Die deutsche Politik begegnet der auf ihren nächsten Höhepunkt zusteuernden Migrationskrise weiterhin mit einer verstörenden Gelassenheit und Trägheit. Die Alarmrufe aus den Kommunen und Ländern, die mit den finanziellen Kosten und anderen negativen Folgen der Armutszuwanderung auf dem Wege des Asylantrags konfrontiert sind, bewirken nicht etwa entschiedenes Handeln, sondern nur ein verbales Echo. So auch jetzt vor dem nächsten „Migrationsgipfel“ am kommenden Mittwoch im Kanzleramt, da sich deutsche Politiker mit migrationspolitischen Forderungen und Vorschlägen zu Wort melden. Dass der Kanzler schweigt, überrascht schon längst niemanden mehr – manchmal könnte man fast vergessen, dass er über die Richtlinienkompetenz verfügt. Migration scheint ihn jedenfalls noch weniger zu interessieren als andere Themen.
Insofern ist der heutige Vorschlag des Linke-Politikers und thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow eigentlich konsequent: Er will „nicht auffälligen“ Asylbewerbern nach drei Jahren pauschal Asyl gewähren. So könne man sich „die ganze Bürokratie und die Abschiebedebatten sparen“, verkündet er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Klingt wahnsinnig, ist aber immerhin ehrlich. De facto kann so gut wie jeder Zuwanderer, der es nach Deutschland schafft und das Wort „Asyl“ kennt, hier auch bleiben und soziale Unterstützung auf demselben Niveau wie einheimische Empfänger erwarten. Die Asyl-Verfahren entfalten kaum jemals eine andere faktische Wirkung als das Bleiben der Zuwanderer. Abgeschoben werden, wenn überhaupt, nur Straffällige.
Die Umfragen sowie die Kassenlage der Kommunen und Sozialversicherungen machen jedem halbwegs wirklichkeitsorientierten Politiker die mittelfristige Unhaltbarkeit solch einer Politik deutlich. Sie führt unweigerlich in letzter Konsequenz zum Kollaps des Sozialstaates und darauffolgenden sozialen Extremen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser zeigte sich bisher ganz besonders wirklichkeitsresistent in dieser Frage, zumal sie auch die Rufe der Länder und Kommunen nach mehr Geld kühl zurückweist. In ihren jüngeren Aussagen kann man allerdings ein gewisses Eingeständnis der in jeder deutschen Gemeinde greifbaren Notwendigkeit der Begrenzung erkennen.
Sie plädiert nun für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen: „Jetzt verhandeln wir über Verfahren an den EU-Außengrenzen, um dort binnen kurzer Fristen über den Schutz von Menschen mit geringer Aussicht auf Asyl in der EU zu entscheiden“, sagte Faeser dem Handelsblatt. „Dann können abgelehnte Asylbewerber schnell bereits von den EU-Außengrenzen aus zurückgeführt werden.“ Dieser Satz ist erstaunlich, denn Worte wie Zurückführung kommen sonst in ihrem Vokabular überhaupt nicht vor. Nicht nur von ihrem Koalitionspartner Christian Lindner gibt es eine dazu passende aktuelle Aussage, in der sogar von Zäunen die Rede ist, sondern ausgerechnet von Faesers Vorgänger Horst Seehofer (CSU) kommt Lob, der ihr für die Verhandlungen eine „glückliche Hand“ wünscht.
Letztlich ist die Position der Grünen einfach eine Debattenverweigerung mittels moralischer Lufthoheit. So hat Britta Haßelmann umgehend mit den üblichen Nicht-Argumenten klargemacht, dass sie eigentlich gar nicht über pragmatische Lösungen debattieren will: „Wir können nicht die Debatte darauf konzentrieren, wie schotten wir uns am besten ab.“ Sie will auch auf dem Migrationsgipfel nur darüber reden, wie man die Kommunen unterstützen könne. Deutsche Einwanderungspolitik soll also nach grüner Vorstellung weiter nur darin bestehen, Einwanderer mit staatlichen Mitteln zu versorgen.