Tichys Einblick
Vom Klima- wieder zum Energieminister

Kohle und Sparen: Habeck inszeniert sich mit starken Worten und versteckter Brutalität

Robert Habeck gibt den Energieversorgungsminister. Das ganze Ausmaß der Versorgungskrise kann aber auch sein Kohlekraftwerk-Revival nicht verdecken. Das geplante Auktionsmodell für den Gasverbrauch könnte für kleine Unternehmen das Aus bedeuten.

Wirtschaftsminister Robert Habeck beim Besuch des Stahlwerks ArcelorMittal in Bremen, 15.06.2022

IMAGO / Chris Emil Janßen

Wenn Robert Habeck mit politischem Reden Gas importieren oder Strom erzeugen könnte, hätte Deutschland sicher ein großes Problem weniger. Habeck ist „Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz“. Aber mit seinen Ankündigungen vom Sonntag und schließlich einem abendlichen Auftritt im Heute-Journal inszenierte er sich eher als Minister für Energiesicherheit. 

Dass Habeck nun diese Rolle einnimmt, entbehrt nicht der Ironie. Denn „Energie“ in der Amtsbezeichnung seines Vorgängers hatte er noch am Tag seiner Amtsübernahme am 8. Dezember 2021 gegen „Klimaschutz“ eingetauscht. Die Namensgebung war Habeck also offensichtlich sehr wichtig als Signal – mangelndes Interesse und Gespür für politische Kommunikation kann man ihm wahrlich nicht vorwerfen. Ausgerechnet der Minister, dem Klimaschutz wichtiger als Energie war, bekundet nun alltäglich seine Sorge um sichere Energie. 

Sein Amtsantritt fand bekanntlich einige Monate vor dem Überfall von Putins Russland statt. Den nicht vorhergesehen zu haben, kann man ihm nicht vorwerfen. Die extremen Preissteigerungen für Energie aller Art waren allerdings schon längst vor Kriegsausbruch im Gange. Die Preiskurve begann schon Mitte 2021 steil nach oben zu drehen. Der Krieg dramatisierte diese Entwicklung nur zusätzlich. Dass eben das, was Habeck und seiner Koalition am wichtigsten war – nämlich Klimaschutz durch die „Energiewende“ – dazu mehr als nur beitrug, sollte ihm eigentlich schon klar gewesen sein.

So eindrucksvoll und sympathisch, vertrauenerweckend Habeck am Sonntagabend dann bei seinem Auftritt im ZDF-Heute-Journal auch erschien, so wenig wirklich handfest preis- oder versorgungsrelevant dürfte das, was er zuvor angekündigt hatte, allerdings sein: „Wir werden den Gasverbrauch im Strombereich und der Industrie senken und die Befüllung der Speicher forcieren.“ Neue Gas-Lieferanten hatte er nicht anzukündigen. Eigentlich selbstverständlich: Am Energie/Gas-Sparen haben Wirtschaft und Privathaushalte angesichts der Preise ohnehin ein Eigeninteresse. Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), applaudierte entsprechend: „Wir müssen den Verbrauch von Gas so stark wie möglich reduzieren, jede Kilowattstunde zählt.“ 

Sparen klingt immer gut. Aber Habecks einziges konkretes Sparvorhaben offenbart seine Brutalität erst auf den zweiten Blick. Da nicht alle Verbraucher einfach den Energieverbrauch reduzieren können, will Habeck ein „Auktionsmodell“ einführen. Klingt marktwirtschaftlich und erhält daher Applaus von IW-Chef Michael Hüther. Aber letztlich heißt das natürlich, dass manche Verbraucher – in der Praxis werden es vor allem kleinere Betriebe ohne große Liquiditätsreserven sein – bei Auktionen ganz leer ausgehen werden (sonst würde eine Auktion schließlich sinnlos). Anders gesagt: Es wird Betriebe geben, denen die Gaskrise das Genick bricht. Markus Jerger, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Mittelständischen Wirtschaft, hat sich schon gegenüber dem RND zu Wort gemeldet: „Angesichts der reduzierten russischen Gaslieferungen macht sich im Mittelstand zunehmend die Sorge breit, bei der Energieversorgung zwischen den warmen Wohnzimmern von Privatverbrauchern und dem Rohstoffbedarf der Großindustrie den Kürzeren zu ziehen.“

Habecks Ankündigung, bei der Stromproduktion würden auch „Kohlekraftwerke stärker zum Einsatz kommen müssen“, erhielt Zustimmung – kein Wunder, vom BDI und vom Stadtwerkeverband. Habeck rief die Betreiber von in Reserve gehaltenen Kohlekraftwerken auf, dass sie „sich schon jetzt darauf einstellen sollten, sodass alles so bald wie möglich einsatzbereit ist“. Ein Gesetz zur Bereithaltung von Kohle-Ersatzkraftwerken soll am 8. Juli im Bundesrat abschließend beraten werden. Parallel werde bereits eine Ministerverordnung vorbereitet, um die Reserve zu aktivieren. Das dürfte wohl der Anfang vom Ende eines vorgezogenen Kohleausstiegs sein. Immerhin.

