Am Tag nach der „desaströsen Niederlage“ (O-Ton Christian Lindner) der FDP liefert eine Umfrage der Unternehmensberatung McKinsey womöglich eine Erklärung dafür. Sie offenbart nämlich ein Thema allerhöchster Brisanz, mit dem die FDP eigentlich den Wahlkampf hätte dominieren können.
Demnach machen die rapide steigenden Preise in fast allen Lebensbereichen den Deutschen nämlich mehr Sorgen als alles andere (40 Prozent von 1.000 Befragten), noch vor dem Krieg in der Ukraine (34) und der Coronapandemie (8). Fast jeder Dritte Befragte fürchtet, seinen Lebensstil einschränken zu müssen. Als Kämpferin gegen die Inflation hätte sich die FDP endlich auch einmal als Partei für weniger gut Verdienende präsentieren können, die unter dem Preisanstieg besonders leiden. Aber auch die eigentliche Kernklientel der Liberalen, nämlich Selbständige, spüren die Auswirkungen unmittelbar. Vielleicht kein Zufall, dass die nordrhein-westfälische FDP gerade unter diesen laut Analyse von Infratest-Dimap eine besonders schmerzhafte Wählerabwanderung verkraften muss. Während 2017 noch rund 21 Prozent von ihnen in NRW Lindners Partei wählten, waren es am Sonntag nur noch 11 Prozent.
Damit hätte die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen sein können, was Christian Lindner in einem bizarr-wirklichkeitsfernen Tweet am Sonntag behauptete: eine „Richtungswahl“.
Hätte. Wenn nicht ausgerechnet jener Christian Lindner, der 2017 die FDP aus einem nicht nur nordrhein-westfälischen, sondern gesamtdeutschen Tal der Tränen zuerst in den Düsseldorfer Landtag und kurz darauf auch wieder in den Bundestag geführt und dann mit einem heroischen „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“ so tat, als sei er ein überzeugter Ordoliberaler, vier Jahre später dann doch der Versuchung erlag, noch falscher zu regieren. Natürlich kann ein Bundesfinanzminister, der als erste größere Amtshandlung einen Taschenspielertrick anwendet, um nur ja nicht das zu tun, was er jahrelang versprochen hatte, nämlich auf Staatsschulden zu verzichten, sich und seine Partei nun nicht mehr glaubwürdig als Garant einer Stabilitäts- und Antiinflationspolitik verkaufen. Dass die Umwidmung von Corona-Schulden zu Klima-Schulden außerdem noch eine grundsätzliche Unterwerfungsgeste vor den Grünen war, kommt hinzu.
Bei der Landtagswahl 2017 war Lindner der eigentliche Sieger. Dank einer starken, scheinbar von grundlegenden liberalen Überzeugungen getragenen FDP konnte im größten Bundesland wieder eine bürgerliche Koalition regieren. Keine fünf Jahre später ist das alles dahin. Ganz offensichtlich war der Verlust an liberalem Rückgrat in der Bundesregierung auch für die Wähler in NRW so dominant, dass die landespolitische Performance von Stamp und Co in Düsseldorf dagegen verblasste – zumal die FDP-Bundespolitiker Lindner und Strack-Zimmermann selbst aus NRW kommen.
Die FDP hat es nach noch nicht einmal einem Jahr in der Bundesregierung erneut – nach 2009-13 – geschafft, die großen Erwartungen ihrer Wähler in eine bürgerlich-liberale Politik in kurzer Zeit zu enttäuschen. Lindner, Buschmann, Wissing und Strack-Zimmermann sorgten in Berlin für mehr Staatsverschuldung und linke Gesellschaftspolitik, ermahnten zum Stromsparen durch Verzicht auf Twittern ihrer Essensfotos und freuten sich auf die Freigabe von Cannabis – während die heraufziehende Inflation die Gefahren linker, staatsausgabenfreudiger Politik so konkret und schmerzhaft offenbart wie seit Jahrzehnten nicht.
Die Chance wird vielleicht nicht wieder kommen, jedenfalls nicht für Lindner.