Für jeden Überschätzten kommt wohl irgendwann der Moment der kollektiven Enttäuschung. Manchmal braucht das Publikum nur etwas länger, um es zu merken. Der Spiegel etwa erklärte Robert Habeck noch in der vergangenen Woche mit einem jesushaften Titelbild zur „Leidfigur“, die „die Deutschen in der Krise für sich einnimmt“. Sein Ton sei schließlich „menschlich, ambivalent, emotional“ und auch noch „frisch, offen, ehrlich“, heißt es da lobhudelnd.
Am Schluss seines langen Fan-Artikels schreibt Autor Dirk Kurbjuweit, dass „manche“ in der Ampel-Koalition hofften, „dass er scheitert, dass das freie Reden, das offene Erzählen zu dem einen falschen Satz führt, der in der Politik eine Karriere abrupt beenden kann“. Auf die Idee, dass Habeck nicht an seinen Worten, sondern an seinen Taten scheitert, kommt der Spiegel-Autor nicht. Obwohl zum Zeitpunkt des Erscheinens Habecks „Gasumlage“ schon im Spiel war.
Nun kommt auch noch heraus: Habeck ließ sich von potenziellen Profiteuren der Umlage übers Ohr hauen. Laut Recherchen des Business Insider, der sich auf mehrere Insider aus Regierungskreisen beruft, kam die Idee zur Gasumlage auf Drängen der Ratingagenturen zustande, die die Kreditwürdigkeit von Uniper herabstufen wollten. Man fürchtete angeblich ein „Lehman-Brothers-Szenario“: „Dutzenden Stadtwerken, die Uniper beliefert, hätte ebenfalls eine Pleite gedroht. Eine gefährliche Kettenreaktion mit massiven Folgen für die deutsche Wirtschaft.“ Die Details zur Gasumlage seien dann unter hohem Zeitdruck mit den Chefs zweier Energiekonzerne, Vertretern von Uniper und Beamten des Wirtschafts- und Finanzministeriums erarbeitet worden.
Die Konzerne wollten demzufolge eine brancheninterne Lösung vermeiden, bei der sie selbst bei Millionen Kunden Preisanpassungen hätten durchführen müssen. Das hätte ihnen sehr hohe Kosten verursacht und eine ungleiche Behandlung der Kunden zur Folge gehabt. Von den Ratingagenturen und aus dem Umfeld von Uniper sei daraufhin die Idee zur Gasumlage als sogenannte „Backstop-Lösung“ gekommen.
Offenbar sind wohl den Ministerialbeamten in diesen Verhandlungen die Nerven durchgegangen – oder sie vertrauten der Kompetenz der finanziell interessierten Konzerne mehr als der eigenen. Und Habeck griff nicht ein. „Dass die Umlage jedoch von gut laufenden Unternehmen ausgenutzt werden würde, sah man damals in der Hektik angeblich nicht, räumen hochrangige Beteiligte an der Rettungsaktion heute unumwunden ein: ‚Das wurde übersehen‘.“
Eine akute Anstrengung von Fortum beziehungsweise der finnischen Regierung zur Rettung ihrer Tochter Uniper gibt es jedenfalls offenbar nicht. Der Hilferuf von Uniper an die Bundesregierung erging am 9. Juli 2022. Doch der Rettungsbeitrag von Fortum, der in der Antwort auf die TE-Anfrage genannt wird, ist letztlich nur eine Bestätigung für ein Darlehen und eine Garantie, die Fortum schon vor der Krise an seine Tochter Uniper gab: „Fortum hat Uniper im Dezember ein Gesellschafterdarlehen von EUR 4 Mrd. sowie eine Garantie von zusätzlichen EUR 4 Mrd. gewährt. Beides bleibt bis auf Weiteres im Unternehmen.“
Die Aktionäre, inklusive Fortum/Finnland werden also nicht zusätzlich belastet, um Uniper aus Existenznot zu retten – im Gegensatz zu den deutschen Gas-Verbrauchern. Zur Rolle von Finnland heißt es bei Business Insider nur: „Einen Einstieg Deutschlands bei Uniper sahen auch die finnische Regierung und der finnische Mehrheitseigentümer Fortum kritisch. Denn beide sorgten sich um ihre bisherigen Milliardeninvestitionen.“ Von der vielbeschworenen europäischen Solidarität auch in der Energiekrise war da offenbar nicht viel zu verspüren.
Politiker von SPD und FDP haben nun bis zur Kabinettsklausur am Dienstag eine entsprechende Überarbeitung gefordert. „Handwerkliche Fehler“ sollten bis dahin behoben sein, so FDP-Fraktionschef Christian Dürr zur Bild. Mehr Demütigung ist unter Politiker-Kollegen kaum möglich. Genüsslich moniert SPD-Chef Lars Klingbeil „unanständige Trittbrettfahrerei“ und fordert die Korrektur einer „Fehlentwicklung“.
Habeck, der in den ersten Monaten der Ampel wegen Scholz’ schwacher Außenwirkung und doppelter Unglaubwürdigkeit (keine Waffen für die Ukraine und keine Antworten auf die Fragen des Cum-Ex-Untersuchungsausschusses) als eine Art Kanzler der Herzen von journalistischen Gnaden erschien, steht nun im besten Fall als Dilettant da, der dem Regierungshandwerk im Ernstfall nicht gewachsen ist. Die Koalitionspartner von SPD und FDP haben jedenfalls schneller als die Habeck-Fans im Spiegel und anderen Redaktionen erkannt, wie sich durch das Gasumlagen-Desaster der politische Wind nun gedreht hat. Er bläst dem Wirtschaftsminister ins Gesicht.
Schadenfreude bei Habecks Neidern innerhalb der Koalitionsparteien ist allerdings völlig fehl am Platz. Wenn ausgerechnet der wohl wichtigste und beliebteste Minister als handwerklich überfordert und inkompetent dasteht, ist das nicht nur für ihn selbst entlarvend, sondern für die gesamte Regierung.