Beim Blick auf Börsenkurse und -Indizes könnte man zu dem Schluss kommen, die durch die Corona-Pandemie ausgelöste (aber nicht allein dadurch verursachte) Wirtschaftskrise sei im wesentlichen überstanden. Wie falsch und politisch durchaus sogar gefährlich dieser Schluss ist, zeigt jetzt eine Untersuchung der Investmentbank Fox Corporate Finance (FCF) für das Handelsblatt.
Die Researcher der Bank haben sich die Kennzahlen einer Industriesparte angesehen, die zum harten, wertschöpfenden Kern der deutschen Volkswirtschaft gehört: die Automobilzulieferer. Viele dieser Unternehmen kennt man nicht unbedingt namentlich, aber ihre Produkte stecken in Millionen von Autos weltweit. Der Blick der Öffentlichkeit und damit auch der Politik ist stets auf die großen Konzerne mit den strahlenden Markennamen gerichtet, aber die Masse der Beschäftigung und damit auch die eigentlichen Säulen des Wohlstands gerade im noch relativ hoch industrialisierten Deutschland bilden solche Unternehmen – Firmen wie Schaeffler, Leoni, Grammer oder Paragon.
Die Probleme bestehen längst nicht nur durch Corona. Deutsche Unternehmen sind historisch bedingt – letztlich aufgrund der Wertvernichtung des Zweiten Weltkrieges – ohnehin im internationalen Vergleich eigenkapitalschwächer als beispielsweise amerikanische. In abgeschwächter Weise gilt das auch für die Unternehmen anderer vom Krieg betroffener europäischer Länder. Der Strukturwandel der gesamten Automobilindustrie in Richtung Elektroantrieb und der damit verbundene Investitionsbedarf hat nun die Schulden der ohnehin oft eigenkapitalschwachen mittleren Unternehmen stark ansteigen lassen. Nun kommen die Absatzeinbrüche durch den Lockdown hinzu. Ein besonders drastischer Fall ist zum Beispiel der Nürnberger Kabelhersteller Leoni. Laut FCF stehen dort einer Marktkapitalisierung von 237 Millionen Euro Nettoschulden in Höhe von 1207 Millionen gegenüber. Morgen legt das Unternehmen neue Zahlen vor.
Die Überschuldung – nicht nur bei Leoni kann man von einer Schuldenfalle sprechen, aus der es kaum ein Herauskommen aus eigener, operativer Kraft gibt – könnte sich jetzt in der Corona-Krise als fatale Schwachstelle für Deutschland und andere europäische Industrieländer (nicht zuletzt Norditalien) erweisen. Die Umsatzeinbußen könnten für viele Unternehmen der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die Unternehmen werden gezwungen sein, einerseits an Investitionen und vor allem an Personal zu sparen. Die volkswirtschaftlichen und vor allem sozialen Folgen, die sich vermutlich erst in einigen Monaten in spürbarer Härte offenbaren, dürften schwerwiegend sein.
Damit verbunden ist die zweite große Tendenz, die in der Folge der Coronakrise gerade die Automobilzulieferer in naher Zukunft immer stärker betreffen dürfte: Der Staat und seine finanzwirtschaftlichen Ableger wie KfW und Bürgschaftsbanken werden noch stärker als sie es ohnehin schon tun, eingreifen. Natürlich ist das in Lagen wie der aktuellen nicht grundsätzlich abzulehnen. Die Institution der Kurzarbeit bewahrt unzählige Unternehmen und vor allem ihre Angestellten vor dem materiellen Existenzverlust. Aber die Gefahr ist groß, dass daraus ein Dauerzustand wird. Für alle, die von der Vermachtung der Wirtschaft profitieren – Politiker, Beamte, aber auch Manager – ist die schleichende Verstaatlichung und damit Abkopplung vom Markt eine dauernde Versuchung, der nachzugeben heute immer einfacher gemacht wird. Könnte man davon ausgehen, dass in den Wirtschaftsministerien der Länder und des Bundes, in der KfW und anderen wirtschaftspolitischen Institutionen und vor allem im Kanzleramt überzeugte Ordnungspolitiker, Verteidiger der sozialen Marktwirtschaft, bestimmten, so gäbe es wenig Grund für Sorgen um die Ordnung der deutschen Wirtschaft und ihre Fähigkeit aus der Krise gestärkt hervorzugehen. Das kann man aber leider nicht. Auch dann nicht, wenn kein Grüner oder Sozialdemokrat 2021 Kanzler werden sollte.