Die Kanzlerin hat zweifellos recht: Wie es um die Pressefreiheit steht, sei „Gradmesser, wie es um unsere Demokratie insgesamt steht“, sagte Merkel im Mai 2020. „Umso bedauerlicher ist es, wenn auch bei uns, in unserer demokratischen Gesellschaft, Reporter und Journalisten angegriffen werden.“
Nun ist die Pressefreiheit aber nicht erst dann gefährdet, wenn Gewalt ausgeübt wird. Es genügt oft schon, wenn die Akteure, die Gegenstand der Presseberichterstattung sind, auf anderen, weniger rabiaten Wegen Einfluss nehmen.
Die Bundesregierung beauftragt also einen Verein, der von ihr selbst unterstützt wird, mit der Beratung von Verlagen. Das ist ein durchaus bemerkenswerter Vorgang, der allerdings von jenen, die da beraten werden sollen, bislang noch nicht kommentiert wurde. Und das macht die Angelegenheit noch bemerkenswerter. Wollen diejenigen, zu deren Hauptaufgabe die kritische Berichterstattung über die Regierenden gehört, sich also tatsächlich von eben deren Beauftragten beraten lassen? Von entrüstetem Widerspruch ist jedenfalls bislang nichts an die breite Öffentlichkeit gedrungen.
Klar, der Verein soll nicht befehlen, sondern beraten. Einen Rat kann man auch ablehnen. Aber wer mit dem politischen Geschäft vertraut ist – und welche Branche sollte das eher sein als die Medienhäuser – weiß, dass solchem Rat zweifellos der nötige Nachdruck verliehen werden dürfte. Da wird Geld oder Geldwertes locken, auf welchen Wegen auch immer. Ein Medienhaus, das dem Rat der „Medienmacher*innen“ gegenüber aufgeschlossen ist und seine „Diversity-Ansätze“ dementsprechend weiterentwickelt, wird dafür vermutlich die gebührende Wertschätzung erfahren. Und sonst eben eher nicht.
Der Verein übrigens gibt sich selbst sehr um die Pressefreiheit besorgt. „Finger weg von der Pressefreiheit, Herr Innenminister!“ empörte er sich in einer Pressemitteilung, als Horst Seehofer öffentlich in Erwägung zog, Strafanzeige gegen die „Journalist*in Hengameh Yaghoobifarah“ zu stellen, die Polizisten in einer angeblichen Satire in der Taz auf den Müll wünschte. Das sei eine „Drohgebärde“ – also Seehofers Überlegung, nicht Yaghoobifarahs Text. Als eine solche könnte ein Medienhaus allerdings die Aussicht auf Beratung durch diesen Verein womöglich auch verstehen, wenn es keine „Diversity-Ansätze“ weiterentwickeln möchte.
Zuletzt: Die Aufforderungen des Vereins an „alle freien und festangestellten Kolleg*innen in Redaktionen“, sind übrigens durchaus lesenswert:
- „Stellt Euch gemeinsam hinter Journalist*innen, die angegriffen werden! Wir dürfen nicht zulassen, dass das Innenministerium die Meinungs- und Pressefreiheit in Frage stellt – oder dass Redaktionsleitungen vor dem Druck von Rechts einknicken.“
Zwischenfrage: Wie ist das eigentlich, wenn der Druck von Links oder irgendwo anders her kommt? Soll man dann etwa einknicken?
- „Lasst freie Mitarbeiter*innen nicht hängen, wenn es unbequem wird. Das gilt insbesondere für Chefredaktionen: Rückgrat braucht man nicht nur beim Orthopäden.“
Sehr richtig!
- „Nehmt die Standpunkte eurer BPoC-Kolleg*innen ernst. Identität und Diskriminierungserfahrung spielen für die Sicht auf die Polizei eine große Rolle. Versucht nicht, benachteiligte Gruppen gegeneinander auszuspielen.
- Recherchiert weiter an den Themen, von denen momentan abgelenkt werden soll: Rassismus – insbesondere struktureller Rassismus bei der Polizei.“
Könnte es sein, dass „struktureller Rassismus“ (mehr als 21 000 Google-Treffer) wahrlich nicht zu den Randthemen gehört, von denen abgelenkt wird? Da wären andere zu nennen, zum Beispiel die strukturelle Verzahnung von Medienmachern und „Nichtregierungs“-Organisationen mit den Regierenden, die der Integrationsgipfel überdeutlich machte.