Tichys Einblick
Kohlianer ist weder Merkel noch Merz

Merkel als Kohls „Schülerin“? Sie verdiente eher das Schicksal Schröders

Angela Merkel sonnt sich im Lichte der historischen Gestalt Helmut Kohl. Verlogener geht es kaum. Mit Blick auf das, was bei ihrer Energie- und Russlandpolitik "hinten raus" kam, hat sie eher dieselbe Ächtung wie Gerhard Schröder verdient.

Angela Merkel, Bundeskanzlerin a.D., bei der Eröffnung der Helmut Kohl Stiftung, Berlin, 27.09.2022

IMAGO / Political-Moments

Über das Verhältnis der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Helmut Kohl und das zu Friedrich Merz muss man nicht mehr viel sagen. Zuletzt hatte Merkel ihren einstigen Rivalen und Nachnachfolger Merz noch gedemütigt, indem sie nicht mit ihm Essen gehen wollte.

Umso erstaunlicher dass Merkel nun neulich ausgerechnet als Gast der neu gegründeten Helmut-Kohl-Sitftung sprach – wo auch Friedrich Merz anwesend war. Ein FAZ-Redakteur und Merkel-Biograph erklärte daraufhin beide als „Kohlianer“ und zwar „weil sie sich programmatisch an ihn angenähert haben.“ 

Dieser Doppelauftritt von Merkel und Merz, als auch die „Kohlianer“-Deutung, die sicher im Sinne Merkels und vermutlich auch Merzens ist, sind dreifach verlogen. Merkel und Merz wollen sich im Glanz der historischen Person Kohl sonnen, die sich gegen solche Instrumentalisierungen nicht mehr wehren kann – das ist alles. In ähnlicher Weise gilt das auch für Journalisten, die ihre Merkel-Begeisterung in eine große, pseudohistorische Erzählung von langen, alternativlosen Entwicklungen einbetten möchten. 

So gut wie nichts daran ist stimmig. Merkel ist Kohl nicht nur persönlich mit ihrem berühmten FAZ-Artikel vom Dezember 1999 in den Rücken gefallen, sondern hat auch im Laufe ihrer 16 Kanzlerinnenjahre kaum noch einen Rest vom programmatischen Tafelsilber der alten Kohl-CDU übrig gelassen, den sie nicht der SPD und den Grünen zu Füßen gelegt hätte. Wer einen Eindruck davon erhalten will, muss nur Aussagen der Nochnichtkanzlerin vor 2005 mit ihrer Energiewende-Politik von 2011 oder ihrer Einwanderungspolitik von 2015 vergleichen. 

Daher mutet es geradezu sarkastisch an, wenn Merkel bei ihrem Auftritt vor der Kohl-Stiftung den Kohl-Satz „Entscheidend ist, was hinten rauskommt“ zitiert und als Lehre für ihren politischen Weg bezeichnet. Kein einziges sachpolitisches Ziel, sofern Merkel es denn vor 2005 bekannt gemacht hat, ist in ihrer Kanzlerschaft Wirklichkeit geworden. Sie tat beispielsweise 2003 beim Leipziger Parteitag so, als lägen ihr Erhard und dessen Ordnungspolitik am Herzen, sie bezeichnete Windräder als ihren „Deutschland-Albtraum“ und sah „Multikulti“ als „gescheitert“ an.  

Merz einen „Kohlianer“ zu nennen, erscheint nicht weniger unpassend. Kohl interessierte sich kaum für Wirtschaft und Finanzen, allenfalls taktisch, aber nicht grundlegend. Eine seiner größten und fatalsten Schwächen. Was dabei „hinten raus“ kam, war letztlich zum Beispiel Norbert Blüms verantwortungslose Rentenpolitik und der Euro. Einen Wirtschaftspolitiker wie Merz zum Kohlianer zu erklären, ist damit von vornherein schief. 

Vor allem aber fehlt Merz eine zentrale Charaktereigenschaft, die Kohl immer auszeichnete, ja geradezu sinnbildlich für den pfälzischen Hünen war: die innere und äußere Standfestigkeit gegenüber Kritik aus der Opposition und vor allem aus der Presse. Während Kohl seine gesamte Kanzlerschaft gegen den Spiegel und einen Großteil der anderen Leitmedien regierte, die ihn mit Häme und Hass überschütteten, fällt Merz als Oppositionsführer schon um, sobald ihm auf Twitter das geringste Empörungslüftchen entgegenbläst. 

