Tichys Einblick
Ein großer Sieg der Scharia

Karlsruhe fordert Möglichkeit, Kinderehen in Deutschland weiter zu führen

Das unter der Großen Koalition in Kraft getretene Kinderehen-Gesetz soll entscheidend abgeschwächt werden. Das Bundesverfassungsgericht verlangt „eine Möglichkeit, die betroffene Auslandsehe nach Erreichen der Volljährigkeit auch nach deutschem Recht als wirksame Ehe führen zu können“.

Gebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe

IMAGO / Political-Moments

Das im Jahr 2017 von der damaligen Großen Koalition neu gestaltete Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen ist mit dem Grundgesetz unvereinbar, sagt ein am Mittwoch veröffentlichter Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 01. Februar 2023, 1 BvL 7/18). Die damals vom Gesetzgeber grundsätzlich festgelegte Ungültigkeit von im Ausland geschlossenen Ehen mit Partnern unter 16 Jahren wird dadurch entscheidend abgeschwächt. Das jetzige Gesetz verletze, so heißt es in der Pressemitteilung des BVerfG, das „Grundrecht der Ehefreiheit aus Art. 6 Abs. 1 GG“. 

Dem Beschluss zufolge ist der Gesetzgeber zwar grundsätzlich befugt, die inländische Wirksamkeit im Ausland wirksam geschlossener Ehen von einem Mindestalter der Beteiligten abhängig zu machen – allerdings bedarf es dann Regelungen über die Folgen. Wohlgemerkt, es geht um die Folgen der Unwirksamkeit, nicht um die Folgen der Zwangsehe für das kindliche Opfer. Das heißt, dass unter Umständen „einzelfallbezogen“ eben doch auch rechtliche Wirkungen solcher Kinderehen in Deutschland akzeptiert werden. 

Dabei kann es zum Beispiel um Unterhaltsansprüche des minderjährigen Opfers gegen den „Ehemann“ gehen. Laut Pressemitteilung fordert das BVerfG vor allem „eine Möglichkeit, die betroffene Auslandsehe nach Erreichen der Volljährigkeit auch nach deutschem Recht als wirksame Ehe führen zu können“. Durch diese bisherige Unmöglichkeit, die Kinderehe fortzuführen, schränke das Gesetz „die Ehefreiheit unangemessen ein“ und sei „damit nicht im engeren Sinne verhältnismäßig“. Das heißt also, die Richter wollen, dass der „Ehemann“ eines Kindes womöglich einfach warten darf, bis sein Opfer das 16. Lebensjahr vollendet hat, um auch in Deutschland als rechtmäßig verheiratet zu gelten.

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Das Grundrecht auf Ehefreiheit – in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es: „Die Ehe darf nur auf Grund der freien und vollen Willenseinigung der zukünftigen Ehegatten geschlossen werden“ – wird also von den Verfassungsrichtern als Argument gebraucht, um „Ehen“ mit Minderjährigen „einzelfallbezogen“ zu akzeptieren. Damit würde aus einem„Gesetz zur Bekämpfung der Kinderehe“ de facto ein Gesetz zur aufgeschobenen Akzeptanz der Kinderehe – zumindest im „Einzelfall“, der bekanntlich bald auch ein Standard werden kann. 

Im Beschluss ist 14-mal von der „Ehefreiheit“ die Rede, allein in der Pressemitteilung neunmal. Gemeint ist aber ganz offenkundig die Freiheit von Männern, Kinder zu „heiraten“ und damit in Deutschland „einzelfallbezogen“ durchzukommen. Zwar wird auch ausdrücklich die Definition der Ehe als „eine im Grundsatz auf Dauer angelegte, auf freiem Entschluss beruhende, gleichberechtigte und autonom ausgestaltete Lebensgemeinschaft“ verwendet. Aber dass unter-16-jährige Kinder einen solchen Entschluss sicher auch „einzelfallbezogen“ nicht frei treffen können und schon gar nicht unter Scharia-Bedingungen, wird zumindest unter den in der Pressemitteilung genannten „wesentlichen Erwägungen“ des Senats nicht erwähnt.  

