Tichys Einblick
Druckluft im Großspeicher und heiße Luft in der Politik. Nicht zukunftsfähig.

ABC von Energiewende und Grünsprech 37: Adele

Beim CDU/CSU-Energiedialog rief Merkel den Forschern zu: „Ran an den Speck und machen!“ Kauder assistierte mit der Aussage „Wir hätten manches Problem nicht, wenn es uns gelänge, Strom zu speichern“. Anfang der 2000er wäre das neu gewesen.

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Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.

Heute:

A wie

ADELE, der

Nein, es ist kein Grammatikfehler. Es geht um den ADELE, den von RWE so bezeichneten „adiabaten unterirdischen Druckluftspeicher“. Fachleute sprechen vom CAES (Compressed Air Energy Storage), aber „Adele“ merkt sich besser, klingt klassisch und seriös und passt in die Reihe der schönen neudeutsch konstruierten und meist euphemistisch angelegten Projektnamen (RWE neo, Global Exellence und Dolores – hier alles Sparprogramme – lassen grüßen).

Generell ist die Druckluft ein sehr hilfreiches und vielseitig einsetzbares Medium. Sie wird hauptsächlich als Förder-, Arbeits- und Steuerluft verwendet und hat so einige Vorteile. Sie ist relativ leicht zu erzeugen, betriebssicher, brandsicher, überlastsicher, stufenlos regelbar, unempfindlich gegen Kälte und gut speicherbar. Große Dieselmotoren als Antriebe oder in Notstromaggregaten werden durch gespeicherte komprimierte Luft gestartet und dieses Prinzip ist seit vielen Jahrzehnten bewährt. Warum wird sie nicht auch für die Stromspeicherung genutzt?

Wüstensturm und Blizzard

Hier führen Druckluftspeicher ein wenig beachtetes Nischendasein. Obwohl großtechnische Anlagen existieren, werden sie kaum gebaut und wenig genutzt. Die Wirkungsweise ist überschaubar: Elektrisch betriebene Kompressoren pressen Luft in große unterirdische Kavernen, zum Beispiel ehemalige Salzstöcke. Die in der Masse komprimierter Luft gespeicherte Energie kann bei Bedarf wieder in Elektroenergie zurückverwandelt werden, indem sie über Luftturbinen oder Luft-Gasturbinen-Kombinationen entspannt wird. Was so simpel klingt, ist in der Praxis leider mit einem schlechten Wirkungsgrad verbunden (um die 50 Prozent), weil die thermodynamischen Gesetze nicht umgangen werden können. Bei der Verdichtung der Luft erhitzt sich diese erheblich und gibt die Wärme an die Speicherumgebung ab. Wird die Luft später entspannt, kommt es zu drastischer Abkühlung und um die Vereisung der Turbine zu verhindern, muss die Luft per Gasbrenner erwärmt werden. In einer so genannten adiabaten Anlage – wie ADELE – würde die Wärme in keramischen oder Flüssigsalzspeichern geparkt und beim Entspannen wieder genutzt werden, was den Wirkungsgrad auf 70 Prozent treiben könnte.

Im niedersächsischen Huntorf errichtete man bereits 1978 eine Anlage mit  320 Megawatt Leistung und 640 Megawattstunden Kapazität. Drei Kompressoren für Nieder-, Mittel- und Hochdruck sorgen für die Einlagerung, eine Luft-Gasturbinenkombination verhindert die Vereisung beim Ausspeichern. Konkurrenzfähig ist die Anlage nicht, vor allem unter den gegenwärtigen Bedingungen am Strommarkt und im Vergleich zu den bewährten Pumpspeicherwerken. Die Anlage in Huntorf hat etwa ein Drittel der Kapazität und ein Zehntel der Leistung des größten deutschen Pumpspeicherwerks in Goldisthal (Thüringen), vor allem aber einen um etwa 30 Prozent schlechteren Wirkungsgrad. Wirtschaftlich ist das nicht darstellbar. Auch andere bestehende Anlagen in Alabama und Ohio sind bisher nicht weiter entwickelt oder nachgebaut worden.

Zurück zum ADELE: Im Jahr 2010 eröffnete RWE unter großer medialer Beachtung in der Nähe von Staßfurt (Sachsen-Anhalt) dieses Projekt. Die Politprominenz feierte den Start als Meilenstein für die Energiewende. Im Februar 2014 wurde das Projekt auf Eis gelegt, nur ein Spaten zur Aufstellung des Baustellenschildes war in die Erde gestochen worden. Die in den vier Jahren durchgeführten Aktivitäten bezogen sich ausschließlich auf  Machbarkeitsstudien und vor allem auf die Ermittlung des Kostenaufwandes im Vergleich zu erwartenden Ergebnissen. Dann ging medial völlig unbeachtet der Daumen nach unten und aus der Hoffnung auf einen möglichen großtechnischen Einsatz von Druckluftspeichern in Deutschland ist die Luft erst mal raus.

