Der Bundestag hat das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches, abgeschafft. Das war zu erwarten. Nicht unbedingt zu erwarten war allerdings die Art und Weise, wie die SPD-Fraktion diese Entscheidung medial inszenierte. Zumindest nicht, wenn man der Partei noch einen Rest von politischer Ernsthaftigkeit unterstellte.
Zu Fragen des Schwangerschaftsabbruchs und der Aufgaben des Staates zwischen der Freiheit der betroffenen Frauen und dem Lebensschutz kann man unterschiedlicher Meinung sein. In der gesamten Kontroverse, die seit Jahrzehnten, wenn nicht gar seit Jahrhunderten, in Politik und Öffentlichkeit geführt wird, war nur eines unumstritten – bis vor kurzem jedenfalls. Nämlich dass es ein absolut ernstes Thema ist. Über Abtreibung macht man keinen Smalltalk, keine Witze oder Albernheiten. Es eignet sich auch – sollte man meinen – nicht zur politischen Stimmungsmache.
Die SPD-Bundestagsfraktion ist anderer Ansicht. Einige Abgeordnete freuten sich offensichtlich auf die Abstimmung – und inszenierten im Vorhinein ein neckisches Video, das sie über den Twitter-Account der Bundestagsfraktion schon am Vortag der Abstimmung veröffentlichten: „Dieser Freitag wird einfach umwerfend! #WegMit219a #219a“
Zu gutgelaunter Walzermusik bringen SPD-Frauen und -Männer mit sichtlichem Vergnügen immer wieder eine Mauer aus schwarzen Schaumstoffwürfeln zum Einsturz, auf denen „§219a“ steht. Am Schluss grinst Fraktionschef Rolf Mützenich zufrieden in die Kamera. Das scheint man in der Fraktion besonders gelungen gefunden zu haben, weswegen man es gleich noch mal extra postete:
Und dann gleich noch ein Jubel-Bild mit Mützenich und den Frauen der Fraktion, mit hochgereckten Fäusten und Plakat „Wir streichen §219a“.
Bezeichnend ist wohl auch, dass in einem dazu produzierten Podcast der SPD-Fraktion die Streichung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche mit der geplanten Legalisierung von Cannabis unter dem Stichwort „progressive Projekte“ zusammengefasst wird. „§219a und Cannabis: Wie geht Fortschritt?“ Unbeschwertes Kiffen, ohne zum Dealer gehen zu müssen, und der erleichterte Schwangerschaftsabbruch, ohne lange nach einem Arzt suchen zu müssen, gehören für die SPD offenbar in ein und dieselbe, progressiv-spaßige Politik-Kategorie, die von der Fraktionspressesprecherin „Erneuerung der Politik und Modernisierung der Gesellschaft“ genannt wird. Passenderweise stellt sich die SPD-Abgeordnete Carmen Wegge in diesem Podcast auch mit den Worten „… und hab‘ sehr viel Spaß in Berlin“ vor.
Mit ihrem Spaß in Berlin am Umwerfen erscheinen die ausgewachsenen SPD-Abgeordneten nicht wie Repräsentanten des Souveräns der Bundesrepublik Deutschland, sondern wie Kinder beim Spielen. Kinder, denen fehlt, was Neil Postman („Wir amüsieren uns zu Tode“, 1985) als Bedingung fürs Erwachsensein feststellte, nämlich „die Fähigkeit zur Selbstbeherrschung und zum Aufschub unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung, ein differenziertes Vermögen, begrifflich und logisch zu denken, ein besonderes Interesse sowohl für die historische Kontinuität als auch für die Zukunft, die Wertschätzung von Vernunft und gesellschaftlicher Gliederung“. Ihre eigene Lust auf Selbstdarstellung als beschwingt-gutgelaunte Fortschrittsdurchsetzer konnten Mützenich und Kollegen jedenfalls nicht beherrschen.
Die geschmacklose Aktion schließt nahtlos an eine ähnliche Zurschaustellung der eigenen Kindlichkeit und des politischen Unernstes an, die die drogenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion Kristine Lütke (auch in der FDP scheinen Drogen und Schwangerschaftsabbrüche zusammenzugehören) Anfang Februar 2022 veröffentlicht hatte: Man sieht sie mit anderen FDP-Politikern tanzend zum obszönen Song „Short Dick Man“ mit Masken und Sonnenbrillen in den Gängen des Bundestags – betitelt mit den Worten „Wir, auf dem Weg zur Abstimmung, um endlich §219a aus dem StGB kicken zu können“.
Damals, im Februar, gab es noch verbreitet öffentliche Empörung. Lütke löschte das Video schließlich aus ihrem Twitter-Account. Es habe „Raum für Missverständnisse geboten“. Misszuverstehen gab es da aber eigentlich nichts. Lütke und Co hatten eben Spaß und glaubten, das zeigen zu müssen.
Womöglich hat die Infantilisierung in Politik und Gesellschaft seither noch weiter zugenommen – oder zumindest die öffentliche Akzeptanz für kindisches Verhalten von Politikern. Der jüngste Dingsda-Auftritt von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht im Bundestag – „großes Rohr“ – legt den Schluss nahe. Jedenfalls eifert die SPD-Fraktion dem abtreibungspolitischen Klamauk der FDP nun bewusst nach. Nur steht sie eben eher auf Walzer und Zeitlupe als obszönen Hiphop und Sonnenbrillen.
Die Botschaft ist in beiden Ampel-Videos dieselbe: Mit der richtigen Einstellung und guter Laune ist Politik ein großer Spaß, vor allem wenn es darum geht, Bauklötze umzuschmeißen, also vermeintlich altmodische, ethische Vorbehalte einfach zu „kicken“!