Tichys Einblick
Rationierung?

Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 64 – Szenariorahmen

Es gibt verschieden Möglichkeiten, in die Zukunft zu blicken. Eine Glaskugel könnte helfen, ist aber nicht mehr zeitgemäß. So rechnet man auf der Basis veralteter Wunschvorstellungen hoch.

Screenprint: BMWI

Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.

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Szenariorahmen, der

In unserer Energiewendewunderwelt drehen sich die Diskussionen munter um Utopien, Visionen, Szenarien, Prognosen, Projekten und Plänen gleichermaßen heftig wie undifferenziert. Szenarien sollen Struktur bringen. Ein Szenario ist eine Beschreibung einer möglichen Abfolge von Ereignissen, zuweilen auch ein Stück Plan, wie etwas ablaufen sollte oder könnte. Pappt man das Wort mit „Rahmen“ zusammen, erhält man einen Entwurf, der mehrere Varianten umfasst. Im Szenario für Film oder Theater kann man davon ausgehen, dass das spätere Kunstwerk dem weitgehend entspricht. Dies ist beim Thema Energie eher nicht zu vermuten.

Die Bundesnetzagentur (BNA) als obere Bundesbehörde veröffentlichte im Januar den Entwurf der vier großen Übertragungsnetzbetreiber für einen Szenariorahmen. Er behandelt den Netzentwicklungsplan Strom, der die wahrscheinliche Entwicklung der Stromerzeugungskapazitäten und des Stromverbrauchs für die Jahre 2025, 2030 und 2035 darstellt. Er enthält, wie ein Vorgängerdokument auch, ein konservatives Szenario, ein Transformationsszenario und ein Innovationsszenario. Grundlage des Dokuments sind die mittel- und langfristigen energiepolitischen Ziele der Bundesregierung, definiert durch das inzwischen veraltete Energiekonzept der Bundesregierung vom September 2010, ergänzt durch das so genannte Energiepaket der Bundesregierung vom Juni 2011.

Ohne hier auf das sehr umfangreiche Dokument näher einzugehen, zeigen die Protokolle der am 30. Januar in Berlin und am 1. Februar in Ingolstadt durchgeführten Dialogveranstaltungen, welches Denken bei teilnehmenden Diskutanten herrscht. Namentlich werden sie in den Protokollen nicht genannt, aber die teils sehr konkreten Äußerungen lassen eine große Beteiligung von Interessenten aus der Ökobranche vermuten.

Einige Fragen deuteten auch auf künftige Themen hin, zum Beispiel die nach der Höhe der Subventionen für konventionelle Kraftwerke, welche im weiteren Fortgang der Energiewende notwendig bleiben, aber nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können. Andere Teilnehmer äußerten Unverständnis, warum in den Szenarien überhaupt noch Braun- und Steinkohlekraftwerke enthalten sind und warum man die Paris-Ziele 2050 nicht noch unterbieten könne, wegen des Temperaturanstiegs. Breiten Raum in der Diskussion nahm die Sektorkopplung ein, auch über die Sinnfälligkeit des so genannten „all-electric-Szenario“. Was, wenn sich „grünes Gas“ als vorteilhafter erweist als die Elektromobilität? Auch dafür müsse ein Szenario her.

Windgas ohne Power

Eine stärkere Berücksichtigung von Power-to-Gas wird von der Behörde abgelehnt, weil: „Eine Anwendung von Power-to-Gas ist unter derzeitigen Randbedingungen nicht wirtschaftlich darstellbar.“ Dennoch unterstellt man einige Kapazitäten, weil „ . . . durch den hohen Erwartungsdruck der Energiewende-Stakeholder in diesem Bereich mit der Förderung solcher Anlagen zu rechnen sei.“ Es gibt also die klare Erwartung, dass auch künftig erwiesen unwirtschaftliche Technologien gefördert werden.

Im weiteren Verlauf der Diskussion heißt es dann im Protokoll deutlich: „Die Bundesnetzagentur erläuterte, dass sie aufgrund der marktwirtschaftlichen Gegebenheiten für den zu betrachtenden Zeitraum bis 2030/2035 keine wirtschaftliche Perspektive für ein umfassendes Power-to-Gas-Szenario sieht.“

Die Diskussionen führen oft in die Details, aber auch zu interessanten Ansätzen. So, wie man CO2-Emissionen bei der Betrachtung der Umweltverträglichkeit ansetzt, sei auch der Flächenverbrauch als Umweltindikator heranzuziehen. Eher schlecht für die Windkraft und Fotovoltaik auf der Wiese.

Eine besondere Form des „Wasch-mich-ohne-mich-nass-zu-machen“ zeigt die Forderung: „Der innerdeutsche Netzausbau dürfe nicht dem Stromhandel dienen, sondern lediglich der Integration von erneuerbaren Energieerzeugungsanlagen.“ Zum einen widerspricht dies dem liberalisierten europäischen Stromhandel und den EU-Bemühungen zur engeren Verflechtung der Netze, zum anderen fällt uns das bei eigenen zu erwartenden Stromdefiziten heftig auf die Füße. Dazu weiter unten mehr.