Im Heute-Journal nennt Habeck das selbst einen Tabubruch. „Ich versuche, mich von den Parteiprogrammen jetzt fernzuhalten und das zu tun, was für die Versorgungssicherheit an Notwendigem jetzt getan werden muss.“ Das klingt fast schon kanzlerhaft über dem Gezänk der Parteien (auch der eigenen) stehend.  

Aber neben dem nun doch verzögerten Kohle- gibt es da ja noch einen weiteren Ausstieg. Habeck ließ bereits die Möglichkeit eines Weiterbetriebs der drei verbliebenen Atomkraftwerke prüfen – Ergebnis negativ. Wie ergebnisoffen diese Prüfung vollzogen wurde, wenn sie ein Minister der Grünen in Auftrag gibt, dessen Partei den Kampf gegen die Atomkraft zu ihren jahrzehntealten Grundüberzeugungen zählt (weit älter als der Klimaschutz), kann man durchaus fragen. ZDF-Moderator Christian Sievers tat das auch, indem er unterstellte, der Weiterbetrieb wäre für die Grünen ein „ultimativer Tabubruch“. Habeck meinte, er wisse nicht, „ob das ein größerer Tabubruch wäre, als der, den ich heute begangen habe, nämlich Kohlekraftwerke wieder ans Netz zu nehmen.“ 

Habeck erklärt jedenfalls die Ablehnung ganz (pseudo?)sachlich damit, dass die Atomkraft „zu spät gekommen wäre“. Die zum Weiterbetrieb notwendigen Brennelemente wären erst Mitte oder Ende 2023 verfügbar gewesen. „Das hätte uns also im Winter nicht geholfen.“ Leider fragte der ZDF-Moderator nicht nach, wie das denn in darauffolgenden Wintern wäre. Schließlich soll und wird ja auch aller Voraussicht nach im kommenden Jahr nicht wieder günstiges Gas aus russischen Pipelines fließen.

Außerdem, so sagte Habeck, indem er die ungestellte Frage sozusagen voraussetzte: „Wenn man sie dauerhaft nutzen wollte, verweise ich auf Frankreich.“ Dort seien derzeit 29 von 56 Atomkraftwerken nicht am Netz wegen der niedrigen Pegelstände der Flüsse. Ein klassisches argumentatives Ausweichmanöver! Auch mit temporär nur 27 Atomkraftwerken am Netz ist Frankreich eben deutlich weniger abhängig von (russischem) Erdgas als Deutschland. In Frankreich muss wohl niemand fürchten, im Winter die Heizungen runterregeln und womöglich seine Corona-Infektion in einer kalten Wohnung auskurieren zu müssen. 

Vom sozialdemokratischen Kanzler kam dann auch gleich zu Habecks und der Grünen Unterstützung oder – sollte man lieber sagen – zur Unterstreichung, dass es eben doch noch Wichtigeres gibt für Regierungspolitiker als die Energiesicherheit, die Aussage: „Der Atomausstieg ist lange beschlossen, die Brennelemente und nötigen Wartungsintervalle der Anlagen sind genau auf den Ausstieg abgestimmt worden.“ Und die SPD-Twitterer vereinfachen noch: „Die Atomkraft helfe jetzt nicht weiter – Punkt.“ Na, wenn der Kanzler und die SPD-Fraktion das sagen …

Wie wenig er tatsächlich mit Tabus zu brechen bereit ist, machte auch Habeck im Heute-Journal deutlich. Er bleibt eben auch angesichts der dramatischen Energiepreissteigerungen und Versorgungsnöte bei der grünen Wende-Suada: „Die richtige Antwort ist, dass wir schnell aussteigen aus der Verbrennung von fossilen Energien und die Erneuerbaren mit großer Geschwindigkeit ausbauen.“ 

Leider fragte der ZDF-Moderator – wie unter Habeck-Interviewern üblich – nicht nach, wie diese Erneuerbaren denn die für die deutsche Industrie überlebensnotwendige Grundlast sichern sollen, wenn es dunkel ist und der Wind nicht weht. Dieser Kern aller Energiewendefragen bleibt eben auf der großen politischen Bühne ein Tabu, und dieses ist wohl das wertvollste politische Kapital von Habeck und den Grünen.  

