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Warum Haubitzen, aber keine Panzer?

Unglaubwürdige Ukraine-Politik: Scholz kommt an die Grenzen seines Stils

Wenn es rationale Gründe für die Ukraine-Politik des Kanzlers gibt, dann hält er sie vor der Öffentlichkeit verborgen. Glaubwürdig und nachvollziehbar ist seine Verhinderung von Waffenlieferungen jedenfalls nicht.

Bundeskanzler Olaf Scholz, 15.09.2022

IMAGO / Christian Spicker

Auch im Zeitalter von Wokeness und Haltung ist einem Teil der deutschen Öffentlichkeit vermutlich das Verlangen nach halbwegs glaubwürdigen Argumenten für politische Positionen noch nicht ganz abhanden gekommen. Der desaströs niedrige Rückhalt des Bundeskanzlers in der Bevölkerung – ausweislich jüngerer Umfragen – dürfte damit zu tun haben, dass Scholz hier überhaupt nichts zu bieten hat.

Neben seinen vermeintlichen Erinnerungslücken in Sachen Warburg/CumEx ist es vor allem seine Haltung in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine, die ihm jeglichen Rest von Glaubwürdigkeit nimmt. Allein die Tatsache, dass er seine inkompetente Verteidigungsministerin Christine Lambrecht im Amt belässt, ist schon eine Ansage, dass im trotz „Zeitenwende“-Rede Militärangelegenheiten nicht wichtig sind. Dass Lambrecht nun die Lieferung von zwei (ja wirklich: zwei!) weiteren Mars-Raketenwerfern an die Ukraine nebst 200 Raketen (die sind in wenigen Sekunden verschossen) sowie die Abgabe von 50 gepanzerten Transportern vom Typ Dingo ankündigt, aber die Bitte der Ukrainer um Leopard-Panzer einfach ignoriert, ist bezeichnend.

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Niemand kann stichhaltig erklären und verstehen, warum Deutschland zwar Haubitzen, Raketenwerfer und Gepard-Flugabwehrpanzer in geringer Stückzahl an die ukrainische Armee liefert, aber keine Leopard-Kampfpanzer und Marder-Schützenpanzer. Die qualitative Unterscheidung zwischen Angriffs- und Verteidigungswaffen, die diletttierende Verteidigungsministerin in einem hochnotpeinlichen Auftritt vor dem Bundestag dilettantisch zu erklären versuchte, ist eine abstrakte Konstruktion. Sie hat viel mit dem moralischen Bedürfnis nachkriegsdeutsch-pazifistischer Politiker und nichts mit der militärischen Wirklichkeit zu tun. Fast jede Waffe kann zum Angriff und zur Verteidigung gleichermaßen genutzt werden (nur der von Lambrecht gelieferte Dingo taugt für beides nicht, sondern nur zu Patrouillen bei Friedensmissionen). Wenn man Berichten aus der Ukraine glaubt, haben die Gepard-Flugabwehrpanzer bei der jüngsten Offensive im Raum Charkiw ebenso entscheidende Dienste geleistet wie die aus deutschen Waffenschmieden stammenden Panzerhaubitzen. 

Die jüngste ukrainische Offensive belegt damit auch, dass die ukrainischen Soldaten entgegen vor allem deutscher Pseudo-Argumente sehr wohl in der Lage sind, in kurzer Zeit den Einsatz westlicher Waffen zu erlernen. Damit entfällt das abstruse Scholz-Argument gegen direkte Leopard- und Marder-Lieferungen und für den Ringtausch, bei dem die kämpfenden Ukrainer alte, kampfschwache T72-Panzer aus den Arsenalen der früheren Ostblockstaaten bekommen, die dafür viel modernere deutsche erhalten. Der European Council on Foreign Relations hat vernünftigerweise gerade vorgeschlagen, unter deutscher Führung ein Leopard-2-Konsortium der 13 europäischen Staaten zu schaffen, die den deutschen Panzer nutzen. Sie könnten sich zusammentun und der Ukraine gemeinsam so viele Panzer und Ersatzteile abgeben, wie sie verkraften können.

Nun ist auch zum wiederholten Mal Scholzens diplomatisch-grundsätzliche Rechtfertigung vollends in sich zusammengefallen, nämlich die Behauptung, man wolle nicht im Alleingang handeln, sondern stets im Gleichschritt mit den USA und den anderen Nato-Verbündeten. „Die Entscheidung über die Art der Hilfen liegt letztlich bei jedem Land selbst“, hat die US-Botschaft in Berlin offen kommuniziert. Im Klartext: Scholz kann seine Weigerung, der Ukraine deutsche Leoparden und Marder zu liefern, nicht mit einer angeblichen Absprache der Nato begründen. 

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All das mögen vorgeschobene Gründe gewesen sein. Als wirklichen Grund für die geringe Militärhilfe konnte man eher Scholzens Furcht vor dem völligen Abdrehen des Gas-Hahns durch Putin annehmen. Das mag seine realpolitische Berechtigung gehabt haben. Aber diesen Hebel hat Putin nun mit der Sperre von Nord Stream 1 – angeblich wegen Reparaturen – wohl ohnehin schon betätigt. Noch viel weniger Gas als so gut wie gar keins kann Putin kaum noch durchlassen. 

Ob Deutschland mit Scholzens Zurückhaltung langfristig billiger davonkommt, kann man übrigens auch bezweifeln. Es gehört wenig prophetische Begabung dazu vorauszusagen, dass nicht nur die Ukraine selbst, sondern auch die westlichen Verbündeten bei den gigantischen Kosten für den Wiederaufbau dereinst vor allem auf Deutschland zeigen werden und ihnen dabei ein schlagendes Argument behilflich sein wird: Ihr Deutschen habt im Krieg kaum Waffen geliefert, dann zahlt jetzt umso mehr für den zivilen Wiederaufbau.

Wenn es rationale Gründe für seine Ukraine-Politik gibt, dann hält Scholz sie geflissentlich vor der Öffentlichkeit verborgen. Im Schweigen hat er zweifellos ein großes Talent. Aber dieses Talent, das ihm oft gute Dienste leistete, nutzt ihm jetzt nichts. Im Gegenteil: Scholz kommt in der Ukraine-Russland-Frage an die Grenzen seines Politikstils.

Als „Scholzomat“ ohne erkennbare politische Leidenschaft kam er vielen Deutschen, die sich eine Fortsetzung der Merkel-Jahre wünschten, seriös und kanzlertauglich vor. Doch ganz ohne nachvollziehbare Argumente und Motive geht es eben doch nicht, da er im Gegensatz zu Merkel sogar im eigenen Kabinett Koalitionspartner sitzen hat, die ihm auf diesem zentralen Politikfeld offen widersprechen. 

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