Tichys Einblick
Vergifteter Abschied

Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 50: Klimaschutzlücke

Barbara Hendricks spielte Regierung und Opposition zugleich, warf ihrem eigenen Land und der Kanzlerin, der sie bisher bedingungslos folgte, Versagen vor. Das CO2-Reduktionsziel, 40 Prozent bis 2020 (Basisjahr 1990), sei nicht mehr zu erreichen.

© Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

Liebe Leserinnen, liebe Leser, dies ist die 50. Folge des „ABC des Energiewende- und Grünsprech“. Als ich Anfang 2016 die ersten Beiträge schrieb, ging ich davon aus, dass sich die Zahl der geeigneten Begriffe alsbald erschöpfen und die Serie auslaufen würde. Inzwischen ist klar, dass nicht nur rund um die Energiewende eine neue Sprachsphäre mit spezifischer Akrobatik entstanden ist, die oft dem Vernebeln und Täuschen dient anstelle der Information und Erklärung. Inzwischen ist die mediale deutsche Öffentlichkeit in Gänze davon erfüllt, wie auch Fritz Goergen hier anmerkt.

Mit dem weiteren Fortgang der Energiewende nimmt die Anzahl erklär- und kommentierfähiger Begriffe eher zu. Mit jedem weiteren regulatorischen Eingriff und jeder Gesetzesnovelle, mithin jeder weiteren politischen Einmischung in den Markt, steigt die Komplexität dieses deutschnationalen Vorhabens weiter an. Die Erfolgswahrscheinlichkeit steigt dadurch allerdings nicht.

Unlängst wurde die Energiewende – wieder einmal – mit der Mondlandung verglichen. Einen unpassenderen Vergleich kann man sich kaum denken. Das Apollo-Projekt war strukturiert und es gab konkrete Vorstellungen, wie das Ziel erreicht werden würde. Jeder einzelne Flug war minutiös durchgeplant und es bestand natürlich Klarheit über die zur Verfügung stehende Technik. An Kosten schlugen nach heutigem Maßstab reichlich 100 Milliarden Euro zu Buche.

Die Rechnung der Energiewende liegt heute schon weit darüber und es gibt Gewissheit, dass sie weiter wächst. Wesentliche Ziele wie die CO2-Minderung werden nicht erreicht. Eine Gemeinsamkeit gibt es dann doch. Die Mondlandung als Projekt des kalten Krieges hatte für die Amerikaner das Ziel, mit dem ersten Menschen auf dem Mond ein Zeichen zu setzen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse waren den Aufwand nicht wert. Die Energiewende soll auch, glaubt man den Äußerungen vorreitender Politiker, weltweit ein Zeichen setzen und nachgeahmt werden. Allerdings soll sie auch – und das ist das Problem – die infrastrukturelle Basis für unsere Zukunft liefern. Es gibt jedoch keinen Plan, dafür umso mehr Visionen und einige wenig belastbare hochtheoretische Szenarien. Im Branchenmagazin des BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V.) wird das so formuliert: „Die Energiewende entpuppt sich eben nicht als ein von der Politik beschrittener „langer Marsch“, sondern als ein Abenteuer, das jederzeit in die eine oder die andere Richtung gehen kann und in dem bisweilen auch das Chaos regiert.“

Ausgerechnet der technikfeindlichste und naturwissenschaftlich ungebildetste Teil unserer Politiker stellt die Weichen in naiver Hoffnung auf in Kürze verfügbare aber noch zu erfindende Technik und auf Technologiesprünge, die alsbald stattfinden würden. In der Praxis ist dies nicht absehbar. Andere Politiker handeln kalkuliert und hängen die Fahne in den vermeintlich korrekten Wind oder vertreten die Lobby der Ökoindustrie. Aber ich möchte nichts dem bösem Willen oder dem Eigennutz zuschreiben, was nicht auch durch Dummheit hinreichend erklärbar wäre.
Dass unsere energetische Zukunft nicht darin bestehen kann, statt Atomkernen Vögel zu spalten, ist offensichtlich.

