Zu wissen, was man sagen sollte, und vor allem, was man nicht öffentlich sagen sollte, gehört zu den zentralen Qualifikationen des Politikers. Die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium Siemtje Möller hat wohl gerade in dieser Hinsicht Lehrgeld gezahlt.
Dass die Verteidigungspolitiker der anderen Parteien – ob in den nicht-SPD-Koalitionsparteien FDP und Grüne oder in der CDU macht da keinen Unterschied – nun Empörung simulieren, ist wenig überraschend. Für deutsche Parteipolitiker herrscht ohnehin stets absolute Priorität fürs parteitaktische Hickhack und dazu nimmt man jede Chance wahr. Und die Berliner Journalistenschar spielt das Spiel mit. Das gibt schließlich schöne Stories mit personellem Dramatisierungspotential. Möller jedenfalls, bis zu ihrer Berufung als parlamentarische Staatssekretärin, noch nicht als herausragende Politikerin aufgefallen, steht in höchstem Maße blamiert da.
Hinter diesem deutschen Politikbetriebsnebel werden nun einigermaßen die Konturen dessen klar, was Möller als informelle Absprache und noch später dann als „Beschreibung der aktuellen Praxis in der Allianz“ in die Medienwelt hinausposaunte. Ganz offensichtlich hat Deutschland, beziehungsweise die Bundesregierung, beziehungsweise deren SPD-Teil und vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz selbst, kein wirkliches Interesse daran, möglichst viele und möglichst effiziente schwere Waffen an die bedrängte Ukraine zu liefern. Im Gegenteil. Die Furcht vor russischen Reaktionen mag da ebenso ein Motiv sein, wie der Widerwille innerhalb seiner erstens teilweise radikalpazifistischen und zweitens traditionell Kreml-affinen Partei. Allerdings sieht er sich in seiner Ampel-Koalition und der deutschen Öffentlichkeit deswegen schwerer Kritik ausgesetzt – ausgerechnet von den Grünen, deren Parteispitzen noch vor kurzem ein Wort wie „Kampfpanzer“ nur mit Abscheu über die Lippen brachten. Also versucht Scholz zu lavieren. Und offensichtlich steht der Kanzler mit diesem Ansinnen in EU und Nato nicht alleine da.
Aber natürlich will keine westliche Regierung als unsolidarisch und feige dastehen. Und die Nato als ganze soll natürlich auch nicht so erscheinen. Also legt man eben gerade keine gemeinsame Linie fest, sondern überlässt die Verantwortung für das Maß der Waffenlieferung den Nationalstaaten.
Zu denjenigen, die Näheres wissen, gehören vermutlich Olaf Scholz und Emmanuel Macron. Aber was die beiden in ihren Telefonaten von Wladimir Putin zu hören bekamen, wird vermutlich nicht so bald an die Öffentlichkeit kommen. Vielleicht auch nie.
Und diejenigen, die es wissen, wissen wohl auch, warum nicht alles, worauf man sich im Kreis der Nato verständigt hat, auch schriftlich fixiert wurde. Scholz zeichnet sich, wie man aus der Affäre um den Steuererlass für die Bank Warburg weiß, vor allem durch seine Fähigkeit zum Verschweigen aus, wenn die Wahrheit für ihn unangenehm wäre. Das unterschiedet ihn von seiner unvorsichtigen Parteifreundin Möller.