Tichys Einblick
Nach dem Telefonat mit Macron

Die einzig verbleibende Hoffnung ist jetzt Putins Sturz

In einem Telefongespräch mit Emmanuel Macron „in klinischer Kälte“ gab sich Wladimir Putin entschlossen, die gesamte Ukraine in seine Gewalt zu bringen. Nun bleibt nur die Hoffnung, dass seine eigenen Leute ihm das Handwerk legen.

Ein Demonstrant gegen den Krieg in der Ukraine wird in St. Petersburg verhaftet, 2. März 2022.

Imago / Itar-Tass

Das Telefonat zwischen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Russlands Machthaber Wladimir Putin (auf des Letzteren Wunsch) lässt keinen Zweifel daran, dass Putin nicht nachgeben will, bevor seine Truppen die gesamte Ukraine in ihre Gewalt gebracht haben. Putin habe Macron gesagt, dass sich die Operation der russischen Armee „gemäß dem von Moskau bereitgestellten Plan“ entwickle und dass sie „schlechter werden“ würde, wenn die Ukrainer ihre Bedingungen nicht akzeptieren würden. „Die Erwartung des Präsidenten (Macron) ist, dass das Schlimmste noch bevorsteht, wenn man bedenkt, was Präsident Putin ihm gesagt hat“, so hieß es laut französischen Presseberichten aus dem Amtssitz des Präsidenten im Élysée in Paris.

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Putin ist offensichtlich in seinem eigenen Lügengebäude gefangen, wonach die Ukraine in den Fängen von angeblichen Nazis sei – Präsident Selenskyj ist bekanntlich Jude. Putin leugnete nach Angaben aus dem Elysée auch Angriffe auf zivile Ziele, worauf Macron ihn der Lüge bezichtigte. Es war, so heißt es aus Paris, ein Gespräch in „klinischer Kälte“ – obwohl sich Putin und Macron offenbar duzen.

Das Gespräch zeigt, dass es für die Ukraine und womöglich auch für viele russische Soldaten nur noch eine mittelfristige Hoffnung gibt, einen langen, verlustreichen Unterwerfungskrieg zu vermeiden: nämlich die Aussicht darauf, dass dem Kreml-Herrscher die Gefolgschaft seiner Bürger und – wohl noch entscheidender – seiner Soldaten abhanden kommt – und er daraufhin die Macht verliert. Mit Putin und seinem Regime wird es in der Ukraine jedenfalls keinen baldigen Frieden, sondern nur die Wahl zwischen totaler Unterwerfung oder totaler Gewalt geben.

Die Nachrichten von desorientierten russischen Soldaten in der Ukraine, die erst allmählich begreifen, was ihnen bevorsteht, und die Nachrichten von unter der Parole „Nein zum Krieg“ Protestierenden in St. Petersburg und Historikern, die sich mit öffentlichen Aufrufen der putinschen Geschichtsklitterung entgegenstellen, sind die ersten Hoffnungsschimmer. Und so schrecklich es auch klingt für eine dem Krieg völlig entfremdete westliche Öffentlichkeit: Das Ziel der Ukrainer muss jetzt sein, den russischen Invasoren derart hohe Verluste beizubringen, dass deren Kampfmoral sinkt und die Angst der Russen um ihre Söhne und Männer bald größer wird als die vom Regime verursachte Verblendung oder Furcht vor Repressionen.

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Es gab schon mindestens zwei erfolglose Kriege, die in Russland zu politischen Umwälzungen führten: Der Erste Weltkrieg führte 1917 zum Ruf nach allgemeinem Frieden, den die Bolschewiki instrumentalisierten, um eine jahrzehntelange Gewaltherrschaft zu installieren, die jene des Zaren an Rigorosität weit übertraf. Aber auch am Ende der Sowjetherrschaft stand ein imperialer Krieg, nämlich der Krieg in Afghanistan.

Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, je erfolgloser und verlustreicher er für Russland sein wird, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit des Machtverlustes für Putins Regime. Dass dessen Sturz aus der Zivilgesellschaft heraus erfolgt, ist wohl leider eher unwahrscheinlich, da diese in mehr als 20 Jahren Putin-Herrschaft weitgehend zerstört wurde. Man kann nur hoffen, dass sie sich an den „Nein zum Krieg“-Protesten allmählich aufrichtet, und das Herrschaftssystem sie nicht völlig ersticken kann oder will.

Man muss auf einen Staatsstreich aus dem System selbst heraus hoffen. In Putins Russland gilt, was Mao sagte: „Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.“ Erst wenn die Armee und andere Waffenträger sich von Putin abwenden, wird seine Herrschaft enden. Erst dann dürfte es für die Ukraine wieder eine Hoffnung auf Frieden in Freiheit geben – und vielleicht auch für Russland.

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