Tichys Einblick
Kraftwerkstrategie

Eine Strategie ohne Basis

Das Genehmigungsverfahren für neue Gaskraftwerke der EU-Wettbewerbskommission wird aufwändig und zeitraubend. Die Kosten dafür sind noch nicht bezifferbar und das Ergebnis ist zudem offen. Das Ganze kann für die Grünen so enden wie das Maut-Desaster der CSU.

IMAGO

Nun ist die Ampel auf Grün gesprungen und die Regierung gibt Gas. Jedenfalls äußert sie diese Absicht, nach schwerem Ringen. Es geht um Kraftwerke, die teures Erdgas brauchen und die später Wasserstoff verheizen sollen, den wir vorerst nicht haben. Absichtsbekundungen werden als Strategie verkauft.

Monatelang wurde eine Kraftwerksstrategie angekündigt und wieder gibt es nur Stückwerk. Der Ampelberg kreißte und gebar ein hochtheoretisches Erdgas-Wasserstoff-Mäuschen. Die Erkenntnis, dass neue Kraftwerke gebraucht werden, wenn Atom und Kohle ins Nirwana geschickt werden sollen, ist seit spätestens Januar 2019 verbrieft. Der Hinweis erschien im Abschlussbericht der „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (KWSB), heute meist nur Kohlekommission genannt, denn ihre eigentliche Aufgabe bestand darin, den Kohleausstieg festzumachen.

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Das darauf aufbauende Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) betonte die Versorgungssicherheit und erforderlichen Ersatz, aber während die Abschalttermine der Kohlekraftwerke taggenau festgelegt oder „ersteigert“ wurden, gab es keine definierten Einschalttermine. Mithin haben zwei Bundesregierungen fünf Jahre lang in Untätigkeit verharrt und wohl in der Naivität der Berliner Blase gehofft, dass sich mit dem starken Zubau der „Erneuerbaren“ das Thema irgendwie von selbst erledigt.

Vier mal 2,5 Gigawatt (GW) installierter Leistung an Gaskraftwerken sollen „kurzfristig“ ausgeschrieben werden, wobei diese 10 GW deutlich weniger sind, als beispielsweise der BDEW (15 GW), das Energiewirtschaftliche Institut der Uni Köln (EWI, 23 GW) und der BDI (43 GW) einschätzten.

Die Investoren sollen Förderungen erhalten, also Subventionen. Das ist notwendig, weil es in der deutschen Energiewirtschaft keine selbstregelnde Wirkung aus Angebot und Nachfrage mehr gibt. Die Art der Förderungen scheint noch nicht klar zu sein. Sowohl Bau als auch Betrieb sollen finanziell gestützt werden. Wie die Kombination aus Investitionszuschüssen und einem Kapazitätsmarkt, d.h. der Vergütung vorzuhaltender Leistung, aussehen soll, ist noch offen. 2028 soll dieser Kapazitätsmarkt greifen. Wie er konkret aussieht, müsste zum Zeitpunkt der Ausschreibungen allerdings für potenzielle Bewerber bekannt sein.
Das Genehmigungsverfahren seitens der EU-Wettbewerbskommission wird aufwändig und zeitraubend. Die Kosten dafür seien noch nicht bezifferbar und das Ergebnis ist zudem offen. Das Ganze kann für die Grünen so enden wie das Maut-Desaster der CSU.

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Auch die Erdgasversorgung ist zu hinterfragen. Präsident Biden will aus „Klimagründen“ weniger LNG exportieren, ein möglicher Präsident Trump möglicherweise aus protektionistischen Gründen. Gleichzeitig ist in Groningen das größte westeuropäische kontinentale Gasvorkommen ausgefördert und die Ukraine wird vermutlich ab 2025 kein russisches Gas mehr in Richtung Slowakei, Tschechien und Österreich durchleiten. Für diesen Fall hatte Minister Habeck schon Hilfe zugesagt, selbst wenn wir dann unsere Wirtschaft runterfahren müssten. Die Gaskraftwerke auch?

Gegen die Erschließung unserer eigenen Vorkommen durch Hydraulic Fracturing stemmen sich die Rotgrünen mit aller Kraft, haben mit der Nutzung der Technologie im Ausland aber überhaupt kein Problem. Ob man das nun bigott oder heuchlerisch nennen soll, ist Ansichtssache. Für den grünen oder blauen Wasserstoff, der aus aller Welt zu uns kommen soll (wer sitzt dann bei den Preisverhandlungen am längeren Hebel?) gibt es einige Absichtsbekundungen, aber keine Verträge zu Mengen, Preisen und Terminen. Ein alternativer Vorschlag wäre, die Gaskraftwerke dauerhaft mit Erdgas zu betreiben und eine CO2-Abscheidung nachzurüsten. Das wäre deutlich preiswerter, ist aber gegen die Grünen, die CCS für Kraftwerke prinzipiell ablehnen, nicht durchsetzbar. „Schöner Scheitern“ ist absehbar.

