Tichys Einblick
Steuerstreit zwischen FDP und Grünen

Lindner mimt den Steuersenkungspolitiker – Habeck sitzt am längeren Hebel

Christian Lindner versucht, sich vordergründig wieder als Steuern-Runter-Politiker zu präsentieren. Glaubhaft kann er das nicht mehr. Robert Habeck und die Grünen bremsen ihn locker aus. Auch weil sie auf ihre eigenen Wähler keine Rücksicht nehmen müssen.

Christian Lindner, Bundesminister der Finanzen, und Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, im Bundestag, 03.06.2022

IMAGO / photothek

Christian Lindner hat ein Problem. Es ist allerdings nicht nur seines, sondern das aller Steuerzahler. Der FDP-Chef hatte sich – der klassischen Rolle seiner Partei entsprechend – im Wahlkampf zu ihrem Anwalt stilisiert und versprochen, für ausgabenpolitische Solidität zu sorgen und jegliche Steuererhöhung zu verhindern. Nun hat er allerdings im Koalitionsvertrag all die Transformationspläne seiner roten und grünen Partner durchgewunken und als eine seiner ersten Amtshandlungen die Chance, seine Standhaftigkeit zu beweisen, sogleich verspielt. Indem er nämlich mit einem Taschenspielertrick aus noch gar nicht aufgenommenen Corona-Schulden grünen Wünschen entsprechend Klima-Schulden machte. Wer gleich bei der ersten Feuerprobe zeigt, dass er nicht standhält, kann nicht mehr erwarten, dass man ihm das bei nächster Gelegenheit noch zutraut. 

Was von Lindners vagem Versprechen von Steuerentlastungen angesichts galoppierender Inflation zu halten sei, stellt nun Robert Habeck auf die Probe. Dass er sich in der Ampel-Koalition nicht mit der eher sekundären Rolle seiner Wirtschaftsminister-Vorgänger abfinden werde, war zu erwarten. Der Grüne scheint sich eher als eine Art Superminister zu sehen, dem auch die Finanz- und Steuerpolitik zusteht. Mit seinen per Interview an den Finanzminister gegebenen Ratschlägen übernimmt er die Initiative: „Wenn man nicht den Spitzensteuersatz erhöht, gibt es für Entlastungen darunter wenig Spielraum.“ Grünen-Finanzpolitiker Sven Kindler hat das laut Handelsblatt jetzt noch unterstrichen: „Wir können über dieses Thema unter der klaren Bedingung reden, wenn eine Korrektur vollständig über eine Erhöhung der Einkommensteuer für Verdiener von Spitzeneinkommen gegenfinanziert wird.“ 

Die generelle Botschaft der beiden Grünen ist klar: Unterm Strich ist mit ihnen eine Steuerentlastung nicht zu machen (mit der SPD erst recht nicht). Der Staat, den die Grünen regieren, wird sich nicht bescheiden in seinem Anspruch auf Steuergeld. Denn man hat sich ja die große Transformation des Landes vorgenommen. 

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Lindner hat nun reagiert. Und zwar so defensiv, wie zu erwarten war. Er ließ seine Ministerialbeamten durchrechnen, was Habecks Forderung bedeuten würde. Wenn der Staat niedrige und mittlere Einkommen so weit entlasten würde, dass der durch die „kalte Progression“ verursachte sogenannte „Mittelstandsbauch“ flach würde, müsste unter der Bedingung der Aufkommensneutralität der Spitzensteuersatz von derzeit 42 auf 57,4 Prozent angehoben werden. Das wäre mehr als in der späten Kohl-Zeit – als Deutschland wohl nicht zufällig das wirtschaftliche Sorgenkind Europas war. 

„Spitzensteuersatz“ und „Besserverdiener“ – bei diesen Begriffen soll der Bürger vermutlich den Eindruck bekommen, dass es um Reiche geht. Doch es geht um ein zu versteuerndes Einkommen von 80.000 Euro pro Haushalt. Betroffen sind also Millionen von Menschen in durchaus nicht übermäßigem Reichtum, sondern qualifizierte Fachkräfte, halbwegs erfolgreiche Handwerker, Angestellte, Freiberufler – auch viele Journalisten. Lindner hat recht, wenn er gegenüber dem Handelsblatt einwendet, dass eine derart drastische Steuererhöhung für die Menschen, die die Basis unserer Produktivität darstellen, „die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land“ strangulieren würde. 

Eigentlich wäre jetzt die Gelegenheit, in die Steuersenkungsoffensive zu gehen. Also nicht die einen Steuerzahler gegen die anderen auszuspielen, sondern die Raffgier des Staates anzugreifen. Eines Staates, in dem die Steuerquote 2021 auf 24,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen ist (zählt man Abgaben dazu, waren es 2020 sogar 38,3 Prozent). Allein die Sozialquote, also der Anteil der durch den Staat und die Sozialversicherungen umverteilten sozialen Leistungen am BIP, lag 2020 beim absoluten Rekordwert von 33,6 Prozent. 

