Es ist einer der schwersten Vorwürfe, den man einem Menschen in entscheidender Position machen kann. Jedenfalls kann es Bundeskanzler Olaf Scholz kaum einfach so hinnehmen, wenn der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter sagt: „Wir befürchten, dass der Bundeskanzler nicht Herr seiner Entscheidungen ist“. Kiesewetter wirft also im Namen der Opposition dem Kanzler kaum verklausuliert vor, durch Putin erpressbar zu sein. Damit flankiert er einen von seiner Bundestagsfraktion geplanten Antrag, durch den Scholz gezwungen werden soll, den gemeinsamen Bundestagsbeschluss zur Lieferung schwerer Waffen endlich voll umzusetzen.
Scholz hat mindestens drei Schwachstellen, bei denen eine persönliche Erpressbarkeit vorstellbar sein könnte:
Offenkundig ist seine fragwürdige Rolle in der Affäre um die Cum-Ex-Geschäfte der Hamburger Privatbank Warburg. Der wurden 47 Millionen Steuerschulden erlassen, als Scholz noch Erster Bürgermeister in Hamburg war. Bislang hat es Scholz geschafft, dass nicht gegen ihn ermittelt wird, obwohl es mindestens drei Treffen mit dem damaligen Warburg-Chef gab. Scholz’ entscheidende Verteidigungslinie besteht nur aus seiner Behauptung, sich an Inhalte der Gespräche nicht erinnern zu können. Die Affäre hat Scholz bislang auch im Bundestagswahlkampf erstaunlich wenig anhaben können, da sie kaum auf die Titel-Seiten oder in die Tagesschau vordrang. Aber Warburg bleibt Sprengstoff für Scholz. Wer weiß, dass es eine Lunte gibt und sie jederzeit zünden könnte, hätte die Macht, Scholz politisch zu vernichten. Der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi, einer der wenigen Bundespolitiker, die in der Warburg-Affäre immer wieder nachborte, warf Scholz schon im Oktober 2021 vor, sich „erpressbar“ zu machen
Groß geworden war Wirecard als Zahlungsabwickler für Online-Glücksspiel und Pornographie. Damit war das Unternehmen nicht nur für die organisierte Kriminalität und Terroristen als potentielle Geldwäschemöglichkeit interessant, sondern indirekt auch für Nachrichtendienste, um selbst Zahlungen für Aktivitäten im Ausland zu tarnen. Fabio De Masi ist laut Cicero überzeugt, dass der mittlerweile untergetauchte Ex-Vorstand Jan Marsalek das genutzt hat, um mit Geheimdiensten aus verschiedenen Ländern zusammenzuarbeiten.
Im April wurde bekannt, dass der Bundesnachrichtendienst ein angebliches Gesprächsangebot des flüchtigen Ex-Wirecard-Chefs Jan Marsalek ausgeschlagen hat, weil man eine Falle befürchtete. Anfang 2021 bot ein Mann einem BND-Vertreter in Moskau an, ein Treffen mit Marsalek zu vermitteln. Der BND fand jedoch Presseberichten zufolge heraus, dass dieser Informant Verbindungen zum russischen Geheimdienst FSB habe. Und dieser gab offiziell bekannt, Marsalek sei gar nicht in Russland. Über die Ablehnung dieses Angebots durch den BND sei auch das Kanzleramt informiert gewesen.
Der Grund der Ablehnung war laut Presseberichten die Befürchtung, der russische Geheimdienst suche nur nach Gelegenheiten „Kompromate“ zu schaffen, also etwa Fotos, die BND-Agenten mit Marsalek zeigen, um damit der Bundesregierung heimliche Kontakte zu dem untergetauchten Wirtschaftskriminellen unterstellen zu können.
Jedenfalls belegt dieses Vorkommnis selbst, dass man in Berliner Regierungs- und Geheimdienstkreisen genau das offensichtlich befürchtet: Dass Putins Regime die Bundesregierung mit Kompromaten destabilisieren oder erpresserisch gefügig machen will.
Es kommt noch ein drittes, bislang noch weniger als die beiden ersten beachtetes Feld hinzu: Scholz’ Juso-Vergangenheit als Sympathisant des DDR-Regimes. Dokumente, die Hubertus Knabe in TE präsentierte, zeigen, wie Scholz in den 1980er Jahren als Funktionär der SPD-Jugendorganisation nicht nur persönlich gegen den Nato-Doppelbeschluss protestierte und schrieb, sondern auch den direkten Schulterschluss mit Ostberlin praktizierte. Scholz wetterte gegen den „US-Imperialismus“ und, so Knabe, „zu Beginn seiner Politikerkarriere vertrat Scholz im Konflikt mit Moskau ausgesprochen Kreml-nahe Positionen. Wie bislang unveröffentlichte Dokumente im Bundesarchiv belegen, unterhielt er auch persönlich enge Beziehungen zu Funktionären der DDR und der Sowjetunion.“ Als im Mai 1980 der damalige Juso-Vorsitzende und spätere Bundeskanzler und Gazprom-Aufsichtsratsvorsitzende Gerhard Schröder den Chef der FDJ, Egon Krenz, zum offiziellen Besuch in Bonn empfing, war auch Scholz in Kontakt mit Funktionären des Ostblocks. Als erklärter Marxist und Vertreter des sogenannten Stamokap-Flügels war er für diese von besonderem Interesse. In einem Aufsatz über „Aspekte sozialistischer Friedensarbeit“ schreib Scholz, dass „längerfristig auch die Frage der militärischen Integration der BRD in die NATO auf der Tagesordnung stehen“ werde.
Würden grundlegende Vergehen von Scholz auf einem dieser genannten Felder öffentlich nachweisbar, hätte dies mit Sicherheit das Ende seiner politischen Karriere zur Folge. Die Frage, die der CDU-Abgeordnete Kiesewetter nach Scholz’ möglicher Erpressbarkeit stellt, schließt aber noch eine weitere Frage mit ein: Wäre es tatsächlich denkbar, dass Scholz sein persönliches Politiker-Schicksal höher bewertet, als Fragen, bei denen es um einen Krieg in Europa, um das Schicksal von Staaten und Leben und Sterben von Zigtausenden Menschen geht?
Allein der Verdacht dürfte Scholz Ansehen grundlegend beschädigen. Wenn Scholz nicht bald eine glaubwürdige Erklärung für seine zaudernde Ukraine-Politik präsentiert, wird seine Position auch schon ohne das Bekanntwerden eines Kompromats existentiell geschwächt.