Tichys Einblick
Von der Leyen und Weber

Ausgerechnet zwei Merkelianer stärken in Europa die Atomkraft

Zwei Zöglinge der Atomaussteigerin Merkel befürworten nun, dass die Kernenergie in der EU nicht verdammt, sondern gefördert wird. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EVP-Fraktionschef Manfred Weber markieren damit womöglich einen entscheidenden Wendepunkt für die Nach-Merkel-Zeit.

Manfred Weber, EVP-Fraktionschef, und Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin, im Europäischen Parlament im Februar 2020

IMAGO / PanoramiC

Vor 2011 wäre es keine überraschende Nachricht gewesen, dass zwei führende Unionspolitiker die staatliche Unterstützung der Kernenergie forcieren. Doch nach Merkels Atomausstieg und vor ihrem Abtritt als Kanzlerin wäre das kaum vorstellbar gewesen. Dass es nun ausgerechnet auf höchster EU-Ebene doch geschieht, offenbart das gigantische Scheitern dieser epochalen Entscheidung Merkels. Kaum ist sie aus dem Kanzleramt, zeigt sich, dass Merkels Atomausstieg Deutschland in Europa so sehr isoliert hat, dass sich sogar die mächtige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Beinahe-Kommissionspräsident Manfred Weber, zwei ihrer treuesten Anhänger, davon absetzen müssen, um im Brüsseler Betrieb nicht unterzugehen.

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Von der Leyen will laut Bild schon im Januar dafür sorgen, dass gemäß dem ausdrücklichen Wunsch der französischen und anderer Regierungen Kernenergie als klimafreundlich eingestuft wird und damit aus EU-Mitteln gefördert werden kann. EU-Parlament und Rat könnten das zwar verhindern, doch deren Mehrheiten sind für Atomkraft. Und das Bemerkenswerte aus deutscher Sicht: Ein CSU-Politiker, der eigentlich einmal mit Billigung Merkels als „Spitzenkandidat“ der EVP dieses Amt anstrebte, dann aber der Lieblingskandidatin von Emmanuel Macron weichen musste (nämlich von der Leyen) und somit nur die EVP im Europäischen Parlament führt, ist einverstanden. Seine Argumente sind dieselben, die vor 2011 auch Merkel und andere CDU-Politiker üblicherweise verwendeten: Atomenergie ist eine Übergangslösung, als Brückentechnologien seien Gas wie Atomkraft „leider noch nötig“. Und: „Das muss die Ampel-Regierung akzeptieren und darf die Partner in der EU nicht belehren.“

Alles vernünftig natürlich. Aber hätte er das auch vor wenigen Wochen gesagt, als noch Angela Merkel im Kanzleramt saß? Hat man in Brüssel vielleicht auch bewusst den Abtritt der Kanzlerin abgewartet? Als Spitzenkandidat vor der Europawahl 2019 war Weber noch ganz Merkel-treu in der Ablehnung der Atomkraft. Eines jedenfalls ist deutlich: Irgendwelche unumstößlichen Überzeugungen die Atomkraft betreffend können von der Leyen und Weber nun nicht mehr für sich reklamieren. Beider Opportunismus ist schon atemberaubend.

Merkels spektakuläre Kehrtwende von 2011 zum schnellen Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie war nur einer von mehreren, aber wohl der symbolträchtigste Kotau der noch kurz zuvor als Atomkanzlerin titulierten Merkel vor der Agenda der Grünen. Und die Unionsparteien, jedenfalls deren Berufspolitiker, folgten Merkel so gut wie kritiklos.

Was auch immer die tieferen Motive dieser erstaunlichen Pro-Atom-Politik zweier Merkelianer in Brüssel sein mögen: Verhindern könnten von der Leyen oder Weber und die deutschen EVP-Abgeordneten die europäische Renaissance der Kernenergie ohnehin nicht, zu eindeutig ist die Interessenlage innerhalb der EU. Aber ihre Positionierung dürfte jetzt innerhalb der CDU und CSU eine Signalwirkung entfalten. Wenn diese beiden höchst prominenten Köpfe pro Atomkraft sein können, dann werden sich das demnächst wohl auch andere Unionspolitiker trauen. Man darf gespannt sein, wann auch vom designierten CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz und anderen Unionspolitikern kernenergiefreundliche Worte fallen.

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Der Atomausstieg von 2011 war nie so etwas wie eine wirkliche Überzeugungstat der Unionsparteien. Das offenbart die Kehrtwende von der Leyens und Webers jetzt. Es war reiner Opportunismus der Kanzlerin und der ihr schon damals mehr oder weniger gedankenlos folgenden Schicht von Berufspolitikern der Union angesichts der schon damals grün dominierten Öffentlichkeit und der Umfrageergebnisse. Wenn sich der Wind dreht, dann drehen sich die meisten Unionsberufspolitiker mit. In Ampel-Berlin will man das noch nicht wahrhaben, aber in Sachen Kernenergie dreht sich der Wind außerhalb Deutschlands gewaltig. Der deutschen Version der Klimaschutzpolitik mit einem halsbrecherischen doppelten Ausstieg aus Kernenergie und Kohle folgt der Rest Europas nicht. Im Gegenteil.

Es ist übrigens nicht das einzige zentrale Politikfeld, auf dem Merkel Deutschland in eine immer deutlicher werdende Isolation in der EU getrieben hat. In der Migrations- und Asylpolitik ist es ähnlich. Deutlich wurde das erst kürzlich wieder, als – öffentlich kaum wahrgenommen – Deutschland allein 25000 von 40000 umzusiedelnden Afghanen übernahm. Fast alle anderen EU-Länder wollen Armutszuwanderung abwenden, nur die alte und erst recht die neue Bundesregierung glauben, durch noch mehr Zugangsmöglichkeiten die Welt verbessern zu müssen. Die deutschen Sonderwege der alten wie der neuen Bundesregierung werden nur dadurch bislang vernebelt, dass beide das Lied vom „souveräneren Europa“ besonders laut singen und willig unverhältnismäßige finanzielle Belastungen im EU-Rahmen übernehmen.

Die Haltung zur Kernenergie könnte nun also das Politikfeld sein, auf dem die Abkehr von Merkel in der CDU ihren Anfang nimmt. Und es könnte, zumindest wenn die Corona-Pandemie einigermaßen überwunden ist, zu dem Feld werden, auf dem die Union die Ampel hart anpacken und scharfe Opposition betreiben kann. Nicht nur für die Partei selbst, sondern auch für die politische Kultur in Deutschland generell wäre das ein Befreiungsschlag.

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