Merkel kennt Merz’ Standschwäche. Sie ließ ihn immer wieder ihre Verachtung spüren, demütigte ihn auch noch nachträglich, indem sie seine Widersacher Kramp-Karrenbauer und Laschet protegierte. Undenkbar, dass Kohl sich ähnliches von irgendeinem „Parteifreund“ oder wem auch immer gefallenlassen hätte, ohne im Nachhinein Tabula rasa zu machen. Aber Merz lässt es sich gefallen – und behält Dutzende von alten Merkelianern auf entscheidenden Posten im Konrad-Adenauer-Haus.

Verlogen ist aber auch Merkels Kohl-Instrumentalisierung mit Blick auf die aktuelle Lage in der Ukraine und gegenüber Russland. Sie denke, Kohl würde heute „alles daran setzen, die Souveränität und die Integrität der Ukraine zu schützen und wiederherzustellen“, sagte Merkel. Dem will man ebenso wenig widersprechen wie Merkels Behauptung, dass ein heute noch regierender Kohl vermutlich über den aktuellen Krieg hinausdenken würde, „nämlich wie so etwas wie Beziehungen zu und mit Russland wieder entwickelt werden können“. 

Solchen Weitblick will sie, die zuvor betonte, wie „unendlich viel“ sie als „Schülerin von Helmut Kohl“ gelernt habe, damit natürlich auch sich selbst zusprechen. So wie sie sicher auch mit der Behauptung, Kohl habe Menschen charakterlich bewertet und danach, ob sie „intelligent“ und „zusätzlich auch noch klug“ seien, sicher auch etwas über sich selbst aussagen wollte, die schließlich von Kohl als sein „Mädchen“ zur Ministerin gemacht wurde.

Die Frage allerdings, inwiefern sie selbst denn etwa 2011 beim überstürzten Ausstieg aus der Kernenergie oder 2015 bei der Öffnung der Grenze über die damals aktuelle Lage „hinausgedacht“ habe, soll hinter solcher historischen (Selbst-)Beweihräucherung wohl unkenntlich werden. Nun, 12 Jahre nach dem Ausstieg, der nichts anderes als ein verstärkter Einstieg in die Energieabhängigkeit vom damals schon putinistisch beherrschten Russland war, wissen wir jedenfalls, was bei Merkels Politik „hinten raus“ kam. 

Kohl war in taktischen Fragen oft zum Nachgeben, jedenfalls zu Kompromissen bereit, aber große Ziele, nicht zuletzt die deutsche Einheit, verfolgte er auch gegen großen öffentlichen Widerstand. Dass ein Großteil der westdeutschen Medien, inklusive Spiegel, und erst Recht der Intellektuellen in all den Jahren vor 1990 das Ziel der deutschen Einheit ablehnten, focht Kohl nicht an. Merkel zeigte mit jenem Aufstand gegen Kohl im Dezember 1999 zwar durchaus einen persönlichen Mut, den Merz bisher noch nie zu erkennen gab. Aber sie tat das nur, als es um ihre persönliche Chance zur Macht ging. Persönliche Risiken für das Land oder politische Überzeugungen haben weder Merkel noch Merz je auf sich genommen.  

Der Kanzler, der Kohl bei den Wahlen 1998 besiegte, Gerhard Schröder, hat das als bislang letzter deutscher Regierungschef getan. Er setzte mit der Agenda 2010 ein sachpolitisches Ziel gegen großen Widerstand vor allem in der eigenen Partei durch, was ihm letztlich machtpolitisch zum Verhängnis wurde. Seine Nachfolgerin Merkel allerdings profitierte von dem auf Schröders Reformen basierenden ökonomischen Aufschwung, der ihre Politik des programmatischen Ausverkaufs christdemokratischer und vor allem nationaler Interessen überhaupt erst ermöglichte. Der Lohn dafür war das Wohlwollen der links und grün gesinnten Meinungsmacher. So ließ es sich fast risikofrei regieren.

Dass Schröder heute wegen seiner bizarren Freundschaft zum Diktator und Angriffskrieger Putin zu einer Persona-Non-Grata geächtet wurde, ist nachvollziehbar. Seine offen zelebrierte Kameraderie mit Putin ist unerträglich. Und doch kann man sich fragen, warum Merkel nicht dasselbe Schicksal erfährt. Für sie kam zwar allein schon als Frau das peinliche Kumpelgetue Schröders im Kreml nicht infrage, aber wenn man in Kohlscher Manier danach fragt, was „hinten raus“ gekommen ist, muss man feststellen: Merkel hat in ihrer langen Regierungszeit spätestens nach 2011 mindestens ebenso viel dafür getan, die Energieabhängigkeit Deutschlands (und damit Europas) vom Kreml zu verstärken wie ihr Vorgänger Schröder. Wer wegen Russland für die Aberkennung der Exkanzler-Privilegien für Schröder ist, müsste dasselbe auch für Merkel fordern. 


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