Tichys Einblick
CDU in der Abwärtsspirale

Wie die Merkel-Union die AfD durch Ausgrenzung bekämpft – und scheitert

Merkels Politik der Aus- und Abgrenzung politischer Gegner und Kritiker wird Immer aggressiver. Letztlich erreicht sie damit nicht die Schwächung der AfD, sondern das Gegenteil.

Angela Merkel conduct a press conference during her official visit at the Union Buildings in Pretoria on February 6, 2020

PHILL MAGAKOE/AFP via Getty Images

Der vermeintliche „Dammbruch“ von Thüringen entpuppte sich letztlich als das Gegenteil. Die „Brandmauer“, die die AfD von den anderen Parteien trennt, wurde noch höher gezogen. Offenbar kann Thomas Kemmerich sogar der tiefe Fall vom Kürzest-Zeit-Ministerpräsidenten zum FDP-Ausschlussverfahren bevorstehen. Letztlich droht ihm oder zumindest seinen Anhängern ebenfalls die Ausbürgerung hinter die Brandmauer in das verbotene Land.

Kemmerich wurde auf verfassungsgemäßem Wege in sein Amt gewählt. Aber die Anti-Macht der AfD-Stimmen hat sich als stärker erwiesen. Was diese Anti-Partei berührt, etwa durch ihre Stimmen im Thüringer Landtag, ist kontaminiert. Das heißt: Der Status der AfD als Feind ist zu einem Werkzeug der Macht geworden. Das haben sowohl die Führungspolitiker der Koalitionsparteien, als auch die der Grünen und Linken gerade vorexerziert, und die Liberalen und Christdemokraten in Thüringen wissen das spätestens seit diesen aufregenden Tagen nun auch.

Merkels Fehlkalkulation
Die Spaltung der CDU schreitet weiter voran
Solange sie als unberührbare Partei existiert, schwindet der Spielraum für politische Alternativen jenseits einer Merkel-Koalition, also eines Bündnisses von programmatisch entkernter CDU, die die Regierungschefin stellt, mit Sozialdemokraten, Grünen oder gar Linken, die ihre Programme widerstandslos durchsetzen. Dies in Frage zu stellen, ist für jeden Kritiker gefährlich, wenn es ihn tatsächlich oder angeblich in die Nähe der AfD-Brandmauer bringt. Absurd: Eine Partei, die sich Alternative nennt, dient den Regierenden dazu, den Spielraum für politische Alternativen und interne Kritik einzuschränken. Die AfD als unberührbare Partei trägt damit wider Willen zur Festigung der Macht merkelscher Politik bei. Kemmerichs Fall ist vor allem Merkels Sieg. 

Die Existenz der AfD als Partei hinter der Brandmauer macht es einer Kanzlerin möglich, die verfassungsgemäße Wahl eines Ministerpräsidenten „unverzeihlich“ zu nennen und zu verlangen, dass daher „auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden“ müsse. Und das geschieht dann auch noch.

Merkels größtes Talent ist die Verwandlung von Schwächen in Stärken. Sie hat ihr Nicht-Sprechen-Können zu einer diskursiven Methode gemacht, indem sie eben nicht aufklärend, sondern vernebelnd kommuniziert. Wer keine klaren Sätze von sich gibt, bietet seinen Kritikern auch wenig Angriffsfläche. Confunde et impera – verwirre und herrsche – könnte man dieses merkelsche Erfolgsrezept nennen. Ebenso hat sie auch ihren größten politischen Gegner, ja Feind, nämlich die AfD, zu einem Werkzeug des eigenen Machterhalts gemacht. Jede innere Kritik, etwa durch die konservative Basisbewegung WerteUnion kann (und wird auch) abgewehrt werden, indem sie in die Nähe der Brandmauer geschoben wird. Jeder, der Merkels Linie konsequent kritisiert, setzt sich dem Verdikt aus, dass ähnliches vielleicht auch in der AfD geäußert werde. Oder um im Bild zu bleiben: Die Werte-Union tänzelt auf der Mauer. Manche springen in das verbotene Land, dem gesamten Verband droht, dass er hinüber geschubst wird.

Für die Kanzlerin und diejenigen, die mit und durch sie an der Macht teilhaben, hat die Brandmauer gegen die AfD noch eine weitere willkommene Wirkung. Sie verstellt den Blick auf die wesentliche Fragen: Warum gibt es die AfD überhaupt, warum wird sie von so Vielen gewählt? 

Der Parteienstaat entblößt sich
Thüringen – ein schwarzer Tag für die Parlamentarische Demokratie
Beide Fragen werden von allen anderen Parteien gar nicht beantwortet, weil sie dort auch für gewöhnlich gar nicht gestellt werden. Man tut so, als wäre die AfD wie ein Schicksal aus den finsteren Untiefen der deutschen Geschichte wieder über dieses Land hereingebrochen, und behilft sich mit Vokabeln, die die reale Radikalisierung der AfD mit einer Mischung aus historischem Gruseln und unterschwelliger Lust an der vermeintlichen eigenen höheren Moral begleiten. Wer wie Bodo Ramelow Höcke absurder Weise auf eine Stufe mit Hitler stellt, erhöht sich damit auch selbst zum heldenhaften Widerstandskämpfer. 