Bisher gelingt es, auf die zunehmenden Schwankungen der ungeregelten tageszeit- und wetterabhängigen Einspeisung regenerativer Energieanlagen mit technischen Maßnahmen zur besseren Regelfähigkeit der konventionellen Kraftwerke zu reagieren. Waren früher 60 Prozent der Nennleistung als Minimum möglich, klappt die Lasteinsenkung heute teilweise auf 20 Prozent.  Aber auch diese Flexibilisierung ist endlich, wenn fluktuierende Einspeisung ohne Rücksicht auf das Gesamtsystem Netz zugebaut wird. Wo die Grenzen liegen, ist unklar. Agora-Energiewende tritt dafür ein, zunächst andere Flexibilitätsoptionen zu nutzen, also „steuerbare Kraftwerke“ (als ob es diese nicht schon gäbe), besseres Lastmanagement (dasselbe unter Einbeziehung der Verbraucherseite) und Stromhandel (gibt es auch schon und die Handelspartner haben eigene Wünsche). Die Denkfabrik meint, dass deshalb für die nächsten 20 Jahre noch keine Speicher nötig seien. Andere favorisieren stärkeren Netzausbau und damit bessere Verteilung anstelle der Stromspeicherung. Dem widerspricht wiederum das DIW, das den Netzentwicklungsplan Strom schlicht für überzogen hält und in den Zwangsabschaltungen regenerativer Erzeuger und negativen Strompreisen offenbar kein Problem sieht.

Im Grunde bringen Stromspeicher keinen Mehrwert, sie werden nötiger durch die in Strom eingefangenen Launen der Natur. Sie sind wie ein Parkplatz, mit der Besonderheit, dass regelmäßig mindestens ein Drittel der dort abgestellten Fahrzeuge durch den schlechten Wirkungsgrad geklaut wird. Die Frage, wer das bezahlen soll, formulieren die solaren und windigen Freunde der Energiewende wolkig weg.

try and error

DIW-Chef Fratzscher nennt die Energiewende ein Experiment. Experimenten ist eigen, dass ihr Ausgang schwer vorhersagbar und damit offen ist, sie dem Erkenntnisgewinn dienen und Scheitern möglich ist. Dies ist der Unterschied zu planvollem Vorgehen, wo – normalerweise – am Ende der Erfolg steht. An dieser Stelle bitte keine Flughafenwitze. In jedem Fall werden künftige Entscheidungen, ob und wie dieses Experiment angepasst oder abgebrochen wird, von außerordentlicher Bedeutung für unser Land sein.

Nachdem also aus der Zukunftshoffnung Druckluftspeicher die Luft raus ist, sah sich Kanzlerin Merkel kürzlich veranlasst, auf einem aus Monologen bestehenden CDU/CSU-Energiedialog den Forschern Druck zu machen. Sie rief diese auf: „Ran an den Speck und machen!“ Das erinnert an die genervte Lehrerin, die den unwilligen Kindern zum wiederholten Mal eine Aufgabe gibt, die diese nicht erfüllen wollen. Dabei ist diese schon als Rüge zu verstehende Aufforderung obsolet, denn geforscht wird ausreichend und vor allem parallel. Zahlreiche Unis, Hochschulen und Institute, Firmen und Forschungsverbünde forschen zum selben Thema, erhalten Bundes-, Landes- und andere Fördermittel und erreichen im Gleichschritt neue Erkenntnisse. Jeder hofft, wirklich Neues zu erfinden oder d i e Entdeckung zu machen, die die Energiewende über die Klippen hebt, wissenschaftliche Reputation bringt und natürlich Geld.

Paladin Kauder assistierte auf derselben Veranstaltung mit der Aussage „Wir hätten manches Problem nicht, wenn es uns gelänge, Strom zu speichern“. Eine Feststellung von außerordentlichem Neuigkeitswert. Sie wäre Anfang der 2000er in Form einer sich heute als treffend herausstellender Prognose neu gewesen.

Nach Angaben des BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V.) sind derzeit 1.832 Megawatt gesicherte, also konventionelle Kraftwerksleistung im Bau. Bis 2022 werden aber 26.038 Megawatt altersbedingt oder politisch veranlasst abgeschalten. Termine für die Inbetriebnahmen auch nur irgendeines Stromgroßspeichers irgendeiner Art gibt es nicht. Einige Forscher sehen dafür die Zeit ab  2030 als realistisch an.

Die Lageeinschätzung der Kanzlerin lässt einen nachdenklich werden. „Nicht jeder Generation ist es gegeben, solche technischen Umbrüche zu erleben und dabei zu sein, ist schön!“ Inwiefern es schön ist, ein bestehendes und noch sehr sicheres  Energiesystem zu zerschlagen und durch ein Experiment zu ersetzen, führte sie nicht näher aus. Fragen zu Realitätswahrnehmung und ihrer physikalischen Ausbildung bleiben offen.

Es wird noch einige Zeit dauern, bis sich der Ausgang des Experiments zeigt. Tief Luft holen, die Spannung steigt.

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