Tichys Einblick
"das Herz gebrochen"

Spiegel-Redakteur Osang schenkt Merkel einen Wohlfühlabend

Die Liebe deutscher Journalisten zu Angela Merkel hat auch ein halbes Jahr nach Ende ihrer Kanzlerschaft keinen Schaden genommen. Spiegel-Redakteur Alexander Osang lässt im ersten großen Interview mit der Ex-Kanzlerin kaum eine Spur von professioneller Distanz erkennen.

Screenshot by Phoenix

Wer sich von dem ersten fernsehöffentlichen Langauftritt der Ex-Kanzlerin irgendwelche neuen Erkenntnisse über sie oder ihre Regierungszeit erhofft oder gar ein Eingeständnis eigener Fehler erwartet hatte, musste natürlich enttäuscht werden. Sie mache nur noch Wohlfühltermine, bestätigte sie ein angebliches Gerücht. Und Spiegel-Redakteur Alexander Osang enttäuschte sie nicht. Er bereitete Merkel selbst, aber auch dem offenbar aus Merkel-Fans zusammengesetzten Publikum (zumindest gab es immer wieder Lacher und Zwischenapplaus) im Berliner Ensemble wahrlich einen Wohlfühlabend. 

Dass Merkel für Osang ein Objekt der Sehnsucht war und ist, machte er schon in seiner Einstiegsrede mit Erzählungen über seine Begegnungen mit ihr im ersten Bundestagswahlkampf deutlich, als sie ihn noch abblitzen ließ. „Meine Kanzlerin wird sie sowieso immer bleiben“, sagte er. 

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Was Merkel und Osang dann in den ersten Minuten dieses Gesprächs über ihr Leben nach dem „freiwilligen“ (das betonte sie) Verzicht auf die Macht besprachen, war so belanglos wie früher im „Boulevard Bio“ bei Alfred Biolek, allerdings hat Osang nicht dessen Charme und Redegewandtheit. Osang fragte: „Wieso Ostsee, wieso nicht Nordsee?“ Merkel: „Weil ich mich da besser auskenne.“ Und weil die Menschen da an sie gewöhnt seien. Offenbar wurden wir 16 Jahre lang von einer Langweilerin regiert, die über ihre Literatur-Erfahrungen sagt, sie habe sich auch „das Feld des Hörbuchs“ ein „bisschen erarbeitet“.

Dass es nicht nur zwischen Merkel und Osang, sondern generell zwischen ihr und deutschen Journalisten gut läuft, machte Merkel mit dem für sie so typischen, seltsamen Vokabular deutlich. Sie lobte „die Summe der überregionalen Zeitungen in Deutschland“, durch die man „gut informiert“ sei. Das sei ein „Privileg“. Darunter versteht man laut Wikipedia eigentlich „ein Vorrecht, das einer einzelnen Person oder einer Personengruppe zugeteilt wird“. Da hätte ein spitzfindiger Interviewer nachhaken können: Wer privilegiert denn da wen? 

Ihre ganz eigene Kommunikationskunst offenbarte Merkel dann, als Osang fragte, wie sie sich „fühlte“, als Putins Armee die Ukraine angriff. „Ohnmächtig“? Sie antwortete nicht. Sie lobte sich stattdessen selbst für etwas, wonach Osang gar nicht gefragt hatte: „Ich war mit mir im Reinen, dass der Regierungsübergang sehr gut lief.“ 

Und dann stellt sie sich selbst die Frage, die Osang nicht stellte: „Hätte man noch mehr tun können, um eine solche Tragik – ich halte diese Situation jetzt schon für eine große Tragik – hätte man das verhindern können?“ Hier, wie so oft wenn es um ihre politische Verantwortung geht, spricht sie nicht in der ersten Person von sich selbst, sondern mit einem unpersönlichen „man“.  

Die Antwort darauf gibt sie erst später mit einer bemerkenswerten Behauptung über ihre Russland-Politik: „Diplomatie ist nicht falsch, wenn sie nicht gelingt.“ Sie sagt auch: „Ich bin im Rückblick froh, dass ich mir nicht vorwerfen muss, ich hab es zu wenig versucht, ein solches Ereignis, wie es jetzt stattgefunden hat, zu verhindern. Sondern ich hab es glücklicherweise ausreichend versucht.“ 

Dass sie den Krieg zu verhindern versuchte, mag man nicht bestreiten. Auch wenn man über die Wortwahl – „froh“ und „glücklicherweise“ – befremdet sein kann im Zusammenhang mit einem nicht verhinderten Krieg. Was man ihr allerdings vorwerfen kann, ist doch etwas ganz anderes, nämlich Deutschlands in ihrer Regierungszeit gewachsene Energieabhängigkeit von Putins Russland.

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Sie berichtet, wie ihr Putin schon 2007 in Sotschi gesagt habe, dass der Zerfall der Sowjetunion das große Unglück des 20. Jahrhunderts gewesen sei. Sie habe gemerkt, dass es einen wachsenden Dissens zu ihm gebe und es sei nicht gelungen, den Kalten Krieg zu beenden. 

Doch warum hat sie dann Deutschland nicht aus der Energieabhängigkeit von Russland und diesem Mann geführt? Diese naheliegende Frage kommt Osang aber nicht in den Sinn, stattdessen die absurde Frage, ob Putin mit seinem Angriff „gewartet habe, bis Sie weg sind“. 

Ihre Energiewendepolitik aber, die jene besondere Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas verstärkte, und andere politische Taten der Kanzlerin, für die ein kritischer oder auch nur einigermaßen distanzierter Gesprächspartner die Ex-Kanzlerin um Rechenschaft hätte bitten können, wurden von Osang kaum thematisiert oder nur wie in einer Laudatio abgefeiert. Zur Flüchtlingspolitik fiel Osang ein, dass „Wir schaffen das“ ein toller Satz gewesen sei. 

Bevor dann der übertragende öffentlich-rechtliche Sender Phoenix den Merkel-Wohlfühlabend mit einer Talkshow fortführte, in der unter anderem die FAZ-Redakteurin Helene Bubrowski die Merkel-Panegyrik auf die Spitze trieb, machte Osang zum Abschied noch Werbung für ein Buch mit Merkel-Reden. Er lege es dem Publikum „wirklich sehr ans Herz“. Darin sei auch eine Rede, die ihm „das Herz gebrochen“ habe. 

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