Der Disput um die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Ukraine hat mindestens zwei Ebenen. Einmal die international-sicherheitspolitische: Bundeskanzler Olaf Scholz und sein frisch ernannter Verteidigungsminister Boris Pistorius haben Deutschland mit ihrem anhaltenden Nein gegen Kampfpanzer für die Ukraine schwere Kritik innerhalb des westlichen Bündnisses eingebracht. Der wirkliche Grund für Scholz’ Beharren bleibt dabei weiter unklar. Warum die Kampfpanzer-Sendung so kategorial verschieden von anderer militärischer Unterstützung sein soll, hat Scholz bislang nicht deutlich gemacht. Immer wieder kommt nur das Mantra: Deutschland und die Nato dürfe nicht Kriegspartei werden und man wolle keinen Alleingang. Doch warum Flugabwehrsysteme, Haubitzen, Marder und Gepard dieses Risiko nicht bedeuten, hat Scholz nie überzeugend erklärt. So bleibt der Verdacht, dass irgendetwas anderes dahinter steht, was nicht offen gesagt werden soll. Das Argument des Alleingangs ist ohnehin absurd, da Deutschland sich gerade mit der Verweigerung von seinen Verbündeten entfremdet, wie man nach dem Ramstein-Treffen der Nato-Verteidigungsminister kaum übersehen konnte.
Für Scholz ist diese Verweigerung der Leopard-Lieferung nach dem CumEx-Warburg-Skandal nun das zweite Feld, bei dem der Kanzler höchstwahrscheinlich die Öffentlichkeit und vielleicht sogar Parteifreunde und Koalitionspartner über sein handlungsleitendes Wissen und seine wirklichen Beweggründe nicht aufklärt. Was weiß der Kanzler? Was fürchtet der Kanzler im Falle der Lieferung von Leopard-Panzern an die ukrainische Armee? Fürchtet er Nachteile, gar Gefahren für Deutschland? Das Gas hat uns Putin schließlich schon abgedreht. Oder nur Risiken für sich selbst?
CDU- und Oppositionschef Friedrich Merz lässt sich zu solchen Rufen nicht herab. Als Chef macht man so etwas nicht selbst, sondern lässt machen. Merz ist ohnehin dafür bekannt, dass er sich am liebsten ins Kanzleramt tragen lassen würde. Und das wohl gerne auch mit Hilfe der Grünen, die er in jüngerer Zeit kaum und wenn dann mit seidenen Handschuhen angreift.
Die Ironie der Geschichte ist: Ausgerechnet jener Friedrich Merz, der in den späten Merkel-Jahren der erhoffte Heiland der von Merkels de facto grüner Politik enttäuschten CDU-Basis sein sollte, macht sich nun anheischig, selbst deren Vermächtnis womöglich zu erfüllen: die Koalition mit den Grünen (und einer angehängten FDP). Dass dies ausgerechnet aus Anlass der Forderung der Grünen nach Waffenexporten wahrscheinlicher wird, hätten sich allerdings sicher weder Merkel noch andere die Grünen bewundernde CDU-Politiker seinerzeit vorstellen können.
Dass die FDP mit überliefe, wenn die Grünen sich dazu entschieden, kann man wohl sicher annehmen. Also geht es nur um die grün-schwarze Frage. Stünde da noch irgendeine politische Position im Wege? Im Großen und Ganzen hat Merkel in ihrer langen Regierungszeit fast alles aus alten CDU-Zeiten aus dem Weg geräumt. Am Ende ihrer Ära wurde die CDU von Männern und Frauen geführt, die die Grünen als eigentliche Agenda-Setter der deutschen Politik akzeptierten und bewunderten.
Nun ja, vor allem zwei Themen stünden im Zentrum. In der Opposition haben einige Unionspolitiker, auch Merz, zaghaft versucht, in der Energiewirtschafts- und in der Einwanderungspolitik die letzten Reste einstigen Unionsprofils wieder zu schärfen. Da wären die Rufe nach energiewirtschaftlicher (und nicht zuletzt klimapolitischer) Vernunft, also längeren Laufzeiten für Kernkraftwerke, die im Sommer laut erschallten. Doch Merz hat bald darauf auch klargemacht, dass die ökonomische Vernunft, für die seine Partei und nicht zuletzt er selbst einst stand, auf dem Weg ins Kanzleramt nicht allzu sehr stören soll. Im Oktober warnte Merz noch in der Kernkraftfrage vor „ideologischer Geiselhaft“ der Grünen, doch im Dezember ließ er dann wissen, dass er selbst den Weiterbetrieb für unmöglich halte. Und in der „Weimarer Erklärung“ der CDU steht nun: „Wir sprechen uns nicht für den Neubau von Kernkraftwerken aus. Wir befürworten die Forschung und Entwicklung der Kernenergie der nächsten Generation.“ Das klingt nicht gerade nach Kampfgeist für ein Revival der Kernenergie und gegen die „ideologische Geiselhaft“ der Grünen. Bleibt noch die Forderung von Merz und der CDU nach CO2-Kreislaufwirtschaft, also der Ruf nach Technologien, „wie man CO2 speichern oder zurückgewinnen kann und wie man möglicherweise sogar mit CO2 neue Produkte erzeugen kann“.
Auf diesem Feld könnte es der CDU in einer Koalition mit den Grünen womöglich sogar gelingen, letztere zu spalten und dadurch zu dominieren. Zumindest Robert Habeck zeigt sich einigermaßen aufgeschlossen für „Carbon Capture and Storage“. Allerdings hat die CDU die Chance, diese Techniken in Deutschland voranzutreiben, schon vor über einem Jahrzehnt unter der damaligen CDU-Forschungsministerin Annette Schavan selbst versäumt. Man traute sich damals (in einer Koalition mit der FDP!) nicht recht, die Speicherung von CO2 im Boden offensiv in der Öffentlichkeit zu vertreten.
Ähnliches gilt für die Einwanderungspolitik der CDU. Zaghafte Forderungen nach einer restriktiveren Asylpolitik von einigen CDU- und vor allem CSU-Politikern wurden gleich von den unionsinternen Anstandsdamen und -herren konterkariert, die Merkels 2015er-Vermächtnis hüten. Vor allem auf den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther können sich die Grünen hier verlassen. Das neue Aufenthaltsrecht der Ampel sei grundsätzlich richtig, verkündete der kürzlich, Deutschland müsse „weltoffen“ sein. Das ist der Sound, den die Grünen mögen. Und klar: Von „kleinen Paschas“, wie Merz, würde Günther nie sprechen. Falls es wirklich in absehbarer Zeit zu einer grün-schwarzen Koalition kommen sollte, werden die Grünen darauf setzen, dass Günther in ihr eine Hauptrolle spielt.
Das größte Hindernis vor einer grün-gelb-schwarzen Koalition dürften nicht politische Positionen sein, sondern womöglich die Person Friedrich Merz. Der hat zwar die Hoffnungen seiner eigenen Anhänger in der Union auf klare Kante und eine Renaissance der Vor-Merkel-CDU kaum erfüllt. Aber für weite Teile der Grünen und vor allem für ihre radikalisierten Anhänger im politischen Vorfeld der NGOs und Klimaaktivisten ist Merz dennoch zu einer willkommenen Feindfigur gemacht worden. Ausgerechnet diese Person zum Kanzler zu krönen, dürfte viele Grüne mehr Überwindung kosten, als umgekehrt die meisten Christdemokraten die Preisgabe ihrer politischen Positionen.
Nicht nur, aber auch deswegen werden die meisten Grünen dann eben doch lieber Scholz die Treue halten.