Die Bundesinnenministerin reagiert auf die sich verschärfende Migrationskrise nicht durch Handeln, sondern durch verschleierndes Reden. Es ist eine Mischung aus irreführender Verharmlosung der Lage und vermeintlich moralisch bedingter Alternativlosigkeit. So sagte sie kürzlich: „Wir erleben einen furchtbaren Krieg mitten in Europa. Acht von zehn Geflüchteten kommen aus der Ukraine. Da kann es keine Höchstgrenzen für Menschlichkeit geben.“
Dass dies irreführend ist, ist offenkundig angesichts der stark steigenden Migrationszahlen aus Afrika und dem Nahen Osten, die nicht nur in den Statistiken, sondern längst auch im Straßenbild und in den flächendeckend überbelegten Unterkünften unübersehbar sind. Das ist nun auch der CDU aufgefallen. „Bundesinnenministerin Faeser täuscht über die Entwicklung der Migration nach Deutschland“, zitiert die DPA Mathias Middelberg, den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion, mit Blick auf die Asylzahlen wirft er ihr Irreführung vor. Was er weiter sagt, ist ebenso offenkundig: „Der Anteil der Ukraineflüchtlinge geht gegenüber dem letzten Jahr drastisch zurück.“ Der Anteil der Asylbewerber aus asiatischen oder afrikanischen Staaten nehme zugleich rasant zu. In den ersten drei Monaten dieses Jahres habe es, so Middelberg, in Deutschland fast genauso viele neue Asylanträge wie Neuankömmlinge aus der Ukraine gegeben.
Der CDU-Politiker kann sich auf eine Antwort der Bundesregierung zu aktuellen Fluchtzahlen berufen. Seit Jahresbeginn waren demnach bis zum 31. März rund 81.647 Menschen vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nach Deutschland geflüchtet, deutlich weniger als in den ersten Kriegsmonaten. Demgegenüber stellten im ersten Quartal 2023 nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge 80.978 Menschen aus anderen Ländern erstmalig in Deutschland einen Asylantrag. Nicht acht von zehn sind also Ukrainer, sondern nur einer von zweien. Dass allein schon aus demographischen Gründen eine anhaltende Masseneinwanderung aus der Ukraine (Gesamtbevölkerung laut Weltbank rund 43 Millionen, stark abnehmend) kaum zu erwarten ist im Gegensatz zur Einwanderung aus Afrika (1,8 Milliarden, stark steigend) und Westasien, liegt auf der Hand. Die Nachrichten aus Italien sollten eigentlich alarmierend genug sein.
Ebenfalls in die Kategorie Täuschung kann man übrigens Faesers Anordnung verbuchen, die stationären Kontrollen an der Landesgrenze zu Österreich zu verlängern. Begründet hatte sie dies mit der Entwicklung des irregulären Migrationsgeschehens nach Mittel- und Westeuropa. Dass diese Scheinkontrollen kaum eine emigrationsbeschränkende Wirkung entfalten, ist seit ihrer Einführung noch zu Merkels Zeiten längst erwiesen – weswegen es auch kaum vernehmbare Proteste gegen diese gibt.
Was Faeser mit diesen Täuschungsversuchen bezwecken will, ist offenkundig: Migrationspolitisches Handeln soll allenfalls simuliert werden, das Laufenlassen soll – darin ist Faeser eine gelehrige Schülerin Angela Merkels – als moralisch alternativlos erscheinen. Dass bei Faeser tiefe Überzeugungen für dieses Nichthandeln bestimmend sind, kann man angesichts ihrer politischen Vergangenheit für noch wahrscheinlicher halten als bei Merkels letztlich identischer Wir-schaffen-das-Politik von 2015. Faeser scheint eine mögliche Entzweiung mit ihrem Unterstützungsmilieu im vorpolitischen Raum der NGOs („No Borders, No Nations“) weiterhin mehr zu fürchten als die Eskalation der Migrationskrise, die in diesem Jahr das Niveau von 2015 erreichen könnte.