Tichys Einblick
Migration und Ministerpräsidentenkonferenz

Nicht die Ministerpräsidenten, sondern Richter machen Zuwanderungspolitik

Das Gefeilsche der Länder um Milliarden zur Versorgung von Migranten ist eigentlich belanglos für Bürger und Zuwanderer. Solange im Bund und in der Öffentlichkeit kein Bewusstseinswandel hin zur Realpolitik stattfindet, schaffen eben Richter wie jüngst in Mannheim mit fatalen Urteilen Fakten.

Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen beim Pressestatement, 16.03.2023

Screenshot / Staatskanzlei Niedersachsen

Nach dem „Flüchtlingsgipfel“ nun also eine Ministerpräsidentenkonferenz mit Schwerpunkt zum selben Thema. Und bei diesem geht es unter deutschen Politikern fast immer nur um die Frage des Geldes, das von den drei Staatsebenen zu zahlen ist. Dass Migration den deutschen Staat viele Milliarden kostet, wird von den Teilnehmern solcher Gipfel oder Konferenzen als Selbstverständlichkeit betrachtet, die an sich nicht zur Disposition steht. Gegenstand der Verhandlungen ist nur die Frage, welche Ebene mehr bezahlt, um Hunderttausende Flüchtlinge aus der Ukraine und Armutszuwanderer aus anderen Ländern unterzubringen und zu versorgen, die hier zum größten Teil Asylanträge stellen. 

Boris Palmer und die "Vert Realos"
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So forderte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident die „Verdopplung der Bundesmittel für Flüchtlingsaufnahme“ und der Bundeskanzler lobte seine Bundesregierung für die bisherigen „Leistungen“. Wobei man sich immer wieder klarmachen sollte, wer hier etwas leistet, nämlich nicht die Regierenden, sondern die Steuerzahler. Niedersachsens Ministerpräsident Stefan Weil – turnusmäßiger Vorsitzender dieser Konferenz – sorgte immerhin für etwas Abwechslung mit der abenteuerlichen Forderung, Deutschland solle doch Sprachbarrieren für ausländische Fachkräfte absenken, weil so viele „motivierte Geflüchtete“ an der „Theorie“ scheitern. Also soll wohl der Handwerksmeister seinen zugewanderten Lehrling ruhig mal die Heizung montieren lassen, auch wenn der weder die Montageanleitung noch die Anweisungen des Meisters oder Auftraggebers versteht? Und das soll der Versorgung der deutschen Wirtschaft mit „Fachkräften“ dienen? Vielleicht ist es doch besser, wenn die Ministerpräsidenten einfach nur ums Geld aus Berlin feilschen. 

Jenseits des Politikbetriebes kann den Menschen in Deutschland diese Ministerpräsidentenkonferenz eigentlich völlig wurscht sein. Ob die Steuer- und Beitragszahler nun an die Bundes- oder an die Landeskassen oder an die staatlichen Sozialversicherungskassen mehr zahlen (oder: für noch mehr Schulden haften) müssen, kann ihnen ebenso gleichgültig sein, wie den einwandernden Versorgungsempfängern.

Entscheidend ist vielmehr, dass die Grundlage dieser absurden Einwanderungspolitik, die aus weitgehend irrelevanten, weil folgenlosen Asylverfahren und einem immer weiter ausufernden Unterbringungs- und Versorgungsapparat besteht, so absurd schief und krumm bleibt, wie sie ist. Die Ministerpräsidenten haben zwar in erstaunlicher Einmütigkeit eine leichtere Abschiebung von Menschen ohne Bleiberecht gefordert und ausgerechnet Weil hat sogar eine neue Bund-Länder-Runde am 10. Mai mit dem Bundeskanzler angekündigt, in der es auch um die Frage gehen solle, wie man es schaffe, „dass weniger Menschen zu uns kommen, die am Ende des Tages kein Recht dazu haben“.

Aber dazu ist weniger ein neues Treffen notwendig, als ein grundlegender Bewusstseinswandel. Der muss in der Bundesregierung stattfinden und in der veröffentlichten Meinung. Beide machen kaum Anstalten dazu. Ebensowenig wie eine dritte wichtige Instanz der Migrationspolitik, nämlich die hohen Gerichte. Dort wird von der Öffentlichkeit nur wenig beachtet, sehr viel wirkungsvoller Migrationspolitik gemacht als in den diesbezüglich weitgehend machtlosen Staatskanzleien der Ministerpräsidenten.

„Heuchelei!“
Nach dem Flüchtlingsgipfel: die Union und die Wiederentdeckung des politischen Streits 
Viel wichtiger und bedeutsamer als diese MPK ist darum etwa eine Nachricht von vor einer Woche aus Baden-Württemberg. Der Verwaltungsgerichtshof des Landes in Mannheim hat entschieden, dass ein Afghane nicht in seine Heimat abgeschoben werden darf, weil ihm dort wirtschaftliches Elend droht. Ehrlicherweise erkannte er ihm gleichzeitig die Flüchtlngseigenschaft ab (was für die Sprachfindung in journalistischen und anderen Texten durchaus bedeutsam sein sollte). Das Urteil stellt dezidiert fest, dass dem Mann in Afghanistan keine politische Verfolgung drohe. Aber es drohe ihm, dass seine elementarsten Bedürfnisse (genannt werden „Bett, Brot, Seife“) nicht befriedigt werden können.