Ein weiteres kommunikatives Ausweichmanöver vollführte Habeck, als Sievers ihn so interpretierte, „dass wir eine Notfallsituation im Winter nicht mehr komplett vermeiden können“. Habeck behauptete, das sei „alles noch Spekulation“, man habe „von vornherein darauf hingearbeitet, dass wir möglichst gut gewappnet sind“, und unterlegt das mit den Stichworten: „Ausbau der Terminals“ und „LNG-Beschleunigungsgesetz“. Er will also den Eindruck erwecken, als könnte schon in diesem Winter LNG-Gas das russische Pipeline-Gas ersetzen. Was natürlich Unsinn ist, da diese Terminals nicht in wenigen Wochen aus dem Boden gestampft werden können. 

Eine Ahnung davon gab gleichzeitig der Vorstandschef des Essener Energiekonzerns RWE in der Süddeutschen Zeitung. Die Energieengpässe würden „vermutlich drei bis fünf Jahre dauern“, es brauche Zeit, bis neue Kapazitäten geschaffen seien und andere Staaten zusätzliche Energie liefern könnten. 

Habeck verwirrt also: Die Untauglichkeit des Weiterbetriebs von Atomkraftwerken begründet er (wie auch sein Kanzler) damit, dass sie für diesen Winter zu spät kämen, während er noch gar nicht existierende und mit Sicherheit nicht mehr für diesen Winter einsatzfähige LNG-Terminals als akute Maßnahme gegen die Gasknappheit anpreist. „Zu spät“ ist also offenbar durchaus relativ in der Energieversorgungspolitik des Robert Habeck.

Er behauptet auch: „Dass wir für dieses Jahr ganz gute Speicherstände haben, ist ja Resultat von politischen Handlungen.“ Natürlich ist die gesamte prekäre Energie-Lage Resultat politischer Handlungen (nicht zuletzt auch einer von grüner Programmatik schon vor 2021 angetriebenen Bundespolitik), aber die Speicherstände sind eben leider nicht ganz und gar beruhigend, wie eine aktuelle Grafik der Bundesnetzagentur illustriert.

Bundesnetzagentur

Die Bundesnetzagentur schreibt an diesem Montag: „Die aktuellen Füllstände der Speicher in Deutschland liegen bei 57,57%. Sie sind mittlerweile z.T. deutlich höher als im Jahr 2015, 2017, 2018 und 2021.“ Man beachte die Wortwahl: „z.T.“ heißt bekanntlich „zum Teil“ und die Auswahl der Jahre besagt: Zumindest 2016, 2019 und 2020 waren die Füllstände höher. Und die wirkliche Herausforderung für die Auffüllung kommt ja jetzt erst, nachdem Gazprom den Zufluss durch Nord Stream 1 auf etwa 40 Prozent der Maximalleistung gedrosselt hat. Gasimporte aus anderen Ländern konnten die Drosselung der russischen Pipeline nicht ausgleichen.

Bundesnetzagentur

Es sei „eine Art Armdrücken“, sagte Habeck bildhaft, bei dem Putin zunächst den längeren Arm habe. „Aber das heißt nicht, dass wir nicht durch Kraftanstrengung den stärkeren Arm bekommen könnten.“ Das klingt kämpferisch. Wie gesagt, rhetorisch konnte Habeck an diesem Sonntag punkten. Aber dadurch kommt nicht mehr Gas nach Deutschland und der Wind bläst auch nicht stärker und verlässlicher als zuvor. Was der Klimaschutzminister eine „Kraftanstrengung“ nennt, ist nichts als ein Euphemismus dafür, dass die Deutschen tatsächlich ökonomisch schwächer werden. Sie müssen verzichten, wenn nicht auf Strom und Wärme, dann eben auf andere Güter, die sie sich wegen der weiter steigenden Preise dafür nicht mehr leisten können. 

Die neuen innergesellschafltichen Verteilungskämpfe, die diese „Kraftanstrengung“ mit sich bringen dürfte, kündigen sich in den Warnungen des Bundesverbandes der Mittelständischen Wirtschaft vor den Folgen von Energieauktionen schon an. 

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