Tichys Einblick
Boris Palmer und die "Vert Realos"

Grünen-Politiker verweigern Debatte über das Migrationsmemorandum der Vert Realos

Die einstige Anti-Partei der Basisdemokratie will über die migrationspolitischen Forderungen einer Gruppe um Boris Palmer nicht debattieren. Statt Argumenten vernimmt man Reflexe, Worthülsen und Diffamierungen gegen die „Vert Realos“ als „ganz rechts außen“.

Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen und Mitglied der Vereinigung "Vert Realos"

IMAGO / ULMER Pressebildagentur

Vor langer Zeit machten sich die Grünen einmal für „Basisdemokratie“ stark. In ihrem ersten Bundesprogramm 1980 nannten sie sich selbst „ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei“. Immerhin erscheint noch, wenn man bei Google nach „Basisdemokratie“ sucht, der Ergänzungsvorschlag „Grüne“ an dritter Stelle.

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Wie wenig von diesem Anspruch im fünften Jahrzehnt ihrer Existenz und der dritten Legislatur in einer Bundesregierung noch übrig ist, machen Omid Nouripour und Co gerade im Umgang mit einer Initiative aus den eigenen Reihen deutlich. Das „Memorandum für eine andere Migrationspolitik in Deutschland“, verfasst von den „Vert Realos“, einer Gruppe von vor allem Kommunalpolitikern und einfachen Parteimitgliedern um den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer und den einstigen Bundestagsfraktionsvize und Stuttgarter OB-Kandidaten Rezzo Schlauch, hat zwar medial eine große Aufmerksamkeit erregt, aber die Parteigranden versuchen den migrationspolitischen Alarmruf von jenen, die mit den Auswirkungen bundesdeutscher Willkommenspolitik tagtäglich zu tun haben, entweder zu ignorieren oder zu diskreditieren. 

Während der Bundesvorsitzende Omid Nouripour am Montag nach den wöchentlichen Beratungen des Bundesvorstands vor der Presse die Autoren oder das Memorandum nicht mal der wörtlichen Erwähnung für wert befand, reagiert die Grüne Jugend mit Furor: „Für uns ist es selbstverständlich, dass solche menschenverachtenden Positionen und Werte nicht annähernd Mehrheiten in der Partei finden“, sagten die Landessprecherinnen der Grünen Jugend in Baden-Württemberg, Aya Krkoutli und Elly Reich, den Stuttgarter Nachrichten. „Das Memorandum ist daher irrelevant, nutzlos und offensichtlich nicht durchdacht.“ Was genau daran „menschenverachtend“ sei, sagten sie nicht. 

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Etwas weniger aggressiv, aber nicht weniger argumentfrei bezeichneten die Südwest-Landesvorsitzenden Lena Schwelling und Pascal Haggenmüller die Ideen der Vert Realos als „simple Scheinlösungen“, ohne zu erwähnen, welche der genannten Lösungen simpel sei. Womöglich hatten sie sich auch einfach aus dem Kommentarbaukasten von Journalisten wie Steven Geyer vom RND bedient: Der hatte neben „simplen Lösungen“ auch noch andere Signalwörter versammelt, mit denen man in der Zunft klarzumachen pflegt, dass eine politische Position unstatthaft ist: „zu einfach“, „CDU-trifft-AfD-Umfeld“, „Werte-Union“, „Populismus“, „Geraune“, „Bedrohungsgefühle der Deutschen“.

Bezeichnend für die verkümmerte Diskurskultur der aktuellen Grünen-Elite ist ein Tweet des Bundestagsabgeordneten Julian Pahlke (zuvor als „Seenotretter“ aktiv): „Wenn Boris Palmer irgendwo einen Brief unterzeichnet, unterschreibt man nicht mit. Grundregel.“ Statt sachlicher Debatte sind also Reflexe angesagt – passend zu Annalena Baerbocks Leitlinien der „feministischen Außenpolitik“, zu denen es auch gehört, bei Diplomaten in Pflichtfortbildungen „einen feministischen Reflex auszubilden“.

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Offenbar hat manch ein Grünenpolitiker, der das Memorandum kritisiert, den Reflex bereits ausgebildet und darum noch nicht einmal unter der Überschrift weitergelesen. Jedenfalls zitiert die FAZ-Redakteurin Helene Dumbrowski ungenannte Grüne „aus dem Realo-Lager“, die das Memorandum für „ganz rechts außen“ halten, „weil das Asylrecht infrage gestellt werde und der Islam pauschal für Fehlentwicklungen in der Einwanderungsgesellschaft verantwortlich gemacht werde“. Allerdings steht schon im Vorspann des Memorandums: „Für eine Migrationspolitik, die Asyl gewährleistet, …“, und später heißt es ausdrücklich: „Der Artikel 16a im Grundgesetz ist ein Auftrag für alle nachfolgende Generationen in Deutschland.“ Und das Wort islamisch kommt nur ein einziges Mal vor: „Die Integration von Menschen, besonders – wenn auch nicht nur – aus islamisch geprägten Gesellschaften, weist bisher Defizite auf: Säkularität und das Frauenbild der westlichen Gesellschaft werden von religiös geprägten Gemeinschaften in Frage gestellt.“ Der Islam wird also gerade nicht pauschal verantwortlich gemacht.

Bezeichnend für die Entwicklungsgeschichte der Grünen von der basisdemokratischen Anti-Partei zur Machtverwaltungs- und Kontroll-Institution ist auch eine in der FAZ anonym zitierte Grünen-Aussage. Einfach ein Memorandum zu schreiben, sei „der falsche Weg“. Denn: „Bei uns kann man mehr bewegen, wenn man Papiere in die zuständigen Landes- und Bundesarbeitsgemeinschaften einbringt.“ Palmer und Co haben sich also nicht an den Dienstweg gehalten. Das geht natürlich nicht.

Eine selten positive Reaktion kam von der baden-württembergischen Justizministerin Marion Gentges: Das Manifest enthalte „nichts, worauf nicht wir oder die Kommunen bereits seit letztem Sommer hingewiesen hätten, als sich die stark steigenden Migrationszahlen auch bei den Asylbewerbern erstmals andeuteten“. Politik könne nur mit Ehrlichkeit in der Bestandsaufnahme und Konsequenz bei der Umsetzung von Maßnahmen gelingen, sagte sie. „Das gilt in der aktuellen Situation in ganz besonderem Maße für die Herausforderungen unserer Migrationspolitik. Wenn das Positionspapier ein Beitrag in diese Richtung sein soll, ist daran nichts verkehrt.

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