Es södert aus dem Süden. Auf 2030 soll der Kohleausstieg vorgezogen werden, empfiehlt der aktuell regierende bayrische Löwe. Dies sei die effektivste Strategie, die „Klimaziele“ 2030 zu erreichen. Drei Gründe mögen Herrn Söder veranlasst haben, diese Forderung zu erheben. Zum einen nimmt eine schnellere Senkung der Emissionen im Energiesektor etwas den Druck von der Automobilindustrie. Die ist in Bayern immer noch erfolgreich und privatwirtschaftlich organisiert, eine Vergesellschaftung nach Kevins Vorstellung ist erst nach ihrem wirtschaftlichen Zusammenbruch denkbar (in „Auffanggesellschaften“ und selbstverständlich als „Chance“ interpretiert). Zum zweiten denkt man an der Isar, man bleibe vom Abschied von der Kohle unbeeinflusst.
Der dritte Grund dürfte pekuniärer Erwägung entspringen. Je länger sich der Kohleausstieg zieht, desto mehr Geld könnte in die Ausstiegsregionen fließen. Da man den Kohlestrom aber aus Gründen der Systemsicherheit noch braucht, wird er am Tropf der Staats- oder Verbraucherknete hängen. Je länger ein Strukturwandel in den Ostländern dauert, desto teurer. Der jahrzehntelange Steinkohleausstieg stellt sich in der Rückschau als zu teuer heraus, zumal das Ruhrgebiet heute wirklich nicht zu den Boomregionen des Landes gehört.
Den Ostlern einen zweiten, diesmal politisch motivierten Strukturbruch nach 1990 überzuhelfen, scheint einfacher. Die schaffen das und nach Westen abwandernde Arbeitskräfte sind gut gegen den dortigen Fachkräftemangel, der durch Buntheit allein wohl nicht bewältigt werden kann.
Nun haben die Bayern, wie alle gut Betuchten, ein enges und strenges Verhältnis zum Geld. Dies ist keinesfalls als Vorwurf gemeint. Im Gegenteil, das ist die Grundlage des bayrischen wirtschaftlichen Erfolgs.
Schon vor einiger Zeit sagte Markus Söder: „Der Norden hat den Wind, Ost und West Ersatzgeld für die Kohle und wo bleibt der Süden? Auch Bayern und Baden-Württemberg als Wirtschaftsregionen brauchen eine nachhaltige energiepolitische Perspektive.“ Er könnte dazu die ehemaligen CSU-Bundestagsabgeordneten befragen, die 2011 den Atomausstieg mit beschlossen (CDU/CSU: 224 Ja- und 5 Neinstimmen). Die Kolleginnen und Kollegen werden doch gewusst haben, was sie da beschließen und wie die süddeutschen Kernkraftkapazitäten ersetzt werden. Ahnungslosigkeit oder blinde Kanzlerinnenfolgschaft wird von den damals Beteiligten allerdings kaum jemand zugeben.
Tief im Innern der bayrischen Seele brodelt natürlich der jahrelang aufgestaute Zorn über die Berge von Geld, die jedes Jahr über den Länderfinanzausgleich in den Norden geschaufelt werden müssen. Das ist verständlich, aber zum Glück sorgt das EEG mit seinen Kapitalströmen von unten nach oben, also von arm zu reich, für einen soliden Rückfluss. 2017 zahlte Bayern 5,9 Milliarden Euro an andere Länder, 5,48 Milliarden Euro kamen bundesweit eingesammelt über die massenhaft verspiegelten bayrischen Haus- und Scheunendächer, riesigen ökologisch fragwürdigen Freiflächenanlagen und Bioenergieanlagen zurück.
Der Hartzer aus Bremen, der in Marzahn wohnende Hermes-Bote und die Rentnerin aus Recklinghausen garantieren den Villenbesitzern am Starnberger See (26,5 Prozent Grünwähler bei der Landtagswahl 2018) die auskömmliche Rendite auf dem Dach.
Markus Söder sorgt sich ums Geld, das Problem ist aber ein anderes. Die energetischen Besonderheiten der Südzone sind vielfältig. Heute gibt es permanente Stromflüsse aus deutscher Nord- und Nordostrichtung nach Bayern, die zurückgehen werden. Vorgänger Seehofer machte gegen den Ausbau von Freileitungen mobil und erreichte beim damaligen Wirtschaftsminister Gabriel, dass ein Großteil der Leitungen aus Richtung Norden verbuddelt werden soll, zum etwa achtfachen Preis, mit längeren Bauzeiten und deutlicheren Umweltauswirkungen. Eine teurere Strompreiszone Süd als Forderung aus Brüssel konnte die Bundesregierung noch abwehren. Eine Ewigkeitsgarantie gibt es dafür nicht.
