Tichys Einblick
Ach wie schön ist verbieten

Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 91: Öko-Veto

Demokratie ist kompliziert und langwierig. Kein Wunder, dass Kräfte, die schnelle Veränderungen wollen, demokratische Systeme zu umgehen versuchen oder sie aushebeln wollen.

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Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.

Ö wie

Öko-Veto, das

Den Begriff des Vetos haben wir den alten Lateinern zu verdanken. In direkter Übersetzung bedeutet es: „ich verbiete“. Politisches Instrument wurde das Veto aber erst sehr viel später. In der polnischen Verfassung des 17. und 18. Jahrhunderts bestand die Möglichkeit des einzelnen Abgeordneten im Parlament, dem Sejm, mit einem „freien Veto“ (liberum veto) Beschlüsse zu verhindern.

Das Vetorecht eröffnet die Möglichkeit, dass eine Minderheit die Durchsetzung des Willens einer Mehrheit zeitweise oder gänzlich verhindern kann. Der UN-Sicherheitsrat ist dafür wohl ein Paradebeispiel, wo sehr oft das Vetorecht in Anspruch genommen wird. Das ist dann ein absolutes (verhinderndes Veto), neben dem es noch das aufschiebende (suspensive) Veto gibt.

Sprachverwirrung im Dienste des Klimaschutzes
Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 90: CO2-Verbrauch
Nun soll Nichtgewählten ein „Öko-Veto“-Recht eingeräumt werden. Machtausübung ohne Wählerwillen ist in der Geschichte nicht unbekannt. Schon im alten Athen wurden Mandatsträger ausgelost, in Belgien bildeten sich während der 18- monatigen regierungslosen Zeit um 2010 „Bürgerräte“, die die Zeit überbrückten.
Bei uns hatte der lange Zeitraum von der Bundestagswahl am 24. September 2017 bis zum Koalitionsvertrag zur GroKo vom 12. März 2018 durchaus Vorteile. In dieser Zeit konnten durch regierungsamtlichen Dilettantismus keine gravierenden politischen Fehler gemacht werden, die Menschen im Land konnten ihrer täglichen Arbeit nachgehen ohne Furcht, von Bürokratie-maximierenden Gesetzesänderungen belastet zu werden.

Regierungsfreie Zeiten und partizipative Demokratie können also auch vorteilhaft sein. Die Abgabe von Macht an Interessengruppen birgt indessen die Gefahr der Demontage der Demokratie. Dies wird selten so deutlich wie am Vorhaben der „Grossen Transformation“, die nach Schellnhuber und anderen nicht weniger als die Weltrettung zum Ziel hat und mit dem jetzigen politischen System natürlich nicht zu erreichen sei. Wer würde uns dann regieren? Laut Originaltext des „Großen Gesellschaftsvertrages“ wären das: „Global-Governance-Theoretiker, Völkerrechtler, Kosmopoliten, Transnationalisten und Gerechtigkeitsphilosophen.“ Die Abkehr von bestehender Konsumkultur und die Einführung neuer „Wohlfahrtsmaße“ wären Grundlagen von Verhaltensänderungen. Wohlstand wäre kein Thema mehr, sondern staatlich zugestandene Wohlfahrt. Wer diese Leute sind, wo sie herkommen, wer sie auswählt, darauf gibt es keine Antwort.

Wer nicht mitmachen will am neuen Weltmodell, für den gäbe es Sanktionsmechanismen im Völkervertragsrecht sowie Ombudsleute, Mediationsverfahren, alternative Streitbeilegungsverfahren, Konsensuskonferenzen und Szenarioworkshops. Die Gewaltherrscher, Diktatoren, Mullahs und Potentaten dieser Welt würden beeindruckt sein.

Menschengemachte Demokratiekatastrophe

Dennoch wäre es nicht weniger als der Versuch, eine neue Bewegung zu installieren zu einem „langen Marsch“, der die gewählten Institutionen umgeht. Basierend auf einem zur Panik gesteigerten Alarmismus, der jeglicher Abwägung und Wichtung die Basis entzieht und „das Klima“ zum alles und einzig entscheidenden quasireligiösen Parameter erhebt. Nun ist dieses „Hauptgutachten“ des WBGU („Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“) von 2011 offenbar ohne Folgen geblieben und muss im Zuge der vergrethisierten Politik neu belebt werden.

Der SRU („Sachverständigenrat für Umweltfragen“) fordert in einem Sondergutachten: „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen“. Es soll der „Legitimation von Umweltpolitik“ dienen, so als ob diese bisher illegitim gewesen wäre. Natürlich geht es nicht um die Umwelt, sondern um das „Klima“.
„ . . . in ökologischen Grenzen“ steht zudem im Titel. Wer definiert diese? Grundlage des Regierens ist das Grundgesetz, das auch den Schutz der Lebensgrundlagen beinhaltet.

