Niemand hat die Absicht, einen Klima-Lockdown zu machen
Ferdinand Knauss
Michael Kretschmer spricht sich gegen einen "Klima-Lockdown" aus. Das heißt nicht, dass er nicht kommt, sondern vor allem, dass die Idee in den Köpfen ist. Das Muster ist ganz und gar nicht neu.
Zunächst die Nachricht: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat sich zum „Klima-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts und den Plänen von Bundesumweltministerin Svenja Schulze geäußert, die eine deutlich verschärfte Novelle des Klimaschutzgesetzes angekündigt hat. Kretschmer sagt – vernünftig und banal: „Deutschland sollte das leisten, was es kann, die übrigen Länder aber auch. Wirksamer Klimaschutz kann nur gelingen, wenn alle mitmachen“. Er will also die übereifrige Schulze einbremsen, klar machen, was man den Deutschen jederzeit (ob in der Flüchtlings-, Corona- oder Klimapolitik) einflüstern möchte, dass nämlich am deutschen Wesen eben doch nicht die Welt genesen werde.
Aber dann entschlüpft ihm ein Satz, der aufhorchen lässt: „Wir müssen sehr gut überlegen, wie wir effektiv vorgehen. Es wäre falsch, nach dem Corona-Lockdown in einen Klima-Lockdown zu gehen.“ Warum sagt er diesen letzten Satz?
Nun ist Michael Kretschmer nur sächsischer Ministerpräsident und sein Einfluss auf die Klimapolitik beschränkt. Aber nicht nur deswegen sollte man sich keineswegs sicher sein, dass solch ein Satz nun bedeutet, dass ein Klima-Lockdown dadurch unwahrscheinlicher wird.
Der erste Corona-Lockdown war schließlich auch nicht unmöglich geworden, nachdem das Gesundheitsministerium noch am 14. März 2020 diesen Tweet über vermeintliche „Fake News“ in die Welt gesetzt hatte: „Es wird behauptet und rasch verbreitet, das Bundesministerium für Gesundheit / die Bundesregierung würde bald massive weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens ankündigen. Das stimmt NICHT!“
Es ist wahrlich kein ganz neues Phänomen, dass Politiker etwas laut verneinen, was sie dann gar nicht so viel später zur Wirklichkeit werden lassen.
Walter Ulbrichts Satz auf einer Pressekonferenz vom 15. Juni 1961 ist in die Geschichte eingegangen: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“. Am 13. August geschah dann bekanntlich genau das.
Tatsächlich weiß bis heute niemand, ob Ulbricht, als er den Satz sagte, schon wusste, dass er eine Mauer bauen lassen würde. Eine derart dreiste Lüge wäre dem DDR-Herrscher durchaus zuzutrauen, an seiner völligen Skrupellosigkeit kann es jedenfalls keinen Zweifel geben. Womöglich war es aber auch umgekehrt: Vielleicht hat ihn das Geraune über die Grenzsperrung, das damals im Schwange war, und vielleicht auch seine eigene Antwort auf die Frage einer westdeutschen Journalisten erst so recht auf die Idee gebracht oder sie zumindest bestärkt: Ja, warum eigentlich nicht? Wir bauen einfach eine Mauer!
Dass man das Scheusal schließlich nicht beim Namen nennen würde, war klar. Nie wieder sprachen Ulbricht und seine Schergen von einer „Mauer“. Sie nannten sie „Antifaschistischer Schutzwall“.
Man sollte historische Analogien natürlich nie zu weit treiben. Es geht hier auch gar nicht um Analogien zwischen den politischen Akteuren und ihren politischen Zielen. Die gibt es nicht. Ziele und Mittel der DDR-Machthaber waren höchst verwerflich, die Ziele der Corona- und Klimaschutzpolitiker allein sind es nicht per se. Die Analogie betrifft das Muster der Stärkung einer Idee durch ihre öffentliche Verneinung.
In der massenmedialen, dauerschnatternden Welt der Gegenwart ist eine Idee eben nicht dadurch aus der Welt zu schaffen, dass sie verneint wird. Im Zweifelsfall kann man dann beim Umschalten von der Verneinung in die Bejahung einfach einen anderen Namen finden. So wie die Schuldenvergemeinschaftung in der EU eben nicht unter „Euro-Bonds“ firmiert, gegen die sich Merkel immer wieder aussprach, sondern unter dem schönen Namen Wiederaufbaufonds oder dem noch schöneren „NextGenerationEU“, kurz NGEU, wird es vermutlich nie eine politische Maßnahme namens Klima-Lockdown geben, aber vielleicht eine, die anders heißt und doch dasselbe bedeutet.
Wenn schlaue Politiker oder andere Mächtige eine Idee oder ein politisches Projekt wirklich nicht wollen, sprechen sie nicht davon. Konsequentes Verschweigen ist in unserer Schnatterwelt das wirkungsvollste Verhinderungsmittel.
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