Gas oder Waffenlieferungen? Scholz’ doppelte Antwort auf die Abhängigkeit von Russland
Ferdinand Knauss
Offenbar will Putin die Gaslieferungen über die Ostsee bald wieder aufnehmen. Schließlich hat er nun, was er haben wollte: ein Deutschland, das seine Abhängigkeit von russischem Gas eingesehen hat. Die entsprechenden Signale hat Olaf Scholz schon gesendet.
Nun kann Deutschland also wohl doch damit rechnen, dass bald wieder russisches Gas durch die derzeit gewartete Pipeline Nord Stream 1 fließt. Reuters und Handelsblatt wissen es aus Insider-Informationen. Wladimir Putin bestätigte das auch am Dienstag aus Teheran, wo er zu einem Gipfel der beiden offen antiwestlichen Mächte Russland und Iran mit dem antiwestlichen Nato-Mitglied Türkei weilte. Aber Putin wäre nicht Putin, wenn er diese Ankündigung nicht um die Ansage von „dauerhaft reduzierten Mengen“ ergänzt hätte. Und er wies auch auf die Existenz der betriebsbereiten zweiten Pipeline Nord Stream 2 hin.
Natürlich ist es eine bizarre Lage, in die sich Deutschland (und damit in gewisser Weise ganz Europa) bringen ließ: Man hofft auf die Gnade des Kreml-Potentaten und veranlasst Kanada zu einem oberflächlich legitimierten Sanktionsbruch (der Lieferung einer unverzichtbaren Gasturbine für Nord Stream 1), um nur ja nicht ganz ohne Russen-Gas durch den Winter zu kommen, während man die Inbetriebnahme einer nagelneuen zweiten Pipeline mit großer Geste abgeblasen hat. Hier wird die ganze Absurdität der deutschen Energie- und Russland-Politik der vergangenen Jahre und Gegenwart deutlich: Man begab sich unter der Fahne des Klimaschutzes und der Energiewende in Abhängigkeit zu Putins Russlands, gestand sich das aber nicht offen ein, sondern tat nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine so, als könne man auf Putins Gas verzichten.
Dieser Selbstbetrug, den der frühere SPD-Außenminister Heiko Maas mit seiner Behauptung „Es gibt keine Abhängigkeit Deutschlands von Russland, schongar nicht in Energiefragen“ personifizierte, wird jetzt immer offenkundiger. Der steile Anstieg der Energiepreise und die unverdeckte Angst der deutschen Industrie und Bevölkerung haben Putin und dem Rest der Welt gezeigt, wer am längeren Hebel sitzt. Die verzweifelten Versuche in Berlin und Brüssel, LNG als Ersatz einzukaufen, scheitern schon daran, dass es nicht genug LNG-fähige Schiffe und Hafenanlagen gibt.
Die politische Antwort der Bundesregierung muss also irgendwo zwischen Frieren/Armwerden und Nachgeben gegenüber Russland liegen. Dass sie derzeit näher bei Letzterem liegt, ist offenkundig. Putin hat es durch seine pseudognädige Ankündigung noch deutlicher gemacht. Aber seine „dauerhaft reduzierten Mengen“ signalisieren auch drohend: Ihr solltet euch noch tiefer beugen.
Wichtigstes Kriterium für Scholz und seine Mitregierenden dürfte dabei sein, wie sie selbst aus der Nummer einigermaßen unbeschadet herauskommen. Scholz will als jahrelanger Minister und Vizekanzler unter Merkel nicht das totale Scheitern der Merkel-grünen Energiewende einräumen. Er bringt nicht einmal den Mut auf, wenigstens die Weiternutzung der Kernkraft mit aller Konsequenz gegen seinen ideologisch verbohrten grünen Koalitionspartner durchzusetzen. Stattdessen versucht er jetzt eine Politik der doppelten Kommunikation: gegenüber der deutschen und westlichen Öffentlichkeit einerseits und gegenüber Putin andererseits.
Nach innen beschwört Scholz weiterhin die Unterstützung der sich verteidigenden Ukraine. Diese Schwüre sind in viele vernebelnde Worte gepackt – beispielsweise in Scholz’ Gastbeitrag in der FAZ. Sie sollen vor allem davon ablenken, dass hinter ihnen relativ wenige materielle Taten stehen, wie der Ukraine Support Tracker des Kiel Instituts für Weltwirtschaft belegt. Sieben Panzerhaubitzen! Damit wird die Ukraine die angreifenden Russen nicht entscheidend schlagen können.
Die Kritik von Unionspolitikern wie Thorsten Frei ist zutreffend: „Reden und Handeln fallen beim Bundeskanzler weit auseinander. Olaf Scholz kündigt Waffenlieferungen an und spricht vollmundig von tatkräftiger Unterstützung der Ukraine. Tatsächlich aber geschieht fast nichts.“ Diese Diskrepanz ist aber kein Zufall oder schlichte Unfähigkeit, sondern Kern von Scholz’ doppelter Kommunikationspolitik: Die Ankündigungen sind fürs deutsche Publikum gedacht, das Nichtliefern von schweren Waffen ist die Botschaft an Putin – das Eingeständnis der Abhängigkeit. Zu Deutschlands Ehrenrettung kann man nur sagen, dass auch Frankreich, Italien und andere europäische Staaten nicht viel mehr liefern, allerdings auch weniger vollmundige Ankündigungen machen.
Die Kritik der Union und von koalitionsinternen Eifrigen wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) ist aber billig und dient nur den Selbstprofilierung. Sie wissen, dass die Untätigkeit einen Grund hat, nämlich Deutschlands fatale Abhängigkeit von russischem Gas. Aber den erwähnen sie selbst nicht, weil sie daran mitschuldig sind. Niemand bringt den Mut auf, den fatalen Energie-Pfad zu verlassen, der in die jetzige Misere und Erpressbarkeit gegenüber dem Putin-Regime geführt hat. Und selbst wenn, wäre es jetzt zu spät, um kurzfristig Linderung zu verschaffen.
Es gab auch mindestens ein explizites schriftliches Signal des Nachgebens an den Kremlherrn, das in der deutschen Öffentlichkeit wie von Scholz sicher erhofft, kaum wahrgenommen wurde. In der FAZ schrieb Scholz nämlich, kurz bevor er sich in den Sommerurlaub abmeldete: „Für Russland führt kein Weg vorbei an einer Vereinbarung mit der Ukraine, die von den Ukrainerinnen und Ukrainern akzeptiert werden kann.“ Entscheidend ist, was hier fehlt: nämlich die Forderung eines Rückzugs der russischen Truppen aus ukrainischem Territorium. Zuvor stellt Scholz nur unkonkret fest: „Wir unterstützen die Ukraine – und zwar solange sie diese Unterstützung braucht: wirtschaftlich, humanitär, finanziell und durch die Lieferung von Waffen.“ Aber nirgendwo steht, dass die Ukraine ihre territoriale Integrität wieder herstellen soll und wird.
Die Botschaft wird in Kiew mit Bitterkeit und im Kreml mit Genugtuung aufgenommen worden sein. Wenn schon die Siege seiner Truppen in der Ukraine nur sehr blutig erkauft und begrenzten Umfangs sind, so ist doch Putins Erfolg im Sanktionskrieg gegen Deutschland umso größer. Deutschland wird, das weiß man spätestens jetzt in Kiew und Moskau gleichermaßen, keine entscheidende Rolle spielen, falls die Ukraine tatsächlich noch versuchen sollte, ihre verlorenen Gebiete zurückzuerobern.
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