündete er außerdem. Das legen wir mal in die Wiedervorlage.
Zweifel waren einigen Sachverständigen völlig fremd, obwohl selbst der niedersächsische Ministerpräsident Weil (SPD), bestimmt kein Gegner der Energiewende, der FAZ am 28. Juni sagte, dass ein „Neustart“ der Energiewende nötig sei. Einen Neustart muss man, beispielsweise am Computer, nur tun, wenn`s nicht mehr läuft. Und dann sagte Weil etwas für deutsche Politiker sehr seltenes: Der Webfehler von Anbeginn sei der Atomausstieg ohne Drehbuch gewesen. Die Aussage enthält einen so wahren Kern, dass alle anderen Politiker diesen Zusammenhang zwischen Atom- und Kohleausstieg zwanghaft zu erwähnen vermeiden. Sie legen im Gegenteil noch einen drauf und wollen jetzt auch ohne Drehbuch aus der Kohle aussteigen.
Die schlichte Tatsache, dass man vor dem Aussteigen wissen sollte, wo man einsteigt, ist politisch und medial völlig unterbelichtet und war auch in der beschriebenen Anhörung nur Randthema. Unterdessen ist der Rückzug der energieintensiven Industrie noch nicht statistisch, aber schon am Kapitalstock zu erkennen².
Nochmals aus der Stellungnahme Hydro:
„Allerdings vermissen wir die notwendige Konkretisierung der Maßnahmen zur Absicherung von Versorgungssicherheit und von Bezahlbarkeit für die der Stromerzeugung nachgelagerten industriellen Wertschöpfungsketten.“
Und die mündliche Ergänzung:
„Wir sollten deshalb unsere Energiepolitik logisch und gesamthaft weiter betreiben.“
Womit der Hinweis auf fehlende Logik im deutschen Energiewende-Experiment gegeben war. Sie wird ersetzt durch Glauben, Wunsch und Hoffnung.
Hier geht es zu den Dokumenten der Anhörung: Antrag, Stellungnahmen und Protokoll (Anhörung vom 3. Juli)
1) BDEW – Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V.
2) „Der langsame Rückzug der energieintensiven Industrien“
Handelsblatt v. 7.8.19
Nachtrag: Ergänzend bekannte Zahlen zum geplanten oder bereits laufenden Arbeitsplatzabbau renommierter Firmen. Die Aufzählung ist nicht vollständig, ich habe nicht zielgerichtet recherchiert. Der Großteil der entfallenden Arbeitsplätze ist tariflich hochwertig und hat entsprechende Steuerausfälle zur Folge.
Natürlich sind die Reduzierungen keine direkte Folge der Energiewende, aber Strompreise sind für die Wirtschaft maßgebender Faktor und standortentscheidend.
Mit einer weiteren nationalen finanziellen Belastung für CO2 verschlechtern sich für deutsche Unternehmen die Marktbedingungen im internationalen Wettbewerb.
BASF 6.000 bis 2021
Bayer 12.000 bis 2021
Siemens 2.700
Ford 5.000
Volkswagen 21.000 bis 2022
Thyssenkrupp 4.000
Kaufhof 2.600
Kuka 350
Sanofi 140
Deutsche Bank 18.000
WMF 400
Audi 13.500
Bosch 15.000
NordLB 2.400
Goodyear 1.100
Unicredit 2.500
Opel 600
Windindustrie 26.000 nur 2017, 2018 und 2019 weitere
Für die Bundesregierung ist die Bekämpfung des Klimawandels durch Senkung deutscher Emissionen der wichtigste Punkt auf der Agenda.
Eine weitgehende Deindustrialisierung kann die „Klimaziele“ 2030 erreichbar werden lassen.