Tichys Einblick
Der Bundesmietendeckel wird kommen:

Der Sozialstaat verspricht, ein Problem zu lösen, das er selbst verursacht hat

Die kommende Bundesregierung wird vermutlich vollenden, was Rot-rot-grün in Berlin nicht durfte. Der Bundesmietendeckel ist der nächste große Schritt weg von der Markt- hin zur Staatswirtschaft. Die Politik behauptet mal wieder, für die Bürger Probleme zu lösen, die sie ihnen selbst aufgeladen hat

Demonstration am 15. April 2021 in Berlin

IMAGO / Peter Homann

Die Freude vieler Kritiker des Berliner Mietendeckels dürfte von relativ kurzer Dauer sein. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil nicht den Inhalt des Berliner Gesetzes als verfassungswidrig benannt, sondern nur die gesetzgeberische Kompetenz der Länder verneint. Die Demonstranten, die sich in Berlin versammelten haben das sofort erkannt – schneller als mancher ordoliberale Kommentator. „Wenn die Länder nicht dürfen, dann Bund: Mach! Mietendeckel bundesweit!“, stand auf einem großen Transparent der gestrigen Demonstration. Andere forderten gleich die Enteignung von Wohnungsvermietern.

Tatsächlich ist wohl damit zu rechnen, dass ein bundesweiter Mietendeckel eines der Vorzeigeprojekte der nächsten Bundesregierung sein wird – und zwar relativ unabhängig davon, wer Kanzler wird, sofern die Grünen und/oder die SPD an der Regierung beteiligt sind. Allein eine – eher unwahrscheinliche – Regierungsbeteiligung der FDP könnte für zäheren Widerstand dagegen sorgen. 

Im Entwurf des grünen Wahlprogramms heißt es: „Konkret wollen wir Mietobergrenzen im Bestand mit einem Bundesgesetz ermöglichen und die Mietpreisbremse entfristen und nachschärfen. Reguläre Mieterhöhungen sollen auf 2,5 Prozent im Jahr innerhalb des Mietspiegels begrenzt werden. Dazu wollen wir qualifizierte Mietspiegel stärken, verbreiten und rechtssicher aus- gestalten. Zur Berechnung sollen die Mietverträge der letzten 20 Jahre herangezogen werden.“

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Im Entwurf der SPD heißt es ganz ähnlich: „In angespannten Wohnlagen werden wir daher ein zeitlich befristetes Mietenmoratorium einführen, das bedeutet: Mieten können für eine bestimmte Zeit nur im Rahmen der Inflationsrate erhöht werden. Wir werden außerdem die Mietpreisbremse entfristen und Schlupflöcher schließen, den Betrachtungszeitraum von Mietspiegeln auf acht Jahre verlängern, die Möglichkeit für die Umlage von Modernisierungskosten auf die Mieter*innen auf vier Prozent begrenzen und das Umwandlungsverbot entfristen.“

Wer sich darauf verlässt, dass CDU und CSU sich diesen Wünschen mit aller Macht entgegenstellen werden, sei an das Einknicken der Union beim gesetzlichen Mindestlohn (gilt seit 1.1.2015) erinnert – und ganz generell an die Erfahrungen mit den unionsgeführten Bundesregierungen seit 2005. Die Union dürfte auch beim Mietendeckel einknicken. Die Befürchtung, in der Öffentlichkeit als Partei der Vermieter und Immobilienwirtschaft dazustehen, dürfte die letzten ordoliberalen Überzeugungsreste schnell überwiegen. Jedenfalls wird die Verhinderung des Deckels der Union längst nicht so wichtig sein wie Grünen und Sozialdemokraten dessen Einführung. 

In der Union wird man vermutlich, wenn das Thema auf dem Tisch liegt, dazu neigen, es schnell „abzuräumen“ und intern als eher marginal zu verkaufen. Aber das ist es nur vordergründig. In den Milieus, die deren Agenden prägen hat das Thema mittlerweile den Stellenwert eines Glaubenssatzes eingenommen. Und das weniger, um die Interessen der kleinen Leute zu stärken. Sondern weil Wohnen und die Immobilienwirtschaft eine zentrale Bedeutung im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Gesellschaft haben. 

Der Mietendeckel gewährt dem Staat einen Eingriff in Eigentumsverhältnisse. Und vom Mietendeckel ist der Weg zur Enteignung dann auch nicht mehr ganz so weit. Dass derselbe rot-dunkelrot-grüne Berliner Senat, der einen Mietdeckel einführte, mit seiner notorischen Milde gegenüber linksradikalen Hausbesetzern auffiel, ist sicher auch kein Zufall. Mit der Vermietung von Wohneigentum Geld zu verdienen, erscheint nicht nur in der Partei die Linke, sondern auch bis weit hinein in die SPD und die Grünen vielen als moralisch zumindest fragwürdig. 