Vielen Dank für Ihr Interesse und die oft wohlmeinenden und ergänzenden Kommentare, auch für das Feedback zum Buch „Dunkelflaute“. Besonders interessant sind für mich ergänzende Informationen und Verweise auf andere Quellen. Bleiben Sie aufmerksam und wachsam und beteiligen Sie sich offensiv am politischen und wirtschaftlichen Diskurs in unserem Land. Er ist nötiger denn je.


Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.

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Klimaschutzlücke, die

Dieser neue und schöne Begriff wurde uns im Vorfeld von COP 23, der Weltklimakonferenz in Bonn, von Frau Hendricks (SPD) geschenkt. Die noch amtierende Umweltministerin ohne Anschlussverwendung, eine der eher düsteren Kerzen auf dem demotivierten aber amtierenden schwarz-roten Regierungskronleuchter, lief sich für ihren Auftritt im Bonner World Conference Center warm. Dabei spielte sie Regierung und Opposition gleichzeitig, indem sie ihrem eigenen Land und der Kanzlerin, der sie bisher bedingungslos folgte, im Grunde Versagen vorwarf. Das CO2-Reduktionsziel Deutschlands, 40 Prozent bis 2020 (Basisjahr 1990), sei nicht mehr zu erreichen, Prognosen gingen inzwischen von „nur“ 32 Prozent aus. Sie geißelt die fehlenden acht Prozent und reiht sich in den grünen Abschaltchor ein, ohne eine Einschaltidee zu haben.

In Zahlen ausgedrückt bedeutet das Nichterreichen eine Abweichung von etwa 30 Millionen Tonnen CO2. Bei einer globalen anthropogen verursachten Emission von etwa 35.000 Millionen Tonnen jährlich entspricht diese Menge etwa 0,085 Prozent und ist in ihrer Klimawirkung unerheblich. Weltweit sind etwa 1.600 Kohlekraftwerke im Bau oder in Planung, völlig unbeeindruckt vom Pariser Klimavertrag. Lauscht man der Noch-Ministerin unbedarft, fürchtet man sich davor, dass wegen unserer 30-Millionen-Tonnen-Lücke nach 2020 die Sonne nicht mehr aufgeht, die Sintflut kommt und die Vögel tot vom Himmel fallen. Letzteres passiert ohnehin in zunehmender Zahl, aber das aus ganz anderen Gründen.

Nein, das denkt Frau Hendricks natürlich nicht. Sie fürchtet nur, dass wieder einmal ein „Zeichen“, das gesetzt werden sollte, nicht erreicht wird. Bei der Elektromobilität und der Zielvorgabe von einer Million Fahrzeugen bis 2020 wird die Kanzlerin noch viel deutlicher scheitern, ohne dass die Welt davon merkbar Notiz nehmen wird. Zunehmend besteht deutsche Politik nicht mehr darin, praktisch sinnvolle Ziele zu erreichen, sondern im „Zeichen setzen“. Im ideologischen Windschatten der Abschalter toben sich Organisationen extremer Ausrichtung wie „Ende Gelände“ fröhlich in der Landschaft aus und begehen im rheinischen Revier Landfriedensbruch und Sachbeschädigung. Dazu dröhnendes Schweigen der Parteien, die linksgrüne Qualitätspresse bringt dies im Stil einer Verkehrsmeldung und schiebt nach, dass die Braunkohle als verantwortlich für den Klimawandel „gilt“. Mediale Reinwaschung, die Kriminalität moralisch legitimiert.

Inzwischen logieren 25.000 Teilnehmer aus aller Welt für 12 Tage bei Vollpension in Bonn und beraten über die ab 2020 jährliche Verteilung eines Kuchens von 100 Milliarden Euro. Die meisten der teilnehmenden Länder sind Nehmerländer, weshalb sie vollen Einsatz zeigen werden, um ein möglichst großes Stück zu bekommen. Natürlich widerspricht auch niemand aus diesem Kreis der Theorie des menschengemachten Klimawandels, sondern es wird eifrig genickt. Die Türkei steht noch quer im Stall, weil sie in Paris als Industrieland eingestuft wurde und damit zahlen müsste. Da sei Erdogan vor. Deutschland stockt schon mal um 100 Millionen den Klimafond auf, schließlich fallen die USA als Zahler weg.

