Die von ihr selbst befragten Ökonomen trauen der Europäischen Zentralbank nicht zu, die Inflation zurückzudrängen – und die Bürger erst recht nicht. Am Tag nach ihrer Anhebung des Leitzinses um 75 Basispunkte haben die von ihr befragten Experten der EZB-Geldpolitik ihre Inflationsprognose für den Euroraum erneut kräftig erhöht, wie die EZB am Freitag meldet. Sie gehen im Schnitt von einem Anstieg um 8,3 Prozent aus. Im Juli hatten sie noch 7,3 Prozent prognostiziert. Dass sie für die darauffolgenden Jahre deutlich niedrigere Prognosen abgeben, ist wenig beruhigend. Langfristiger Optimismus ist ein ungeschriebenes, aber fast nie gebrochenes Gesetz der ökonomischen Prognostik.
Und die Meldung des Statistischen Bundesamtes von heute – 10,4 Prozent Inflation im Oktober – bestätigt die düsteren Erwartungen noch.
Die EZB fragt die Bürger monatlich, mit welcher Inflationsrate sie in drei Jahren rechnen. Bis Anfang dieses Jahres lag der Median dieser Erwartung bei einer Erwartung von zwei Prozent, also dem offiziellen „Inflationsziel“ der EZB, jetzt liegt er bei drei Prozent. Eine Hälfte der Befragten rechnet also mit weniger, die andere mit mehr als drei Prozent. Interessant: Der Mittelwert der Antworten liegt deutlich darüber bei 4,7 Prozent. Das ist dadurch zu erklären, dass die Pessimisten deutlich pessimistischer sind, als die Optimisten optimistisch. Und diese Abweichung von Median und Mittelwert hat zugenommen. Krämer: „Die Inflationsskeptiker haben ihre Inflationserwartungen als erste angehoben und später, ab Anfang 2022, immer mehr Inflationsoptimisten in ihr Lager herübergezogen.“
Wenn tatsächlich auch im Europa der 2020er Jahre eine solche „Entankerung“ des Vertrauens in die EZB stattfindet, dürfte das eine anhaltend hohe Inflation befeuern. Vor allem dann, wenn die Zentralbanker nach dem jüngsten Zinsschritt keine weiteren folgen lassen. Der implizite Druck aus den europäischen Regierungen, dies mit Blick auf die drohende Rezession und die steigende Zinslast durch die Staatsschulden zu unterlassen, ist schon spürbar.
An den Schaltstellen in den Hauptstädten sitzen schließlich zunehmend Menschen einer Generation, die sich nicht mehr an Zeiten der Hochinflation erinnern kann und unbedarft durch die inflationsphobische Geldpolitiktradition der alten Hartwährungsländer – Deutschland vorneweg – verdrängt haben, dass in der Vergangenheit auch mal eine restriktive Geldpolitik not tat, um die Inflationserwartungen und -Entwicklungen zu stabilisieren. Von der ist die EZB noch sehr weit entfernt.