Auch die CDU-Führung hält sich nicht mehr zurück. Paul Ziemiak etwa spricht explizit von „Nazis“. Das lenkt ab von der verdrängten Tatsache, dass Existenz und Wahlerfolge der AfD zu guten Teilen Folgen eigenen Handelns oder besser eigener Versäumnisse sind. Denn politische Bewegungen kommen für gewöhnlich nicht aus historischen Untiefen zurück, sondern sind Reaktionen auf gegenwärtige Versäumnisse anderer Parteien. Die Bürger, die heute AfD wählen, haben zum größten Teil vor einigen Jahren noch die Unionsparteien, die FDP und zu einem geringeren Teil auch SPD, Linke oder gar Grüne gewählt. Der Grund dafür ist die Abkehr der Unionsparteien, aber auch der SPD von bislang vertretenen Positionen und Wählerinteressen.

Als die AfD 2013 entstand, gaben Merkel und die Unionsführung die Parole „nicht mal ignorieren“ aus – unterlegt mit dem Etikett des „Rechtspopulismus“. Damals war wohl die Hoffnung, diese neue Konkurrenz beim Wähler noch kleinzukriegen. So wie es mit den Republikanern 20 Jahre zuvor gelungen war. Aber die Unionsparteien (und die anderen Parteien erst recht nicht) haben im Gegensatz zu damals seit 2015 so gut wie nichts getan, um den Wählern der AfD ein ernsthaftes Rückkehrangebot zu unterbreiten. Dies hätte selbstverständlich auch eine Korrektur auf bestimmten Politikfeldern bedeutet, also auch, dass Merkel und die gesamte Bundesregierung eigene Fehler eingestanden hätten.

Dazu hätte die Unionsfraktion im Bundestag – auf die kommt es an, wenn es um Machtfragen geht, nicht auf die Mitglieder oder den Bundesparteitag – Merkel dazu zwingen müssen. Dazu fehlte die politische Weitsicht, der Wille und vor allem der Mut. Man wollte das nicht, sondern mit Merkel und deren Kurs der programmatischen Selbstaufgabe zugunsten der SPD und der Grünen weitermachen. Hauptsache, die eigene Chefin behauptet das Kanzleramt – und all die Annehmlichkeiten und die Teilhabe an der Macht, die dem Kader der Kanzlerpartei offenstehen.

Fragen nach Davos:
Was kostet uns Merkels "Große Transformation"?
Die politische Verantwortung der Unionsparteien, nämlich die bürgerliche Mitte in Deutschland zu repräsentieren, wurde dafür geopfert. Das ist neben allen sachpolitischen Weichenstellungen – von der fatalen Energiewende bis zur noch fataleren einwanderungspolitischen Bankrotterklärung seit 2015 – die bleibende Untat der immer noch nicht enden wollenden Merkel-Ära: Die Unionsführung hat die Vertretung der Interessen und Positionen der bürgerlichen Mitte weitestgehend aufgegeben zu Gunsten der Positionen der Parteien, die früher einmal ihre Gegengewichte waren. Sie hat damit die gesellschaftlich-politische Balance Deutschlands schwer beschädigt. Sie zwingt seither einen großen Teil ihrer ursprünglichen konservativ-bürgerlich-liberalen Wählerbasis in ein verzweifeltes Dilemma: nämlich in die Entscheidung, entweder eine Union zu wählen, die ebenso antikonservative Politik wie Grüne, Sozialdemokraten oder gar Linke macht, oder eine als Desperados gestempelte Anti-System-Partei namens AfD. Letztere spielt dabei mit, indem sie immer wieder Gründe dafür produziert, dass sie für bürgerlich-wohlsituierte Leute unwählbar bleibt. So wurde ein gesellschaftliches Klima geschaffen, das es für viele Ängstlichere unmöglich macht, sich offen zu einer solch dämonisierten Partei zu bekennen, wenn sie sich nicht der gesellschaftlichen Ächtung aussetzen und berufliche Nachteile oder Bedrohung ihrer Sicherheit in Kauf nehmen wollen. So wächst die AfD vor allem durch solche, die ausgegrenzt werden, obwohl sie geradezu darum betteln, noch bei der CDU am Tisch sitzen zu dürfen. Sie werden an den Tisch der AfD zwangsversetzt.

Die bürgerliche Mitte aus dieser verzweifelten Lage zu befreien, ihr die politische Heimat zurück zu geben, die sie in der Union einst hatten, und damit die AfD überflüssig zu machen, wäre die wichtigste Aufgabe einer erneuerten nach-merkelschen Union. Anzeichen dafür, dass es in naher Zukunft dazu kommt, sind nicht  zu erkennen. Auf Einsicht in die Reformbedürftigkeit in der Spitze der CDU kann man nicht setzen. Die aktuelle Parteiführung und vor allem Merkel, die ganz offensichtlich weiterhin das letzte Wort hat, zeigt daran kein Interesse. Solange die AfD hinter der Brandmauer bleibt und sich selbst radikalisiert, meint sie, interne Kritik als „AfD-nah“ abblocken und immer noch genug Wähler halten zu können, um mit SPD oder Grünen zu regieren. Und alles andere gilt im Konrad-Adenauer-Haus als belanglos. Die Rechnung hat nur zwei entscheidende Fehler: Sie macht die CDU zur Schrumpfpartei, die mittlerweile schon die LINKE braucht, um sich an der Macht zu halten. Und sie treibt der AfD immer neue Wähler zu. Die Abwärtsspirale der CDU ist die Aufwärtsspirale der AfD, die sich noch schneller dreht, seit Merkel auch die FDP als Alternative zerstört hat.


Aktuell sieht das so aus:

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