Wer nach dem Grünen-Parteitag und Annalena Baerbocks Vorschlag eines „Industriepaktes“ zwischen Staat und Politik für den Klimaschutz glaubt, die Marktwirtschaft sei durch die Grünen in Gefahr, irrt sicherlich nicht. Aber wer glaubt, es werde schon nicht soweit kommen, da schließlich Baerbock wohl doch nicht Kanzlerin und die CDU in einer künftigen Koalitionsregierung sicher weiter die Wirtschaftspolitik prägen werde, der irrt umso mehr.
Denn der amtierende CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier sieht sich selbst als Baerbocks Ideengeber. Er kommentiert Baerbock in einem aktuellen Handelsblatt-Interview so: „Es hat mich gefreut, dass Frau Baerbock offensichtlich meine Vorschläge für einen Klimapakt gelesen und ausgeliehen hat. Ich habe im September2020 vorgeschlagen, eine ‚Wirtschaftsgarantie‘ zu beschließen, die wettbewerblich relevante Belastungen im Klimaschutz verlässlich ausgleicht.“ Er ist nur enttäuscht, dass Baerbock nicht ganz so radikal subventionieren will, wie er selbst: „Allerdings hat Frau Baerbock meinen Vorschlag verschlimmbessert, indem sie damit droht, die gewährten Hilfen zurückzufordern.“ Und das halte er für „kontraproduktiv und nicht im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft.“
Will sich Altmaier lustig machen über seine Interviewer und Leser? Oder hält er wirklich nicht rückzahlbare Subventionen für im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft? Ausgerechnet im Handelsblatt, einst eine Bastion der „Brigade Erhard“, wie man die publizistischen Anhänger Ludwig Erhards und der Idee der Sozialen Marktwirtschaft damals nannte, verkündet ein CDU-Wirtschaftsminister nun Vorhaben, die man als endgültige Abwicklung all dessen begreifen muss, was Erhard und seine Leute in- und außerhalb des Wirtschaftsministerium einst als Ordnungsrahmen für das deutsche Wirtschaftsleben schufen. Aber das fällt den Handelsblatt-Redakteuren nicht auf. Oder wohl eher: Es interessiert sie nicht.
Nicht nur Investitionen für die Unternehmen soll der Staat also übernehmen, sondern auch noch den laufenden Betrieb mitfinanzieren. Der konsequente dritte Schritt wäre dann, gleich auch den Produktionsprozess von Ministerialreferenten planen zu lassen.
Hinter dem Etikett von Klimaschutz oder gar Klimaneutralität soll hier nicht weniger als eine gelenkte Wirtschaft entstehen – ohne Enteignungen allerdings. Eine Wirtschaft, in der der Staat politische Ziele vorgibt, die die Unternehmen dann befolgen. Nicht unter Zwang, sondern weil der Staat ja schließlich verspricht, das abzuschaffen, was die Marktwirtschaft so anstrengend und riskant macht: das Investitionsrisiko, die Gefahr, das zu produzieren, was die Käufer nicht wollen. Der Staat nimmt alle Sorgen („sicherstellen“) und ermöglicht schöne Projekte mit dem Geld anderer Leute, die es nicht zurückverlangen können. Gutes tun ohne Risiko – so macht Unternehmensführung Spaß!
Was für ein Interview! Zwei kompetente Redakteure des Handelsblatts, also der Zeitung, für die auch Erhards „Wohlstand für Alle“-Ghostwriter Wolfram Langer arbeitete, lassen dem Amtsnachfolger von Ludwig Erhard einen Begriff wie „Wirtschaftsgarantie“ unkritisiert durchgehen! Da müssen bei jedem Marktwirtschaftler die Alarmglocken schrillen. Denn da geht es ums Grundsätzliche, um das Menschenbild, das hinter der Sozialen Marktwirtschaft steht oder stehen sollte. Das beschrieb Erhard (beziehungsweise sein Ghostwriter Handelsblatt-Redakteur Langer) in seinem berühmten Buch „Wohlstand für alle“ so: „Ich will mich aus eigener Kraft bewähren, ich will das Risiko des Lebens selbst tragen, will für mein Schicksal selbst verantwortlich sein. Sorge du, Staat dafür, daß ich dazu in der Lage bin.“
Es ist eine Banalität, aber offenbar ist sie im Bewusstsein dieses Wirtschaftsministers wie auch in dem von Handelsblatt-Redakteuren nicht präsent: Der Staat kann niemals dauerhaft „die Wirtschaft“ garantieren. Der Staat verfügt nicht aus eigener Kraft über Mittel (zumindest sofern er nicht selbst zum Unternehmer wird), sondern er kann nur dem einen geben, was er dem anderen zuvor genommen hat.
Wenn ein Unternehmen oder eine Branche aus politischen Gründen vom Staat gestützt wird, muss er die Mittel dazu anderen nehmen – ob direkt durch Steuern und Abgaben, oder indirekt durch Schuldenaufnahme oder Gelddrucken. Deswegen ist eine Subventionswirtschaft weder frei, noch gerecht, noch sozial.
Das, was den Unternehmen nun „garantiert“ wird, die Subventionen für Investitionen und sogar den Betrieb, bezahlt nicht „die Politik“, denn die hat nichts, sondern die Steuerzahler und Sparer in Deutschland, wahrscheinlich zum großen Teil indirekt über eine immer stärker galoppierende Inflation. EZB-Präsidentin Christina Lagarde hat schließlich schon mehr als deutlich gemacht, dass ihre Geldpolitik auch im Dienste des „Klimaschutzes” steht.
Was für ein Interview! Zwei kompetente Handelsblatt-Redakteure im Interview mit einem Minister, der Milliardenausgaben des Staates bejubelt und weitere Subventionen ungeahnten Ausmaßes verspricht, fragen nicht etwa, wo das Geld herkommen soll, oder – was die eigentlich zentrale Frage wäre – wo dabei die Freiheit bleibt, sondern: „Wo bleiben die Überweisungen?“ Es kann ihnen also nicht schnell genug gehen mit den Subventionen.
Wer die Grünen jetzt zurecht für ihr Wirtschaftsprogramm kritisiert, sollte nicht die Augen davor verschließen, dass es ein CDU-Minister ist, der die Soziale Marktwirtschaft (oder was davon noch übrig ist) im Namen des Klimaschutzes abräumt.