Das Gutachten schlägt einen „Externen Rat für Generationengerechtigkeit“ vor, berufen von Bundestag und Bundesrat für 12(!) Jahre. Dieser soll dann ein suspensives Vetorecht erhalten und mit grüner Tinte in jeden Gesetzgebungsprozess eingreifen können. Damit könnten Gesetze für drei Monate behindert werden.

Mit dieser Forderung des Umweltrates drohe man in eine ernsthafte Demokratie-Krise abzugleiten, so Professor Martin Neumann, energiepolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. „Hier maßt sich ein nicht demokratisch gewähltes Gremium an, parlamentarische Initiativen der gewählten Volksvertreter zu verschleppen, zu zensieren und im Verbund mit öffentlicher Stimmungsmache schließlich zu kassieren.“

Der Vorstoß des SRU ist in der Tat nichts anderes als der Versuch, einen menschengemachten Demokratiewandel anzustoßen. Wer steckt dahinter? Im SRU versammelt ist eine Gruppe praxisferner Professoren und –innen aus dem Elfenbeinturm. Professoren für Umwelt und Gesundheit, internationalen Naturschutz, öffentliches Recht, Energieökonomie und Nachhaltigkeit, Erdsystemanalyse, Gebäudetechnologie, Kreislaufwirtschaft und Recycling.
Was fehlt? Elektrische Systeme, Netzbetrieb, Speichertechnologien, Wärmeversorgung, Verkehr, Energieinfrastruktur, Wasserversorgung, Landwirtschaft/Ernährung – Aufzählung nicht abschließend.

EU – wozu?

Schon mit Wehmut erinnern wir uns an den Wahlkampf zur EU-Wahl im Mai („Europa ist die Antwort“ – wie war gleich die Frage?). Davon abgesehen, dass die EU seitdem außer der Beschäftigung mit sich selbst mit internen Machtkämpfen in Form von Personalfragen nichts zustande gebracht hat, blieb uns die Lobpreisung der Größe der Bedeutung einer abgestimmt handelnden Organisation in Erinnerung, die schier alle und jegliche Probleme der EU-Bürger nachhaltig zu lösen in der Lage sein wird.

Reden und Handeln ist bei Politikern selten kongruent. Aber die Distanz zwischen den EU-huldigenden Sonntagsreden und den Taten ist gewaltig, nicht nur auf dem Gebiet der Energie. Altmaier befürwortete auf dem „BDI-Weltraumkongress“ kürzlich
einen deutschen Weltraumbahnhof. Zum einen scheint er über das nationale Handlungsvermögen beim Bau von Bahnhöfen für Fluggerät nicht korrekt informiert zu sein, zum anderen entfiel ihm wohl, dass es eine ESA gibt, die unter Nutzung von Synergieeffekten die Raumfahrt für alle Mitgliedstaaten optimal gestalten könnte. Sonntagsreden-Europäer können in ihrem Handeln kleingeistige Nationalisten sein. Dafür maßt sich eine andere Politikerin an, in die Energieangelegenheiten von Nicht-EU-Mitgliedsländern hineinreden zu können.

Bauernfängerei
Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 89: Klimaprämie
Im „Sondergutachten“ (wie auch im „Klimapaket“ der Bundesregierung) wird die EU strikt ignoriert. Wenn es um Klima und Weltrettung geht, bleiben auch die „führenden“ Wissenschaftler und die Regierung bei der deutschnationalen Nabelschau. Die Bundesregierung sollte sich genauer ansehen, von wem sie sich da beraten lässt. „Sage mir, wer Deine Freunde sind und ich sage Dir, wer Du bist“, pflegte meine Oma zu sagen, wenn ich mit ein paar zu wilden Kindern um die Ecken rannte. Die Bundesregierung sollte auf tendenziöse Beratung verzichten und sich breiter informieren lassen, vor allem im internationalen Rahmen.
Inzwischen beschleicht einen schon Wehmut angesichts des Abgangs von Sigmar Gabriel, der wenigstens erkannt hatte, dass die Energiewende eine „Operation am offenen Herzen“ ist. Die unterbrechungsfreie Versorgung ist für unsere maßgebenden Apologeten der Abschaltideologie offensichtlich kein Thema mehr.

Der Weg in die Ökodiktatur wird nicht funktionieren. Alles hängt mit allem zusammen. Der Zeitpunkt ist ungünstig, den Bürgern neue Belastungen aufzudrücken. Wirtschaftsminister Altmaier stimmt schon mal die Rentner auf schlechtere Zeiten ein. Das unterdurchschnittliche Rentenniveau in Deutschland (48,9 %, EU-Durchschnitt 70,6 %) wird wohl sinken müssen, aber die Weltrettung darf nicht verschoben werden. So gesehen bleibt uns der Eiskugel-Jürgen nicht als Umweltminister, aber als Sozialpolitiker in guter Erinnerung. Sein Dosenpfand bessert das Einkommen vieler Rentner auf.

Die Würde des Menschen kann auch durch immer teurere Energie angetastet werden. Ein Sozial-Veto hat noch niemand vorgeschlagen.


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