Angela Merkel ist sichtlich entspannt. Sie weiß natürlich längst, dass Interviews mit deutschen Journalisten, erst Recht mit denen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, für sie keine allzu große Gefahr bedeuten, mit scharfen Fragen und harter Kritik gegrillt zu werden. Da boten die beiden Interviews gestern in ZDF und ARD nun auch keine Überraschung. Wer beide sah, mag sich vor allem eine Frage gestellt haben: Warum brauchen wir eigentlich zwei öffentlich-rechtliche, von Zwangsgebühren finanzierte Sender, wenn deren Alpha-Journalisten die Kanzlerin nicht nur weitgehend vor Kritik verschonen, sondern auch noch mehr oder weniger dieselben Fragen stellen und diese sogar in mehr oder weniger identischer Reihenfolge.
Also fangen wir hinten an, nämlich bei der einzigen echten Nachricht, die in beiden Interviews steckt. Sie wird im ZDF eingeleitet mit typischem Merkel-Deutsch: Die Kanzlerin sagt, dass „wir“ – dieses Merkel-Wir, von dem man nie weiß, ob es ein Majestäts-Plural ist oder die Regierung, die Partei, die Bürger oder wohl einfach alle Menschen bezeichnet – doch „dankbar sein müssten, dass wir einen ganz guten Weg gefunden haben, und deswegen sag ich ja auch manchmal, wir dürfen das jetzt nicht verspielen“. Worauf Bettina Schausten tatsächlich „ja“ sagt und entgegenkommend-erklärend fortfährt: „Die Krise ist nämlich noch nicht zu Ende und das fordert ja vielleicht auch etwas von Ihnen. Denken Sie manchmal darüber nach, dass Sie in Verantwortung bleiben müssen, vielleicht auch dann für eine nächste Kanzlerkandidatur zur Verfügung stehen?“ Sichtlich gerührt von dieser Frage, die eher eine Bitte ist, sagt Merkel ihrem strahlendsten Lächeln: „Nein, wirklich nicht“ Und nochmal Schausten: „Das Nein steht also?“ – „Aber ganz fest“, sagt Merkel.
Immerhin, Peter Frey startete das ZDF-Interview der Kanzlerin mit einer als kritische Frage formulierten, eigentlich banalen Feststellung: „Werden unsere Kinder und Enkel die Zeche für Ihre Corona-Politik zahlen müssen?“ Und auch Rainald Becker von der ARD fragt so etwas ähnliches. Die Männer des ÖR scheinen in den Interviews dazu verdonnert worden zu sein, so etwas wie Kritik wenigstens zu imitieren. Merkel wäre nicht Merkel, wenn sie darauf die einzig korrekte Antwort gäbe, nämlich: Ja, selbstverständlich. Aber soviel Mut zur Wahrheit brächte vermutlich auch kein anderer unter obwaltenden Bedingungen regierender Politiker in ihrer Lage auf. Also schwurbelt sie über die „schwierigste wirtschaftliche Lage, die schwerste Krise seit Bestehen der Bundesrepublik“. Frey setzt zaghaft nach, es seien ja viele Milliarden jetzt da, die in den letzten Jahren fehlten „für Bildung, für Soziales, fürs Klima“ und statt „schwäbischer Hausfrau enden Sie als Schuldenkanzlerin“. Das streitet sie lächelnd nicht ab. Aber man habe schließlich bislang gut gewirtschaftet, was „uns“ (diesmal ist wohl die Bundesregierung gemeint) jetzt in die Lage versetze, „handeln zu können“. In der ARD spricht sie von einer „Hoffnung auf die Zukunft, dass wir das zurückzahlen können“. Diesmal ist „wir“ allerdings eine ziemlich eindeutige Lüge: „Ihr“ hätte sie sagen müssen, ihr jungen, zukünftigen Steuerzahler und Sparer.
Der Gleichklang von Fragenden und Kanzlerin zeigt sich auch in der Wortwahl. Die Kanzlerin bezeichnet ihr Handeln mehrfach mit einem ihrer Liebelingsadjektive als „mutig“, aber Schausten reicht das nicht: „Hätte man beim Punkt Klimaschutz nicht doch mutiger sein müssen?“ Mut scheint für ZDF-Journalisten und Merkel immer zu bedeuten: Noch mehr Geld der Steuerzahler ausgeben.
Merkel ist bekanntlich keine Meisterin der schönen oder auch nur korrekt ausformulierten Sätze, aber sie ist eine Meisterin darin, bestimmte Begriffe immer wieder zu senden. In der Corona-Krise ist dies die „demokratische Zumutung“, die in beiden Interviews mehrfach von ihr behauptet wird.
Was eine „demokratische Zumutung“ sein soll, weiß natürlich niemand genau. Merkel selbst vermutlich auch nicht. Kann eine Zumutung etwa demokratisch oder undemokratisch sein? Mutet Merkel oder die Bundesregierung etwas zu oder wird ihr oder allen Menschen etwas zugemutet? Vom Virus? Von den Maßnahmen dagegen? Das ist wohl gerade der Clou des Merkelschen Sprechens: Es ist unklar, es vernebelt die Wirklichkeit, ihr eigenes Handeln, verwischt dessen Konturen, verwirrt damit die Adressaten und erst recht die Kritiker. Merkel ist die Meisterin der Tarnung durch Sprache. Schwurbelphrasen wie die „demokratischen Zumutung“ verwirren das politische Denken. Hinter ihnen verschwimmt die Zuordnung der Verantwortung. Und damit erfüllt die Phrase ihren Zweck.
Immerhin antwortet sie am Ende im Singular auf die Frage, ob sie noch Vertrauen habe zu Trump. „Ich arbeite zusammen mit den gewählten Präsidenten auf der Welt, natürlich auch mit dem amerikanischen und ich hoffe, dass es gelingt, das Land gut zu befrieden.“ Im ARD-Interview lässt sie Trump sogar ganz wegfallen: „Ich vertraue auf die demokratische Kraft der Vereinigten Staaten von Amerika, dass sie mit dieser schwierigen Situation fertig werden.“ Mehr Distanzierung ist für einen Politiker kaum möglich.