Frau Hendricks möchte ihr Lebenswerk krönen, in den Geschichtsbüchern stehen als Veranstalterin des einmaligen COP23, auf dem es gelang, die entscheidenden Weichen zu stellen, die maßgeblich zur Weltrettung führten. Unbeeindruckt von den Folgen schneller Denuklearisierung und –karbonisierung betreibt sie ungehemmten Klimapopulismus, der aber nach mehr als 20 Jahren Klimaalarmismus in großen Teilen der Bevölkerung nicht mehr verfängt.

Natürlich erfordert die Weltrettung entschiedenes, mutiges, ehrgeiziges, progressives
(Lieblingsadjektiv bitte selbst wählen) Herangehen und keinerlei Abwägung. Auch Wirtschaftsministerin Zypries und Parteivorsitzender Schulz gehören zur SPD und stehen hinter der Noch-Umweltministerin. Die Kanzlerin (CDU) stützt diesen Kurs sowieso. Beide Parteien sind krachende Verlierer der jüngsten Bundestagswahl, wollen jetzt aber aus dem Status der Nachspielzeit heraus Entscheidungen treffen, die Deutschlands Zukunft schwer belasten. Neben der Arbeitsverweigerung nach den Bundestagswahlen, die darin bestand, aus parteitaktischen Gründen die Niedersachsen-Wahl abzuwarten und über volle vier Wochen nicht zu handeln, ergibt sich eine weitere politische Hypothek, die bei nächsten Wahlen den Zulauf zu den ehemaligen Volksparteien senken wird.

Ziele, die sich realistisch nicht erreichen lassen, kann man korrigieren. Ziele, die nur als Zeichensetzung, Symbolik und Imponiergehabe vor der Welt entstehen, können bei Nichterreichen zur Blamage führen und bringen unser Land nicht voran – im Gegenteil.

Die Konferenz findet in einer dunklen Jahreszeit statt, es wird viel Saalbeleuchtung nötig sein. Am Eröffnungstag, am 6. November um 16 Uhr stellte sich der deutsche Energiemix so dar: Bedarf 67,79 Gigawatt, davon abgesichert durch Kernkraft, Stein- und Braunkohle – 45,95 GW, entspricht 68 Prozent. Wind- und Sonnenkraft: 1,59 GW, entspricht 2,35 Prozent. Würde man bei diesem aktuellen Windaufkommen zumindest Kernkraft und Braunkohle (27,33 GW) durch Wind ersetzen wollen (Arbeitsverfügbarkeit aller Windkraftanlagen in diesem Moment: 2,67 Prozent), müsste die installierte Leistung der verfügbarer Windkraftanlagen von jetzt 53.590 Megawatt auf etwa das Zwanzigfache erhöht werden. 27.270 Anlagen standen Ende 2016 in Deutschland und in Nord- und Ostsee. Der Fantasie sei Raum gegeben.

Alles klar auf der Andrea Doria. Der Kurs geht mit Volldampf in die Klimaschutzlücke – aber die ist vor allem ein Problem für die Zeichen setzende Kapitänspensionsanwärterin Hendricks – nicht für unser Land und die Welt.

Al Jazeera schreibt, in Deutschland wurde viel in Erneuerbaren Energien getan, aber das Land hängt zu 40 Prozent von der schädlichen fossilen Kohle ab, die Gefährdung von Tausenden Jobs hat Politiker nicht ermutigt, von der Kohle zu lassen.


Frank Hennig ist Diplomingenieur für Kraftwerksanlagen und Energieumwandlung mit langjähriger praktischer Erfahrung. Wie die Energiewende unser Land zu ruinieren droht, erfährt man in seinem Buch Dunkelflaute oder Warum Energie sich nicht wenden lässt. Erhältlich in unserem Shop:www.tichyseinblick.shop

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