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Ein liberaler Finanzpolitiker, der wirklich den Willen hätte, sich auf seinem eigenen Feld gegen die Grünen durchzusetzen, könnte diese gerade jetzt scharf kontern, wo diese eine „Kriegssteuer“, eine „Übergewinnsteuer“ für Unternehmen fordern, die durch den Ukraine-Krieg besondere Gewinne machen. Wäre es nicht eher gerechtfertigt, eine Sondersteuer von jenen Unternehmen und Bürgern einzukassieren, die wegen grüner Transformationspolitik Kasse machen? Warum keine Übergewinnsteuer für all jene, die vom expandierenden Staat profitieren? Das wären natürlich rhetorische Fragen, die letztlich zu grundlegenden Forderungen führen würden: Lasst uns die absurde, marktwirtschaftsfeindliche Energiewende radikal entsubventionieren! Lasst uns den wuchernden Umverteilungsstaat einhegen! Lasst uns bei uns selbst anfangen, und die Expansion des Regierungsapparates ins Gegenteil verkehren! 

Doch Lindner kann eben nicht mehr wirklich in die Offensive gehen, für die seine Partei 2021 von so vielen Steuerzahlern gewählt wurde, weil er im Koalitionsvertrag und durch seinen Corona-Klima-Schulden-Taschenspielertrick sowie den aktuellen Superneuverschuldungshaushalt jede Glaubwürdigkeit als harter Stabilitäts- und Ausgabenbegrenzungspolitiker eingebüßt hat. Von ihm kommt stattdessen ein windelweicher Satz: „Bei entsprechendem politischem Willen zur Prioritätensetzung wäre eine Entlastung auch anders finanzierbar.“ 

Da klingt schon mit: Den Willen gibt es halt nicht. Die FDP und Lindner werden also, das ist längst absehbar, den aufkommenden Koalitionsstreit um die Steuerpolitik verlieren. Der defensive Aufmarsch zeigt schon jetzt, dass man nur noch einen Schaukampf führt, um den eigenen Wählern zu demonstrieren: Wir haben uns ja bemüht, aber es ging halt nicht. Man spielt noch einmal Steuersenkungspartei.

Habeck und die Grünen sitzen gegenüber Lindner und der FDP am längeren Hebel. Nicht nur, weil sie sich im Zweifel auf die ebenso steuersenkungsfeindliche und staatsausgabensteigerungswillige SPD verlassen können. 

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Eine der erstaunlichsten Bedingungen des neuen deutschen parteipolitischen Systems, in dem die Grünen eine zwar nicht zahlenmäßige aber dafür unangefochtene programmatische Hegemonie ausüben, ist deren Immunität (bisher jedenfalls) gegen die Interessen der Steuerzahler. Die Grünen müssen den Wählerunwillen gegen einen raffgierigen Staat nicht fürchten, obwohl sie laut Umfragen von Besserverdienern mit Spitzensteuersatz überproportional gewählt werden. Das ist vielleicht das zentrale Erfolgsgeheimnis der Grünen: Die Masse ihrer Wähler wählt sie nicht, weil sie deren materielle Interessen vertreten, sondern obwohl oder sogar gerade weil sie es nicht tun. Darüber wäre lange zu philosophieren. Solange man Wohlstand für selbstverständlich hält, kann man es sich eben leisten, nach (scheinbar) moralischen Kriterien zu wählen. Die Grünen zu wählen, erfüllt vielleicht für viele auch die Funktion einer Art politischen Ablasshandels für ihre ökologischen Sünden.

Es gibt allerdings auch eine wachsende Schicht, die von den Grünen nicht nur durch ein gutes Gewissen politisch bedient werden. Zu dieser heute tonangebenden Schicht gehören alle, die ihr Einkommen durch die Transformationsmaßnahmen der Ampel verdienen oder zumindest sichern oder stärken. Das ist zweifellos die neue Klasse der im Koalitionsvertrag sogenannten „Zivilgesellschaft“, die im rot-grünen Verständnis vor allem aus NGOs besteht, die immer offener vom Staat finanziert und somit eigentlich zu einem de facto Nebenstaat werden. Aber dazu gehören letztlich auch wachsende Teile der Privatwirtschaft, erst recht große Konzerne, mit Anknüpfungspunkten zur Energie- und Verkehrswende. Sie entdecken gerade die Vorzüge eines Wirtschaftslebens, in dem der Staat zunehmend die großen unternehmerischen Entscheidungen vorgibt und dafür die Marktrisiken einschränkt. Und wenn es schiefgeht, etwa mit dem in Brüssel gewollten Ende des Verbrennungsmotors bis 2035, wandert man eben in andere Weltgegenden ab. 

Sich mit dieser neuen Klasse der Staatsprofiteure in Wirtschaft und Zivilgesellschaft anzulegen, wagen Lindner und seine FDP nicht. Solange sie es aber nicht tun, können sie nicht ernsthaft glauben, im Interesse eines schlanken Staates und seiner Steuerzahler zu handeln. 

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