Offenbar uninformierte Diskutanten fragen nach, warum bei erwarteten 160 Gigawatt installierter Leistung der EE-Anlagen überhaupt noch konventionelle Anlagen nötig seien und dann noch Strom importiert werden müsse. Diesen Teilnehmern ein freundliches „Guten Morgen!“

Die Behörde antwortet laut Protokoll geduldig. „In diesem Fall sei es zunächst sehr wichtig, zwischen installierter Leistung (GW) und erzeugter Energie (GWh) zu unterscheiden. Die Erzeugung aus Photovoltaik und Windenergieanlagen sei stark wetterabhängig. Die gesicherte Leistung, also die Leistung die eine Anlage mindestens garantiert immer erbringen kann, sei bei PV-Anlagen null, da nachts kein Strom erzeugt werde. Bei Windkraftanlagen liege dieser Wert über ganz Deutschland betrachtet im einstelligen Prozentbereich.“ Genau genommen bei etwa einem Prozent.

Und natürlich kommt die Unterstellung, die Netzbetreiber wollten sich beim Netzausbau eine goldene Nase verdienen, die gierigen Raffzähne. Die Erkenntnis, dass deren Gewinn staatlich reguliert ist, hat noch nicht Raum gegriffen (siehe hier). Inzwischen kippte das OLG Düsseldorf die durch die BNA verfügte Kürzung der Renditen der Stromnetzbetreiber. Dieser Posten auf der Stromrechnung wird nicht sinken, sondern tendenziell künftig weiter steigen, je mehr Kabel für Flatterstrom verlegt werden müssen.

Wie immer bei Szenarien und Diskussionen zur Energiewende, bleibt ein Thema unterbelichtet. Was kostet die Musik und wer bezahlt sie?

Grüne Lobbypolitik

Wo grüne Gesinnung herrscht, sind Schuldzuweisungen unausweichlich. Der BNA wird in der Dialogveranstaltung „mangelndes Verantwortungsbewusstsein“ vorgeworfen. Sie berufe sich nur auf Gesetze und Vorschriften, die sie einzuhalten habe, und schöbe die Verantwortung in die Politik ab. Na hoppla! Eine Behörde hält sich an Gesetze und Vorschriften, das gibt es noch? Und Politik soll entscheiden? Die BNA verfüge über mehr Fachwissen als der Gesetzgeber und sei in der Pflicht, fachlich zu beraten. Da erwähnen wir kurz Eigenschaften unserer Politikerkaste wie Ahnungslosigkeit und Beratungsresistenz und ergänzen mit einer Fachaussage der Frontfrau und Quotilde der Grünen-Spitze, „Energieexpertin“ Baerbock im Deutschlandfunk vom 21. Januar:

„ … und natürlich gibt es Schwankungen. Das ist vollkommen klar. An Tagen wie diesen, wo es grau ist, da haben wir natürlich viel weniger erneuerbare Energien. Deswegen haben wir Speicher. Deswegen fungiert das Netz als Speicher. Und das ist alles ausgerechnet.“

Weder die Ziele beim Netzausbau, den Strompreisen, geschweige denn den CO2-Emissionen sind bisher erreicht worden. Nur ein Ziel wird regelmäßig erreicht und überboten: Der Ausbau der regenerativen Anlagen. Auch wenn der Strom nur noch schwierig abtransportiert werden kann, hohe Redispatchkosten anfallen und Geld für nicht produzierende Regenerative (Phantomstrom) bezahlt werden muss – der politische Arm der Ökoindustrie mit Namen Bündnis90 / Die Grünen fordert ohne Blick auf diese Randbedingungen den weiteren und beschleunigten Ausbau volatiler Einspeisung. Dies macht deutlich, dass die Lobby der Ökoindustrie am ganz langen Hebel sitzt und ihre Ziele weitgehend erreicht, während der Staat, der das Gesamtsystem des energiepolitischen Zieldreiecks im Auge haben müsste, nur unzureichend gegensteuern kann. Die Frage nach dem Warum lässt zwei Antworten offen: 1. Komplettes Unvermögen der Politik, 2. Unterwanderung der politischen Entscheidungsträger durch die Ökolobby. Da der Punkt 1 sicher eine Rolle spielt, aber aus vielen Äußerungen von Politikern hervorgeht, dass die Probleme durchaus erkannt werden, bleibt nur Punkt 2 als Erklärung zu vermuten.

Offenbar ohne Diskussion blieb eine am Ende des Szenario-Dokuments zu findende Passage zur Versorgungssicherheit: „Bereits ohne vertiefende Analyse ist feststellbar, dass der konventionelle Kraftwerkspark in Deutschland allein die residuale Jahreshöchstlast in keinem Szenario decken kann.“ Im Klartext ist dies die Ankündigung von Mangel, dem man mit Importen, wenn erhältlich, oder mit einer Verbrauchersteuerung entgegenwirken kann, die dann im Grunde eine Rationierung wäre.

„Die Größenordnung der fehlenden gesicherten Leistung kann unter der Annahme schwieriger Bedingungen mit 14,5 GW bis 25,8 GW als kritisch angesehen werden. Inwiefern ausländische Erzeugungskapazitäten über die angenommenen deutschen Importkapazitäten in Höhe von in Summe 42,0 GW in 2030 und 45,0 GW in 2035 diese Unterdeckung beheben können, wäre Gegenstand vertiefender Analysen.“

Diesbezügliche Szenariorahmen werden andere sein als die heutigen.


Bild: Screenprint Bundesministerium für Wirtschaft und Energie


Frank Hennig ist Diplomingenieur für Kraftwerksanlagen und Energieumwandlung mit langjähriger praktischer Erfahrung. Wie die Energiewende unser Land zu ruinieren droht, erfährt man in seinem Buch Dunkelflaute oder Warum Energie sich nicht wenden lässt. Erhältlich in unserem Shop:www.tichyseinblick.shop

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