Schlechter Deal
Seit April hat sich die deutsche Strom-Außenhandelsbilanz deutlich geändert (hier für verschiedene Zeiträume sichtbar). Der Stromüberschuss tagsüber, hervorgerufen durch die hohe installierte Solarkapazität und sonnenreiche Sommertage, führt zum Export in die Nachbarländer. Konventionelle Kraftwerke, vor allem auf Steinkohle-Basis, gehen außer Betrieb und bleiben dies aus Gründen der Wirtschaftlichkeit auch für die Nachtstunden. Die Anfahrkosten im fünfstelligen Euro-Bereich und der höhere Verschleiß im Stop-and-go-Betrieb sind der nachvollziehbare Grund. Zudem führen die gestiegenen Zertifikatepreise für CO2 zu höheren Gestehungskosten und Börsenpreisen, so dass sich der Import eher lohnt.
Wir exportieren subventionierten abnahmepflichtigen Solarstrom für wenig Geld an unsere Nachbarn und importieren nachts zu höheren Preisen zurück. Im Saldo ein auf die Verbraucher umgelegtes Verlustgeschäft.
Die Habsburger kommen vor Lachen kaum mehr in den Schlaf. Nicht nur, dass die gescheiterte Ö-Maut auf die Piefkes zurückschlagen wird, durch den Stromhandel mit Deutschland machen sie prächtige Geschäfte. Mit dem für sie billigen germanischen Sonnenstrom füllen sie die Oberbecken ihrer Pumpspeicherwerke, um nachts quasi denselben Strom aus herunter fließendem Wasser mit deutlichem Gewinn zurück zu verkaufen.
Nun könnten die Bayern mit einem eigenen Kohleausstieg vorangehen. Um im Jargon zu bleiben: Vorreitend, ehrgeizig, entschlossen, mutig, ambitioniert, verantwortungsbewusst, klimagerecht, unbeirrt und mit welchen Adjektiven man beschleunigte Abschaltungen noch so bezeichnen will. Die progressive Münchner Bevölkerung stimmte schon 2017 für die Abschaltung des Kohleblocks des Heizkraftwerks Nord der Stadtwerke bis 2022. Nun teilt das Unternehmen mit (1), dass es nicht gelungen sei, die thermischen 420 Megawatt in der Wärmeversorgung zu ersetzen. Zudem sei davon auszugehen, dass die Bundesnetzagentur die Anlage als systemrelevant einstufen und eine Stilllegung untersagen wird.
Die Suche nach Alternativen sei erfolglos gewesen. Die Errichtung einer GuD-Anlage in Unterföhring sei vom Gemeinderat abgelehnt worden, der Bau sieben dezentraler Heizwerke im Münchner Stadtgebiet sei am „Nein“ der jeweiligen Bezirksausschüsse gescheitert. Nun will man verstärkt Geothermie nutzen. Auch hier ist Widerstand zu erwarten, wenn die Bürger in den potenziellen Bohrgebieten die Erfahrungen mit der Geothermie im baden-württembergischen Staufen wahrnehmen. Schon vor den ersten Informationsveranstaltungen werden sich die Bürgerinitiativen gegründet haben. Vor der Hacke ist es duster, sagt der Bergmann. Vor dem Brunnenbohrer ist es genauso.
Gut gebrüllt, Löwe? Wann kommt nun der bayrische Kohleausstieg? Schaun mer mal. Sollen doch andere erst mal abschalten und die Bajuwaren dennoch versorgen, wenn die aus CSU-Sicht unsicheren Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Seit wir wissen, dass es Menschen gibt, die CO2 sehen können, soll kein CO2-Molekül aus böser Kohle den weiß-blauen bayrischen Himmel mehr trüben.
Die Berliner sind da allerdings weiter. Sie werden bis 2030 aus der Kohle aussteigen und das auch schaffen, dank Brandenburg. So gesehen sind die Überweisungen von München nach Berlin nicht als Länderfinanzausgleich zu sehen, sondern als Klimamilliarden. Das ändert nichts am Sachverhalt, schmerzt aber nicht mehr so.
1) „energate messenger“ vom 4.7.2019