Robert Habeck hat in einem kurzen Interview ganz nebenbei eine grundlegende Revision der Energiewende in Aussicht gestellt. Womöglich werden Deutschlands Kohlekraftwerke nun doch nicht im Jahr 2030 endgültig erlöschen. Nach Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hat nun auch Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck eine Verlängerung aufgrund des Krieges in der Ukraine in Aussicht gestellt. „Da muss der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen, die Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein“, sagt der Grünen-Politiker am Mittwoch im Deutschlandfunk.
Schon am Vortag hatte er während seines Antrittsbesuches in Washington angedeutet, was er nun deutlich sagt. Auf die Frage „Ist Sicherheit wichtiger als Klimaschutz?“ antwortet er: „Im Zweifel ist das so.“ In einem 7-minütigen Interview macht der Klimaschutzminister also deutlich, dass die Rettung der Welt durch Klimaschutz, also das große Ziel der Grünen, nicht wirklich absolute Priorität haben kann, wenn es ernst wird.
Habeck versucht, den bisherigen energiepolitischen Kurs, den zwar die Merkel-Regierung gesetzt hat, aber die Grünen bis zum 24. Februar 2022 mitgetragen und letztlich auch angetrieben haben, einerseits der Vorgängerregierung anzulasten, andererseits aber mit dem korrigierten, künftigen Kurs irgendwie in Einklang zu bringen. Er behauptet – das wird wohl das neue Narrativ der Bundesregierung –, „im Grunde genommen“ sei „die Unabhängigkeit und Souveränität in der Energiepolitik und eine klimaneutrale Energieproduktion das gleiche“.
Und dann kommt die eigentliche Nachricht:
„Das heißt, kurzfristig kann es sein, dass wir vorsichtshalber, um vorbereitet zu sein für das Schlimmste, Kohlekraftwerke in der Reserve halten müssen, vielleicht sogar laufen lassen müssen. Da muss der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen. Die Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein und das werde ich auch tun. Schon mittelfristig allerdings sind die beiden Dinge nicht gegeneinanderzustellen, sondern das einzige, was niemandem gehört, ist der Wind und ist die Sonne.“
Der Widerspruch in diesen Sätzen scheint Habeck nicht zu stören („mittelfristig“ ist ja auch noch lange hin): Wind und Sonne gehören zwar niemandem, sie sind aber eben gerade nicht zuverlässige, sichere Energielieferanten, sondern „gehören“ den Launen der Natur. So weit geht der neue Realismus dann eben doch nicht.
Was er allerdings weiß: „Für den nächsten Winter werden wir weitere Maßnahmen ergreifen. Ich bringe ein Gesetz auf den Weg, das die Betreiber der Speicher dazu anhält, also zwingt, dass die Speicherstände zum Winterbeginn voll sein müssen. Sie müssen dann einkaufen.“
Die erstaunliche Wendung des Robert Habeck durch den Krieg in Osteuropa, aber auch seine Gewissensnöte als Grüner mit dem Energierealismus, offenbart dann das Ende des Interviews, als der Interviewer die Möglichkeit eines Weiterbetriebs der Atomkraftwerke ansprach – und damit den wohl heiligsten Glaubensgrundsatz der Grünen, der lautet: Atomkraft ist böse.
Vielleicht die wichtigste Nachricht aus diesem erstaunlichen Interview: Ein „das kommt nicht in Frage“ kam Habeck nicht über die Lippen.
Nachtrag Mittwoch, 15:30 Uhr: Das Bundeswirtschaftsministerium kauft für 1,5 Milliarden Euro verflüssigtes Erdgas (LNG) ein, um damit die Erdgasspeicher zu befüllen und so die Versorgungssituation zu entspannen, meldet das Handelsblatt unter Berufung auf das Ministerium. Die ersten Verträge wurden bereits am Dienstag geschlossen. Nach Angaben eines Ministeriumssprechers wird die Trading Hub Europe GmbH (THE) mit der Beschaffung beauftragt. THE ist eine im Oktober 2021 gegründete gemeinsame Gesellschaft mehrerer Gas-Netzgesellschaften, die als „Marktgebietverantwortliche“ den operativen Betrieb der Gasversorgung in Deutschland koordiniert. „Über die genauen Vertragsdetails und das Volumen können wir derzeit keine Auskünfte geben. THE beschafft das LNG diskriminierungsfrei auf Basis verfügbarer Angebote und beginnt umgehend mit der Beschaffung“, zitiert das Handelsblatt THE.