Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.
U wie
Unterfrequenz, die
Als Unterfrequenz wird die negative Abweichung der Netzfrequenz vom Sollwert 50 Hertz bezeichnet. Generatoren mit einem Polpaar erreichen dann die Drehzahl von 3.000 Umdrehungen pro Minute nicht, sondern bleiben ein paar Umdrehungen drunter. Das Gleichgewicht von Erzeugung und Verbrauch ist nicht gestört, aber auf niedrigerem Niveau. Die Qualität des Stroms ist schlechter. Die Annahme, die Last sei einfach zu hoch oder die Erzeugung zu gering, ist aber nicht korrekt, weil dann der Frequenzabfall bis zum Zusammenbruch des Systems die Folge wäre.
In den vergangenen Januar- und Februarwochen verblieb die Netzfrequenz dauerhaft unter dem 50-Hertz-Sollwert. Üblicherweise werden solche Zeiten kompensiert durch eine folgende temporäre Fahrweise mit einem Sollwert größer als 50 Hertz, um die netzgesteuerten Uhren wieder exakt einzustellen. Dies gelang in den vergangenen Wochen offenbar nicht, so dass sich eine Zeitabweichung dieser Uhren ergab:
Quelle: Netzfrequenzmessung.de
Fast 350 Sekunden Verzug seit dem 3. Januar, das gab es in dieser Höhe seit mindestens 2011 nicht mehr. Wie ist also die länger andauernde Unterfrequenz der letzten Wochen zu erklären? Die wintergemäße Kälte aus dem Osten trifft uns nicht jedes Jahr, ist aber weder ungewöhnlich noch extrem. Die entsprechende Netzlast ließ fast alles laufen, was einen Generator hat. 1.600 Megawatt aus der Netzreserve sind durch deutsche Netzbetreiber aufgerufen worden.
Große Lastflüsse ergaben sich in Deutschland von Nordost (Netzgebiet 50Hertz) nach Südwest über die Netzgebiete von Tennet und TransnetBW. Dabei bewährte sich die Südostkuppelleitung (auch Thüringer Strombrücke genannt) von Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt nach Redwitz in Bayern. Sie kostete 300 Millionen Euro, nach Angaben von 50Hertz wurden durch sie in den knapp drei Betriebsjahren bereits 302 Millionen Euro Redispatchkosten vermieden. Dies all jenen zur Kenntnis, die den Netzausbau für überzogen halten, wie beispielsweise das DIW.
Da sich die Kälte bis nach Westeuropa ausdehnte, entstand in Frankreich eine große Lastsenke, bedingt durch viele Stromheizungen, mediterrane Gebäudedämmung, verschneite Solarpanele und eine schlechte Arbeitsverfügbarkeit der Kernkraftwerke. Von installierten 63.000 Megawatt konnten nur 51.000 abgerufen werden, was auch die Inbetriebnahme alter Ölkraftwerke und vor allem hohe Importe erforderte. Im öffentlichen Raum wurde teilweise die Beleuchtung abgeschaltet.
Auch Italien, ganzjährig Nettoimporteur von Strom, zieht den Strom nach Süden.
Die Erneuerbaren lieferten mal mehr, mal weniger. Der Januar war ein guter Windmonat, auch wenn mehrfach Minima von weniger als 1.000 Megawatt auftraten (bei 56.000 Megawatt installierter Leitung). Im Februar betrug das Minimum sogar nur 237 Megawatt. Für die Versorgung nicht zu gebrauchen, nur als ergänzende Einspeisung.
Warum gelang es bisher trotz offensichtlicher Bemühungen nicht, die Netzzeit aufzuholen? Swissgrid, der Schweizer Netzbetreiber, spricht von einem Verbundnetzpartner, welcher Probleme mit der Fahrplantreue habe. Das Problem sei bekannt und werde durch Zusammenarbeit aller Verbundnetzbetreiber gelöst. Wer der „untreue“ Verbundnetzpartner ist, wird nicht gesagt, aber der Blick nach Frankreich ist vermutlich nicht abwegig. Dennoch kann es andere Einflüsse geben, zum Beispiel optimierte Fahrweise durch die Netzbetreiber. Sagt die Wetterprognose baldigen Wind voraus, verzichtet man unter Umständen auf teure Regelleistung und nimmt eher temporär die Unterfrequenz in Kauf. Das ist aber nicht nachweisbar.
Auch in Zukunft wird es solche Winter geben. Die jetzige Situation war angespannt, aber nicht dramatisch. Die Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke, die angekündigten Stilllegungen von Fessenheim und Cattenom sowie das absehbare Ende von Tihange in Belgien dürften die Versorgungssituation in Mittel- und Westeuropa verschlechtern. Zusätzlich gehen deutsche Kohlekraftwerke zwangsweise in die Kaltreserve mit folgender Stilllegung. Die Bilanz wird eng, vor allem, solange die Suedlink-Trasse aus dem Norden noch nicht steht (beziehungsweise in der Erde liegt). In den deutschen Szenarien zur künftigen Stromversorgung sollte man Importe besser nicht einkalkulieren.
Hoffen wir, dass die geplanten Netzausbaumaßnahmen zügig vorangehen. Wer zu spät kommt, wird manchmal doch vom Leben bestraft.
Frank Hennig ist Diplomingenieur für Kraftwerksanlagen und Energieumwandlung mit langjähriger praktischer Erfahrung. Wie die Energiewende unser Land zu ruinieren droht, erfährt man in seinem Buch Dunkelflaute oder Warum Energie sich nicht wenden lässt. Erhältlich in unserem Shop:www.tichyseinblick.shop