Bezeichnend ist auch die Sprache in der Pressemitteilung des Gerichts, wenn es über das zugrunde liegende familiengerichtliche Ausgangsverfahren heißt, dieses betreffe „eine im Jahr 2015 vor einem Scharia-Gericht in Syrien nach dem dortigen Recht geschlossene Ehe zwischen einem im Januar 1994 geborenen Mann und einer im Januar 2001 geborenen Frau“. Sowohl der Begriff Ehe als auch der Begriff Frau wären hier natürlich eigentlich unangebracht, hätten eigentlich zumindest in distanzierende Anführungszeichen gesetzt werden müssen.

Schließlich handelt es sich bei ihr um ein Mädchen, ein Kind. Dieser Widerspruch wird deutlich, wenn es heißt: „Das örtlich zuständige Jugendamt nahm die junge Frau in Obhut und brachte sie in einer Jugendhilfeeinrichtung für weibliche minderjährige unbegleitete Flüchtlinge unter. Zudem regte es die Bestellung eines Vormunds für sie an. Das Familiengericht stellte das Ruhen der elterlichen Sorge für die junge Frau fest, ordnete Vormundschaft an und bestellte das Jugendamt zum Amtsvormund.“ Eine 14- oder 15-Jährige wird also vom Gericht zur „jungen Frau“ erklärt. Und dann heißt es weiter: „Daraufhin wandte sich der Ehemann an das Familiengericht und beantragte die Überprüfung der Inobhutnahme sowie unter Hinweis auf die nach syrischem Recht wirksame Ehe die Rückführung seiner Frau zu ihm.“

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Der Bundesgerichtshof hatte das entsprechende Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage gestellt, „ob es mit Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB eine unter Beteiligung einer nach ausländischem Recht ehemündigen minderjährigen Person geschlossene Ehe nach deutschem Recht − vorbehaltlich der Ausnahmen in der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB − ohne einzelfallbezogene Prüfung als Nichtehe qualifiziert, wenn die minderjährige Person im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.“

Der Begriff „Zwangsehe“ kommt dagegen in der Pressemitteilung überhaupt nicht vor. Im Beschluss selbst wird er nur zweimal erwähnt und als „sogenannte Zwangsehe“ relativiert. Der Täter jedoch wird durchgängig und ohne Einschränkung als Ehemann bezeichnet.

Wohlgemerkt: Die genannten Grundgesetzartikel betreffen die Grund- und Menschenrechte. Es ging also um die Frage, ob das pauschale deutsche Kinderehenverbot die Grundrechte verletzt. Und die obersten deutschen Verfassungsrichter antworten letztlich mit Ja. 

Dieser Beschluss des Ersten Senats unter dem Vorsitz des Präsidenten Stephan Harbarth ist also ein Sieg der archaischen kinder- und frauenverachtenden Rechtspraxis der islamischen Scharia ausgerechnet mit grundrechtlichen Argumenten. In den entsprechenden Milieus in Deutschland kann er nur als Ermunterung aufgefasst werden, diese Praxis fortzuführen. Unter Frauen- und Kinderrechtsbewegten müsste dieser Beschluss eigentlich zu einem Aufschrei der Empörung führen. 

Den Gesetzgeber, also den Bundestag fordern die Verfassungsrichter auf, bis spätestens zum 30. Juni 2024 eine „in jeder Hinsicht verfassungsgemäße Regelung“ zu schaffen. Man kann in diesem Fall dem Gesetzgeber nur die Weisheit oder Trägheit wünschen, diesen BVerfG-Beschluss so zu handhaben wie er  – leider – mehrere andere, sinnvolle familienrechtliche Beschlüsse aus Karlsruhe seit Jahrzehnten behandelt: nämlich ihn einfach zu ignorieren. 

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