Die Bundesregierung steht vermutlich vor einem weiteren großen Koalitionskrach. Und zwar einem, der nicht von persönlichen Politikereitelkeiten, sondern einer politischen Urfrage bestimmt ist: Wieviel und was soll und kann dieser Staat einnehmen und ausgeben. Es geht um nicht weniger als die Grenzen des Wachstums – nämlich der Staatsausgaben.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) wollen laut Presseberichten gemeinsam dafür sorgen, die Finanzlücke im Bundeshaushalt 2024 durch Ausgabenkürzungen in Höhe von 20 Milliarden Euro zu schließen. Offenbar wollen beide das unter sich ausmachen – ohne Beteiligung der Grünen.
Scholz und Lindner haben sich angeblich auf Ausgabenkürzungen von zwei bis drei Prozent für fast alle Ministerien geeinigt, wie es in Presseberichten heißt, die sich auf mit den Plänen vertraute Personen berufen. Von Einsparungen verschont bleiben soll nur das Verteidigungsressort (Stichwort „Zeitenwende“). Zu dieser Rasenmähermethode, die wohl nur die Hälfte der Lücke schlösse, müssten aber weitere, spezifische Einsparungen kommen. Anders gesagt: Es steht ein großes Hauen und Stechen innerhalb des Kabinetts in den kommenden Wochen bevor. Im September muss das endgültige Haushaltsgesetz verabschiedet werden.
Ohne die Sozialausgaben anzugreifen wird dabei keine ernsthafte Sparanstrengung möglich sein. Das ist offenkundig. Inzwischen werden deutlich über 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts durch staatliche Institutionen umverteilt (deutlich mehr als vor den Schröder-Reformen). Allein das direkt von Sozialminister Hubertus Heil direkt verantwortete Budget ist auf 163,3 Milliarden Euro im laufenden Jahr angewachsen.
FDP-Chef Lindner will deswegen, so heißt es offenbar auch in den jüngsten Plänen, Kürzungen auch bei den Sozialausgaben. Wenn er das nicht durchsetzt, muss das ganze Begrenzungsvorhaben als gescheitert gelten.
Dass Heil und wohl auch die meisten Sozialdemokraten die – objektiv gesehen längst überfällige – Eindämmung der Sozialquotensteigerung vermeiden und lieber ihr Lieblingsprojekt Kindergrundsicherung durchboxen wollen, ist offenkundig. Allerdings sorgt das Lieblingsprojekt der ebenfalls sozialdemokratischen Innenministerin Nancy Faeser, nämlich die ungehinderte Asylzuwanderung in die Sicherungssysteme, dafür, dass die Sozialausgaben auch ohne neue Instrumente gewaltig ansteigen.
Dass man diese banale Tatsache in den Kommunen zwar notgedrungen erkannt hat, im politischen Berlin und den nahestehenden Medien aber nicht offen thematisieren will, erschwert jede vernünftige Sparlösung. Man hält das eben für unanständig und AfD-nah – während tatsächlich natürlich jeder sich denken kann, dass genau diese weiter uneingedämmte Armutszuwanderung der Hauptgrund für das Umfragehoch der AfD ist. Dass letztere trotz ihrer einhelligen Ablehnung in den Medien, die längst ein soziales Stigma bedeutet, aktuell von bis zu 17 Prozent gewählt würde, ist das eigentliche Armutszeugnis dieser Regierung. (Und auch eines Oppositionsführers, dem der Traum vom künftigen Regieren mit mindestens einer der jetzigen Regierungsparteien den politischen Verstand geraubt hat.)
Die Tatsache, dass der dritte Partner, nämlich die Grünen, offenbar bei den Einsparverhandlungen bislang außen vor gelassen wird, zeigt, dass sich wohl eine grundlegende Verschiebung der Konfliktlinie innerhalb der Koalition abzeichnet. Während zunächst die FDP als Einzelgänger im Trio betrachtet wurde, scheinen nun die Grünen unter dem Eindruck der jüngsten Habeck-Performance (wohlstandsvernichtendes Heizungsgesetz und Agora-Klüngel als Wählerschreck) diesen Part zu übernehmen. Womöglich ist sowohl Scholz als auch Lindner nach anderthalb gemeinsamen Regierungsjahren eine Art Licht aufgegangen über den Charakter der Grünen als einer zum Größenwahn neigenden Partei, für die so etwas wie solide Haushaltsführung angesichts des Weltrettungskampfes für die Klimagerechtigkeit grundsätzlich als irrelevant oder gar unmoralisch gilt.
Dass der angeschlagene grüne Vizekanzler Robert Habeck schon gefordert hat, die Steuern zu erhöhen, um Finanzierungslücken zu schließen, kann man durchaus als eine neue Kampfansage an Lindners FDP verstehen. Der weiß, dass seine FDP und er ganz persönlich als endgültig gescheitert dastehen werden, wenn die Bürger im Hochsteuerland Deutschland, dessen Hausbesitzer durch grünen Klimarettungswillen ohnehin extrem geschröpft werden sollen, demnächst nicht wie von ihm versprochen weniger, sondern noch mehr Steuern zahlen müssen. Das Ende der FDP wäre allerdings für die Bürger dieses Landes in einem solchen Fall noch das geringste der Probleme.
Auf kommunaler Ebene – dort wo ein großer Teil der bundespolitischen Fehlentscheidungen, nicht zuletzt der moralistisch-ideologisch verbohrten Einwanderungspolitik der offenen Grenzen und Kassen, bezahlt werden muss – ist schon jetzt mit Gebühren- und Steuererhöhungen fest zu rechnen.
Dass Deutschland nicht mal zwei Jahrzehnte nach einer grundlegenden Reform des Sozialstaates, vielen Jahren des Wirtschaftswachstums und nur wenigen der Stagnation nun vor einem solchen strukturellen Missstand seiner Staatsfinanzen steht, ist ein niederschmetterndes Zeugnis für die Politik dieses Landes. Die Schuld daran tragen die vorangegangenen Regierungen (also auch der Ex-Bundesfinanz- und Ex-Sozialminister Olaf Scholz) ebenso wie die aktuelle. Während seit Jahren in der veröffentlichten Meinung eine Klimakatastrophe als globales Untergangsszenario prophezeit wird, stolpert der von Möchtegernkatastrophenverhinderern regierte Staat unversehens in eine wahrhaftige Krise seiner eigenen Begrenzungsunfähigkeit. Bei dem ehemaligen Bundesfinanzminister Scholz und seinem Amtsnachfolger Lindner ist vielleicht immerhin eine Ahnung davon vorhanden, was diese strukturelle Überforderung des Staates und seiner Steuerzahler bedeutet.