Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.
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Wasserstoffstrategie, die
Mit der kürzlich beschlossenen Wasserstoffstrategie soll Deutschland führend auf dem Gebiet der Gewinnung und Nutzung grünen Wasserstoffs werden. Nachdem sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die Energiewende in der früher beabsichtigten Form an fehlenden Speichern scheitern wird, ist der grüne Wasserstoff der mit Hoffnung beladene Messias der Energiewender.
Der aktuelle Hype um das erste Element des Periodensystems scheint mir von mehreren Missverständnissen begleitet. Minister Altmaier spricht von einem „Schlüsselrohstoff“ der Energiewende, was sachlich nicht korrekt ist. Ein Rohstoff ist im allgemeinen Verständnis und selbst nach Wikipedia ein aus der Natur gewonnener unbearbeitete Grundstoff. Beispielsweise Eisenerz oder Erdöl. Reiner Wasserstoff kommt in der Atmosphäre als Spurengas in einer Konzentration von 0,55 ppm vor (zum Vergleich: CO2 aktuell 417 ppm, steigend trotz Corona). Technisch ist es nicht möglich, H2 aus der Atmosphäre zu gewinnen. Es muss erst unter Energiezufuhr hergestellt werden, womit es kein Rohstoff, sondern ein Energieträger ist. Je nach Verfahren gilt für Wasserstoff folgende Farbenlehre:
Grau: Aus Erdgas durch Dampfreformation gewonnen (unter CO2-Emission)
Blau: Ebenso, allerdings unter Abscheidung und Speicherung oder Nutzung des anfallenden CO2
Türkis: Durch thermische Spaltung gewonnen (Pyrolyse)
Grün: Durch Elektrolyse gewonnenes H2
Violett: Durch Kohlevergasung hergestellt
Die Zukunft soll natürlich dem grünen Wasserstoff gehören, der erhebliche Strommengen erfordert, die zur Erreichung eines halbwegs vertretbaren Wirkungsgrades der Elektrolyseure konstant anfallen sollte. Mit nur zeitweise anfallendem und im Angebot schwankendem Strom lässt sich damit kein Blumentopf gewinnen. Selbst wenn die erforderlichen großen Strommengen verfügbar wären, ist der Prozess der Elektrolyse trotz heute deutlich verbesserter Anlagen von einem Wirkungsgrad, der eine Konkurrenzfähigkeit zum Erdgas und zum grauen Wasserstoff nicht erreichbar macht. Keine der bisher über 40 Pilotanlagen Power-to-Gas, teils bereits zehn Jahre in Betrieb, erreicht auch nur annähernd die Schwelle zur Wirtschaftlichkeit.
Der grüne Wasserstoff ist gegenwärtig etwa fünfmal so teuer wie fossiles Erdgas. Dennoch ist er umgeben von einem besonderen Zauber. Fast jeder hat im Chemieunterricht die Bläschen an den Elektroden aufsteigen sehen und das Prinzip verstanden. Daraus erwächst der allerdings falsche Eindruck, die Elektrolyse sei eine leicht zu beherrschende Technologie. Der Teufel steckt wie immer im Detail und nagt vor allem an der Wirtschaftlichkeit. Zunächst ist salzfreies Wasser notwendig und die Korrosion muss beherrscht werden. Der Wirkungsgrad liegt bei modernen Elektrolyseuren bei über 70 Prozent, im Labormaßstab wird auch mehr erreicht.
Moderne Elektrolyseure arbeiten als Hochdruck- oder Hochtemperaturanlagen, das heißt, für den Aufbau von Druck oder Temperatur ist Energie erforderlich. Dazu kommen Besonderheiten beim Handling des Wasserstoffs. Es ist ein einatomiges Gas geringer Dichte, das für Transport und Speicherung hohe Verdichterleistungen erfordert, es ist hochkorrosiv und leicht entzündlich (Knallgas). Für eine leichter handhabbare Weiterverwendung würde sich die Methanisierung anbieten, Ergebnis wäre das so genannte Windgas. Dazu ist allerdings CO2 nötig, dessen Herkunft in einer theoretisch künftig dekarbonisierten Welt fraglich ist. Möglich wäre auch die Bindung des H2 mit Dibenzyltoluol, was den Transport erleichtern würde, aber technisch noch am Anfang steht und entsprechende Infrastruktur voraussetzte.
Die Legende vom Strom ohne Ende
Optimistisch, aber weltfremd setzt die Wasserstoffstrategie voraus, tatsächlich über ungeheure Mengen grünen Stroms verfügen zu können. Den gleichzeitigen Atom- und Kohleausstieg vergaß man wohl oder hakte ihn bereits ab, ungeachtet der Tatsache, dass wir Ende der zwanziger Jahre ein Defizit an gesicherter Leistung im Stromnetz in der Größenordnung von 30 Gigawatt haben werden. Dafür sollen bekanntlich Wind und Sonne einspringen. Nun sollen fünf Gigawatt installierte Ökostromleistung bis 2030 und weitere fünf bis 2035 ausschließlich dem grünen Wasserstoff dienen. Schaut man sich die gegenwärtigen Zubauraten an, wundert man sich über diesen gigantischen Optimismus. Zudem soll der benötigte Strom von der EEG-Umlage befreit werden, was die Menge staatlichen Geldbedarfs für das System erhöht.
Sollte der Wasserstoff als Stromspeicher genutzt werden, das heißt mittels Rückverstromung über eine Gasturbine, liegt der Gesamtwirkungsgrad der Prozesskette bei unter 25 Prozent. Das ist keine Energiespeicherung, sondern Energieverschwendung.
Immense Mengen grünen Wasserstoffs wären künftig nötig. Wenn die chemische Industrie in Deutschland komplett bis 2050 auf Sektorkopplung umstellte und fossile Energieträger durch Strom und grünen Wasserstoff ersetzte, bräuchte sie dafür 628 Terawattstunden (TWh) Ökostrom jährlich. Das sind etwa 100 mehr, als der Gesamtstromverbrauch Deutschlands heute beträgt. Gegenwärtig stammen 180 TWh aus regenerativen Quellen. Nach überschlägiger Rechnung bräuchte man etwa diese 180 TWh, um die fünf Millionen Kubikmeter Kerosin, die der Flughafen Frankfurt im Jahr benötigt, auf synthetische Weise aus Grünstrom herzustellen.
„Ich will, dass das Wasserstoffthema fliegt“, so Wirtschaftsminister Altmaier (CDU)1. Besser wäre es, mit beiden Beinen auf der Erde bleiben und nüchtern zu kalkulieren, statt ein riesiges neues Subventionsfass aufzumachen. Die Windlobby freut es. Nun ist die Rede vom Markthochlauf, der in der energiewendetypischen „Was kostet-die-Welt“-Mentalität immer den Subventionsmarkt meint.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich bin nicht der Spielverderber und mir wäre nichts lieber, als dass eine Wasserstoffwirtschaft tatsächlich umweltverträglich funktioniert. Wir leben aber, ob es uns gefällt oder nicht, in einer globalen kapitalistischen Welt. Am Ende muss sich alles rechnen. Die Plan-, Subventions- und Binnenwirtschaft der DDR existierte nur temporär und auch der heute eingeschlagene Weg wird ohne globale Konkurrenzfähigkeit nicht erfolgreich sein.