Wer noch glaubt, dass Angela Merkel für Armin Laschet besondere Sympathie hegt und sich den Vorsitzenden ihrer eigenen Partei als nächsten Kanzler wünscht, dürfte seine Meinung nach diesem Interview ändern. An diesem Sonntagabend hat Merkel ihre Geringschätzung für die eigene Partei und deren Spitzenpersonals überdeutlich gemacht. Im Duett mit Anne Will demontierte die Kanzlerin nicht nur den CDU-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten des größten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, sondern distanzierte sich letztlich von ihrer eigenen Partei vor den Bundestagswahlen.
Zwei Ministerpräsidenten, die sich oft als besonders treue Merkelianer gezeigt hatten, traf es namentlich. Anne Will lieferte der Kanzlerin die Vorlagen. Erst ist CDU-Ministerpräsident Tobias Hans im Saarland dran, der wie Will anmoderiert, „statt über einen Lockdown nachzudenken, großflächig lockern will“. Dann folgt ein Einspieler, in dem Hans seinen Plan einer Modellregion vorstellt, dem aber Karl Lauterbach dann eine Absage erteilt: „Wir brauchen keine Lockerungen, wir brauchen eine Verschärfung.“ Und als dann Will fragt: „Ist das eines dieser Bundesländer, wo Sie sagen, das ist nicht mehr meine Politik?“, nimmt Merkel ihren Parteifreund nicht in Schutz, sondern sagt, die „Grundlage“ (für Hans‘ Lockerungen) sei nicht gegeben und es sei „nicht der Zeitpunkt, so etwas jetzt ins Auge zu fassen“. Es sei „vielleicht eine sehr gewagte Ankündigung gewesen in eine psychologische Situation hinein, wo ja eigentlich das Gegenteil gemacht werden muss“.
Eine CDU-Kanzlerin stellt sich also auf die Seite eines SPD-Gesundheitsexperten namens Karl Lauterbach gegen einen CDU-Ministerpräsidenten.
„Also verstößt Armin Laschet gegen den Beschluss, den er mit Ihnen gefasst hat?“ – „Es gibt mehrere Bundesländer, die eine sehr weite Interpretation haben, und das erfüllt mich nicht mit Freude.“ Und nochmal: „Das Land hat eine Umsetzung gewählt, die zu viel Ermessensspielraum mit sich bringt.“
Nach den beiden derart abgewatschten Ministerpräsidenten zeigt Merkel später dann auch der gesamten Partei die kalte Schulter, als es um die Bundestagswahlen geht: „Die CDU hat ja keinen Rechtsanspruch auf das Kanzleramt“, sagt sie. Natürlich ist das nicht falsch. Es ist eine der typisch merkelsch-banalen Feststellungen von Selbstverständlichkeiten. Aber warum sagt sie diesen Satz jetzt? Letztlich vermittelt dieser Satz die Botschaft: Nach meinem Abtritt als Kanzlerin ist es mir ziemlich egal, ob die CDU noch den Kanzler stellt. Und wie um das zu unterstreichen, sagt sie dann noch so einen scheinbar banalen Satz: „Dass andere auch regieren wollen, ist doch klar, und das ist Teil dieses demokratischen Wettbewerbs.“ Man braucht nicht viel Fantasie, um hier zwischen den gesprochenen Worten die Botschaft zu vernehmen: Dann sind nach mir eben mal die anderen dran.
Offener als an diesem Sonntagabend bei Anne Will hat Merkel die rein machtinstrumentelle Funktion, die die CDU für sie hatte und hat, noch nie deutlich gemacht. Nach mir die Sintflut, scheint die eigentliche parteipolitische Devise der Kanzlerin zu sein. Was muss eigentlich noch geschehen, fragt man sich, bis die noch knapp 400.000 Parteimitglieder inklusive ihres Vorsitzenden sich darüber klar werden, welchen Platz sie im Herzen der Kanzlerin haben.
Die ersten Reaktionen von Laschet im CDU-Präsidium am Morgen nach dem Interview könnten darauf hinweisen, dass der CDU-Chef und Ministerpräsident des größten Bundeslandes sich nicht mehr ganz so unterwürfig zu benehmen gewillt ist, wie Merkel es von CDU-Politikern gewohnt ist.