Zu den schnellsten Kommentatoren der Ereignisse im Capitol in Washington gehörte Bundesaußenminister Heiko Maas. Schon am Donnerstagvormittag erschien auf der Website des Spiegel ein Gastbeitrag unter dem Titel „Wer hetzt, trägt Verantwortung“.
In dem kurzen Text von nur 351 Wörtern steckt gleich 15 Mal „demokratisch“ / „Demokratie“. Dafür scheint der Außenminister schon in den ersten Sätzen eine besondere Kompetenz zu beanspruchen: „Die Bilder vom Sturm aufs Kapitol tun jedem Freund der Demokratie in der Seele weh. Die demokratische Welt ist geschockt und entsetzt.“ Dass sich ein Außenminister zum globalen Seelenbotschafter aller Freunde der Demokratie, ja der demokratischen Welt erklärt, kann man durchaus befremdlich finden, wenn man es nicht als Mischung aus Polit-PR-Kitsch und üblicher Politiker-Hybris abhaken mag. Aber das reicht ihm noch nicht. Einen Tag später will er den USA Nachhilfe in Sachen Demokratie erteilen:
„Wir sind bereit, mit den USA an einem gemeinsamen Marshallplan für die Demokratie zu arbeiten.“
Der Marshallplan war ein wirtschaftliches Wiederaufbauprogramm der USA für Staaten Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Bundesrepublik Deutschland hatte davon besonders profitiert.
Dann kommt die zentrale Botschaft: „Aber das reicht nicht. Wir brauchen einen Schulterschluss aller Demokraten – weltweit. Der Kampf gegen engstirnige Verblendung, gegen Intoleranz, gegen die Spaltung unserer Gesellschaften – er ist unser gemeinsamer Kampf.“
Der Kampfaufruf des Heiko Maas gegen „engstirnige Verblendung“, „Intoleranz“ und die „Spaltung unserer Gesellschaften“ ist einer zum so genannten Kulturkampf. Die „Spaltung unserer Gesellschaften“ soll offenbar nicht durch Angebote zur Verständigung überwunden werden, wie das die Parteifreunde des Außenministers vor einem halben Jahrhundert gegen die Spaltung Deutschlands und Europas erfolgreich ins Werk setzten. Sondern durch Kampf.
Heiko Maas offenbart sich in diesem Text, so wie er es auch in zahllosen Tweets und anderen Äußerungen tut, als ein Außenminister, der sich weiterhin wie ein Juso-Funktionär gebärdet. Ereignisse außerhalb Deutschlands sind ihm offenbar nur Anlass, innenpolitische Forderungen zu stellen. Das Weltgeschehen ist ihm ein unerschöpflicher Rechtfertigungslieferant für den Kampf gegen innere Feinde.
Was er sich darunter vorstellt, schreibt er in dem kurzen Satz nicht konkret. Das übernahm fast zeitgleich seine Parteifreundin und Kabinettskollegin Christine Lambrecht. Die Bundesjustizministerin kündigte im Handelsblatt an, Internetplattformen in Europa schärfer zu regulieren, um „Wahlen zu schützen“ und „gegen Lügen und Verschwörungsmythen konsequent vorzugehen“.
Selbstverständlich kann man sich als Bürger Deutschlands, das seine Freiheit und äußere Sicherheit vor allem dem Bündnis mit den USA verdankt, dem Wunsch des Außenministers für den künftigen Präsidenten nur anschließen nach „viel Kraft bei der schweren Aufgabe, die Spaltung Amerikas zu überwinden“. Aber man sollte Joe Biden vor allem wünschen, dass er und seine künftige Regierungsmannschaft darunter nicht das versteht, was Maas „Kampf für die Demokratie“ nennt. Spaltungen überwindet man nicht kämpfend, sondern indem man Brücken baut, miteinander redet, tragbare Kompromisse findet.