Im Wahlprogramm der Grünen heißt es: „Wohnen ist ein soziales Grundrecht und der Wohnungsmarkt kein Ort für Spekulant*innen. Zu häufig werden Immobilien zur Geldwäsche genutzt, das gilt es zu beenden.“ Die Partei, die sich sonst gerne gegen pauschale Schuldzuweisungen an Menschengruppen einsetzt, bringt hier Wohnungsbesitzer pauschal in die nähe von Kriminellen.

Wenn, wie die Grünen wollen, dass ein „Recht auf Wohnen ins Grundgesetz“ aufgenommen werden soll, ist klar, dass weitere staatliche Eingriffe damit einhergehen sollen.

Dass der Staat in echten Notzeiten, etwa nach Kriegen oder Naturkatastrophen in die Wohnwirtschaft eingreifen können muss – liegt auf der Hand. Erstaunlicherweise weitgehend vergessen im heutigen Wohn-Diskurs: Bis 1968 galt in der Bundesrepublik das Wohnraumbewirtschaftungsgesetz. Die Wohnungsämter konnten damals Wohnungssuchende in leerstehende Wohnungen einweisen, aber auch in Wohnungen fremder Personen, wenn diese nach Einschätzung des Wohnungsamtes unterbelegt waren. 

Dass dieses Gesetz 1968 aufgehoben wurde, empfanden die damaligen Deutschen als Indiz für das Ende der unmittelbaren Nachkriegszeit und den Wiedergewinn von Wohlstand und Freiheit. Linke, SPD und Grüne des Jahres 2021 wollen offenbar wieder hinter diesen Fortschritt zurück. 

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Noch auffallender als die Geschichtsblindheit ist, dass weder das sozialdemokratische, noch das grüne Wahlprogramm viele Worte über die Ursachen für den zweifellos realen und für viele Mieter schmerzhaften Anstieg der Mieten verlieren. Da heißt es im Grünen-Programm nur: „Knappheit von und Spekulation mit Boden führt zu steigenden Preisen und Mieten. Wir wollen erreichen, dass die öffentliche Hand wieder eine strategische Bodenpolitik betreibt.“

Der erste dieser Pseudo-Gründe ist eine Banalität und der zweite eine moralische Abwertung des rationalen Handelns von Eigentümern am Markt. Den wirklichen Gründen wollen sich die Grünen und die anderen Mietendeckeler und Wohnraumbewirtschaftungspolitiker nicht stellen. Denn es sind selbstgemachte, politische.  Und es sind naheliegende, die auch für Nicht-Ökonomen eigentlich keiner tieferen Erläuterung bedürfen.

Auf der Nachfrageseite ist es das Bevölkerungswachstum und das beruht in Deutschland einzig und allein auf der Zuwanderung. Wie kann man bei dem gewaltigen Zustrom, den Deutschland seit 2015 erlebt, annehmen, dass die Nachfrage nach Mietwohnungen mit all den Menschen, die einwandern, nicht zunehme? Es ist eine der größten Absurditäten der Gegenwart, dass die Forderung: „Wir haben Platz“ und die Empörung über steigende Mietpreise meist aus derselben politischen Ecke erschallt – nicht zuletzt aus dem  

Der zweite Grund – auf der Angebotsseite – ist die extrem lockere Geldpolitik der Notenbanken, die wiederum nicht zuletzt eine Reaktion auf die staatlichen Schuldenexzesse ist. Die vielen Milliarden Euro, die dank der EZB allmonatlich aus dem Nichts entstehen, treiben zunächst vor allem die Preise der Vermögenswerte nach oben – Aktien, Edelmetalle und nicht zuletzt Immobilien. Das mit den Kaufpreisen für Immobilien auch die Mietpreise steigen, kann nun wirklich niemanden wundern. 

Zu den vielen desaströsen Nebenwirkungen dieser extrem lockeren Zuwanderungspolitik (deren Motor wiederum eine freigiebige Sozialpolitik ist) und dieser extrem lockere Geldpolitik zur illusionären „Finanzierung“ all der Exzesse staatlicher Ausgaben gehört eben auch ein anhaltender (Miet)Preisauftrieb. 

Das zu erkennen bedarf weder besonderer makroökonomischer oder wirtschaftssoziologischer Kenntnisse. Trotzdem oder auch vielleicht gerade deswegen ist davon in den Wahlprogrammen der Grünen und Sozialdemokraten keine Rede. Sonst wäre wohl auch klar, dass mit dem Mietpreisdeckel und anderen erwartbaren Maßnahmen der staatlichen Wohnraumbewirtschaftung (bis hin zur Enteignung) eine dirigistische Politik unter der Fahne der sozialen Wohlfahrt für die Bürger Probleme zu lösen verspricht, die sie ihnen zuvor selbst verursacht hat. 

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