Die Notvariante des Ministeriums scheint darin zu bestehen, bei der Verfehlung der hochgesteckten Ziele einige Kohlekraftwerke einfach weiter laufen zu lassen. Das geht nur über eine überschaubare Zeit. Dazu bräuchten Betreiber heute schon eine Ansage für eine mittelfristige Planungssicherheit. Der innige grüne Wunsch eines vorgezogenen Kohleausstiegs 2030 ist stark und wird in den Medien wie ein heiliger Gral beschrieben. Kein Gedanke daran, dass Koalitionsverträge keine Gesetzeskraft haben und im entsprechenden KVBG anderes festgelegt ist, nämlich 2038. Die Gesetzesänderung betreffs NRW – das Vorziehen auf 2030 – wird nicht umsetzbar sein.

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Neben dem Erfordernis von Gaskraftwerken wächst auch die Erkenntnis, dass man wohl einiges an Stromspeicherkapazität braucht. In den entsprechenden Ausschüssen der Landtage Sachsen-Anhalt und NRW, in Bayern bereits 2020, sowie des Bundestages fanden kürzlich Anhörungen statt, wie, wo und wann man denn nun speichern könne und welchen rechtlichen Rahmen es dazu braucht. Auch hier ein fröhliches „Guten Morgen“ allen beteiligten Antragstellern.

Was nun als „Strategie“ verkauft wird, sind nur einige Leitplanken. Offen sind die Finanzierung, die Ausgestaltung der Förderung, die Zustimmung der EU-Wettbewerbskommission, die Standorte der Kraftwerke, die Mengenbilanz des verfügbaren Erdgases und eine durchdachte Terminplanung. Staatliche Projekte sind hinsichtlich Zeit und Kosten etwas dehnbar, wie die Erfahrung zeigt. Die vom Kanzler angeführte „Deutschlandgeschwindigkeit“ bezieht sich auf die neu errichteten LNG-Anlagen. Ohne das kleinreden zu wollen: Es sind keine LNG-Terminals, sondern Schiffsanleger und ein paar Kilometer Pipeline.

Das Jahr 2024 wird noch ins Land gehen, bevor die Ausschreibungen überhaupt veröffentlicht werden.

Wie hätte eine Kraftwerksstrategie nun aussehen können? Nach Ermittlung des Bedarfs und unter Beachtung des Netz- und Speicherausbaus hätte ein Zeitplan entworfen werden müssen, in dem Ab- und Zuschaltungen aufeinander abgestimmt sind. Die Abschalttermine nach KVBG, das noch aus Vorkriegszeiten stammt, müssten dazu gecancelt werden und nicht nur die Ausschreibungen, sondern die Projekte und Termine neuer Kraftwerksbauten wären einzuordnen.

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Vor allem gehört zu einer Strategie, sich die Ausgangslage bewusst zu machen und sich einen Überblick zu verschaffen über die zur Verfügung stehenden Kräfte und Mittel. Feststehenden Terminen noch nicht vorhandene Ausschreibungsergebnisse gegenüberzustellen, geht in der Zeitschiene nicht auf. Betrachtet man den Umbau des Energiesystems als Projekt, so erfüllt diese so genannte Strategie nicht die Mindestanforderungen, die man an einen Projektablauf stellt. Es fehlt jegliches Monitoring hinsichtlich der so genannten Klimaökonomie und generell der Kosten. „Klimaschutz“, koste es, was es wolle, ist nicht durchzuhalten.

Das ganze kostet eben Geld, viel Geld. Ursprünglich war von 60 Milliarden Euro die Rede, nun heißt es 15 bis 20 Milliarden für die nächsten 20 Jahre. Was es wirklich kosten wird, weiß noch niemand. Was passiert, wenn sich nicht genug Interessenten auf die Ausschreibungen bewerben, weiß auch niemand.
Weitere Kosten laufen auf: Die EEG-Umlage für 2024 wird 17 Milliarden Euro höher ausfallen als erwartet, die Netzentgelte steigen, der Kauf des holländischen Übertragungsnetzbetreibers Tennet wird wohl 20 Milliarden Euro kosten. Die Aufzählung ist nicht abschließend.

Obwohl vieles unklar ist, werden in der so genannten Strategie wiederum Termine in der ferneren Zukunft festgelegt. 2032 soll entschieden werden, wann die Umstellung der Kraftwerke auf Wasserstoff zwischen 2035 und 2040 erfolgt. Sicher ist nur, dass Deutschland in den dreißiger Jahren ganz anders aussehen wird, als die Regierung und wir heute vermuten.

Für Robert Habeck wird 2032 die Entscheidung anstehen, ein nächstes Kinderbuch zu schreiben oder einen autobiografisch angelegten Roman. Arbeitstitel: „Umzingelt von der Wirklichkeit“.

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