Viele Hoffnungen verbanden sich mit dem guten Bundestagswahlergebnis der FDP von 2021. Hoffnungen auf ein Korrektiv, das Links und Grün auf der Erde hält, wirtschaftliches Handeln schützt und den Staat begrenzt, wo es nötig ist. Nach mehr als einem Jahr Ampelregierung ist davon nichts zu erkennen. Stattdessen Folgsamkeit auf einer grünen Energiewendespur.
Es gibt Sätze, die in Erinnerung bleiben: „Lieber nicht regieren als schlecht regieren“, Christian Lindner 2017. Das hatte was von Rückgrat und weckte Hoffnungen. Das Wahlergebnis im Bund 2021 bescherte der FDP 12 Sitze mehr und einen Anteil an der Macht. Dafür kehrte sich der Satz von 2017 um und das Rückgrat ist weg. Wer Gefallen findet an vollflexibler Politik, der ist bei der FDP bestens aufgehoben.
Die gelbe Partei ist bescheiden geworden. Ein Machtwörtchen des Kanzlers zu einer dreimonatigen Verlängerung der Kernkraft-Laufzeiten reichte, sie ruhig zu stellen. Parteichef Lindner sprach von einem wichtigen Beitrag für Netzstabilität, Stromkosten und Klimaschutz. Ursprünglich hatte er den Weiterbetrieb bis 2024 gefordert. Das sah seine eigene Partei vor nicht allzu langer Zeit noch anders.
In der Bundestagsdebatte über eine Weiternutzung der Kernkraft am 16. November 2021 sprach der „Klimaexperte“ der FDP, der Münchner Philosoph Lukas Köhler, von einer in der Sache falschen rückwärtsgewandten Debatte, einer „fast nationalistischen Idee“, als völlig absurd und später wiederum von einer „sozialistischen Idee“, das Risiko auf den Staat zu verlagern. Die Zuschreibung von national und sozialistisch zu diesem Antrag war ihm vielleicht deshalb wichtig, weil er von der AfD kam. Da gilt es, die Mauer der Ablehnung besonders hoch zu ziehen, unabhängig vom Inhalt. Solarparks in Portugal würden für einen Cent produzieren und wir müssten dem globalen Süden zeigen, dass eine Versorgung mit Erneuerbaren und Wasserstoff möglich sei. Momentan können wir es allerdings nicht zeigen. Aktuell versorgt uns ein Land von dort, Südafrika, mit rekordverdächtigen Mengen an Steinkohle.
Versorgungssicherheit würde durch ein hohes Maß an Flexibilität gelingen, womit sich Köhler eng an das von den Grünen propagierte Prinzip der „angebotsorientierten Versorgung“ stellte. Weiter behauptete er, „wir“ würden Speicher bauen (momentan baut keiner – jedenfalls nicht in erwähnenswerten Kapazitäten) und die Kernfrage sei: „Wer wird den globalen Süden mit Erneuerbaren Energien versorgen?“ Dies sei unsere Aufgabe. Diese Anforderung war allerdings neu, gehen doch die meisten davon aus, dass wir uns zunächst selbst so versorgen müssten. Aber alles kein Problem, „Erneuerbare“ und Wasserstoff würden es richten.
Die Tatsache, dass Strom aus Kernkraft sehr emissionsarm ist, spielt für den „Klimaexperten“ keine Rolle. Das ist auch schwierig zu verstehen für einen Geschäftsführer eines Zentrums für Umweltethik und Umweltbildung, der außer seiner Partei keinen praktischen beruflichen oder praktischen akademischen Hintergrund hat.
Die Entwicklung zwang Köhler allerdings zu flexibler Anpassung an die Realitäten. So sprach er am 23. Juni 2022 in einer aktuellen Stunde im Bundestag von einer zugespitzten Situation, man müsse nun über alle Optionen „nachdenken“, zum Beispiel über den verbesserten Einsatz von Biomethan. Die Lage sei hinzukriegen, „weil ich weiß, wie gut viele Dinge in dieser wunderbaren Koalition funktionieren“. Immerhin schloss er nach dieser Ergebenheitsadresse an Linksgrün die Laufzeitverlängerungen nicht mehr aus, ohne seinen Vorwurf des Nationalismus und des Sozialismus, der Rückwärtsgewandtheit und seine anderen Phrasen zurück zu nehmen. Immerhin ist er so von seiner Bedeutung beeindruckt, dass er Fragen des minderwissenden Wahlvolks auf abgeordnetenwatch.de nicht beantworten muss.
Inzwischen zeigte das Jahr 22 eine Minderung des Stromverbrauchs – bei gleichzeitig gestiegenen CO2-Emissionen. Vom fehlenden Atomstrom spricht die FDP nicht. Es könnte den Frieden dieser „wunderbaren Koalition“ stören.
Köhler reiht sich ein in eine Phalanx junger Abgeordneter, die weitgehend wissensbefreit über Felder sprechen, die sie nicht kennen. Robin Mesarosch von der SPD, früherer Social-Media-Referent mehrerer SPD-Abgeordneter und –innen gab in einer an Peinlichkeit kaum zu überbietenden Rede etwas vom Innenleben seiner politischen Generation preis. Wenn Ahnungslosigkeit und Ideologie fusionieren, sieht die Zukunft düster aus. Aber das ist die politische Basis, auf der die Energiewende steht. Mit Wehmut erinnern wir uns an Professor Martin Neumann, Fachmann und energiepolitischer Sprecher der FDP-Fraktion in der vorherigen Legislaturperiode.
FDP-Chef Lindner hatte sich wohl die Rede seines Liberalgenossen Köhler nicht angehört und auch nicht mit ihm gesprochen. Jedenfalls äußerte er sich mehrfach pro Kernenergie und sogar pro Fracking-Technologie, um dann den Begriff der „Freiheitsenergie“ einzuführen, der von den Ampelpartnern sofort auf die „Erneuerbaren“ gemünzt wurde und wohl auch so gemeint war. Die Erkenntnis, dass die Abhängigkeit dann nicht nur von Wind und Tageszeit, sondern auch von China besteht, überfordert offenbar alle Ampelparteien intellektuell.
Welche Erfolge hat die FDP bisher in der Ampel erreicht, welche Kernziele umgesetzt? Kinder dürfen ab 14 Jahren nach eigener Entscheidung das Geschlecht wechseln und (bis jetzt) verhinderte heroischer Widerstand ein generelles Tempolimit. Schulden heißen jetzt Vermögen, sie sind historisch hoch und trotz Energiemangels schalten wir weiter Kraftwerke ab und drehen uns selbst den Ölhahn zu. Die Bürokratie wird zügig ausgebaut und viele Betriebe des Mittelstands und im Handwerk stehen vor dem Aus. Dafür wird der Anbau am Kanzleramt kommen, vorsichtig von der FDP kritisiert.
In der „Datenbank Deindustrialisierung“ der Akademie Bergstraße ist der wirtschaftliche Niedergang zu besichtigen. Die Initiative „Rettet unsere Industrie“ versucht, den Schaden zu begrenzen. Hilfe von den Gelben ist dabei nicht zu erwarten. Braucht man einen biegsamen gelben Appendix an einer linksgrünen Regierung?