In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es: „Der Kläger verfügt jedoch in Afghanistan über kein tragfähiges familiäres oder soziales Netzwerk, das bereit und in der Lage wäre, ihn im Falle einer Rückkehr zu unterstützen. Er hat auch keinen Kontakt zu Personen, die ihn vom Ausland aus alimentieren würden. Ebenso wenig verfügt er über relevantes Vermögen. Daher ist die Bundesrepublik Deutschland vom VGH mit dem Urteil verpflichtet worden festzustellen, dass zugunsten des Klägers ein nationales Abschiebungsverbot besteht.“

Bizarr ist, dass sich das Gericht dabei auf Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention beruft, der lautet: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“ Da das Gericht selbst feststellt, dass dem Mann keine Verfolgung drohe, interpretiert man die mögliche Unterversorgung mit materiellen Gütern offenbar als unmenschliche erniedrigende Behandlung. Die Nichtexistenz eines sozialen Sicherungssystems wird also indirekt mit Folter oder erniedrigenden, unmenschlichen Strafen gleichgesetzt. Eine abenteuerliche Argumentation. Aber ähnliche Urteile gab es bereits vorher, eines begründete mit dem potentiellen Mangel an „Bett, Brot, Seife“ sogar ein Rückführungsverbot in das EU-Mitgliedsland Griechenland.

Da es nicht nur in Afghanistan, sondern in zahlreichen, vielleicht sogar den meisten anderen Ländern der Welt allenfalls rudimentäre soziale Sicherungssysteme gibt und niemand eine Sippe verpflichten kann, einen aus dem Ausland zurückgebrachten Angehörigen mit Bett, Brot und Seife zu versorgen, folgt aus dem Urteil de facto ein Bleiberecht für alle Armutszuwanderer. Nach den Maßstäben des Mannheimer Gerichts kann man sich überhaupt kaum eine Abschiebung noch vorstellen, es sei denn in ein Land mit ähnlichen Sozialstandards wie Deutschland (in das aber auch kaum jemand abgeschoben werden muss). Wie gesagt, selbst Griechenland erscheint manchen Richtern als menschenunwürdig. 

Sowohl die rechtliche Absurdität, als auch die fatale Sogwirkung einer solchen Rechtsprechung sind eigentlich jedem Laien offenkundig: Eine materielle Versorgung auf dem Niveau des deutschen Sozialstaates wird damit de facto zum Menschenrecht erklärt, alles darunter ist äquivalent mit Folter. Armut unterhalb des Niveaus des Asylbewerberleistungsgesetzes wird also de facto als Fluchtgrund anerkannt (ob man es so nennt oder nicht, interessiert jenseits des Gerichtssaales niemanden). Hunderte Millionen Menschen aus dem sogenannten „globalen Süden“ haben also in den Augen vieler Richter ein einklagbares Bleiberecht in Deutschland, sofern sie einmal hier sind. Dass sich das nicht nur in Afghanistan herumgesprochen hat, zeigt die Zunahme der absoluten Zahlen und die Vorliebe für Deutschland unter Armutszuwanderern aus Afrika und Westasien.  

Was das in letzter Konsequenz für Deutschlands soziale Sicherungs- und Versorgungssysteme bedeutet, ist ebenso offenkundig: Sie werden zu einem Fass ohne Boden, wenn der Zugang nicht begrenzt wird. Die in jüngster Zeit selbst von Grünen und sozialdemokratischen Kommunalpolitikern erschallenden Alarmrufe sollten eigentlich auch bei Richtern und Bundespolitikern die Fantasie anregen, dass aus diesem Fass irgendwann wohl wirklich nicht viel mehr als Bett, Brot und Seife zu schöpfen sein könnten. 

Urteile dieser Art und der vordergründig humane, aber letztlich zerstörerische Geist, der sich in ihnen äußert, sind deswegen sehr viel bedeutender als die Aktivitätssimulationen auf Flüchtlingsgipfeln und Ministerpräsidentenkonferenzen. Die schaffen Tatsachen.  

Besorgte Bewohner (ob alteingesessen oder mit Migrationsgeschichte) deutscher Gemeinden und Steuerzahler an Landes- und Bundeskasse müssen sich erst dann wieder für Flüchtlingsgipfel und ähnliche Zusammenkünfte interesieren, wenn sich auf Ebene der Bundespolitik, der höheren Gerichte und vor allem der veröffentlichten Meinung eine grundlegende Änderung ergäbe, mit dem Ziel, eine stimmige Grundlage für die Einwanderung zu schaffen. Nämlich eine, die sich an der Wirklichkeit des Machbaren und an realisierbaren konkreten Zielen für die deutsche Gesellschaft orientiert. Es wäre schon sehr viel gewonnen, wenn man sich darauf einigen könnte, eine Politik anzustreben, die nicht notwendigerweise auf den langfristigen Zusammenbruch des deutschen Sozialstaates und den Verlust des inneren Friedens in diesem Land hinausläuft.  

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