Tichys Einblick
Politiker, Behörden und Ulrich Montgomery

Pullover gegen Gas-Krise: Ratschläge von allen Seiten, aber keine politischen Antworten 

Ob Bundesregierung, EU-Kommission, Bundesnetzagentur oder Arbeitgeberpräsident. Die Verantwortlichen haben den Bürgern angesichts der angekündigten Gas-Krise nichts als naseweise Ratschläge für kalte Tage und horrende Rechnungen zu bieten. Auch Ärzte-Lobbyist Ulrich Montgomery will mitreden.

IMAGO / YAY Images

Kein Tag vergeht mehr in diesem Sommer ohne neue Schreckensnachrichten und Warnungen vor dem nächsten Winter. Über politische Gegenmaßnahmen hört man allerdings seltener. Stattdessen haben sich nicht nur Politiker, sondern auch Behördenleiter, Wirtschaftslenker und andere öffentlich Angehörte einen dozierenden Ton zugelegt, der feststellt, was man selbst schon weiß, und naseweise Ratschläge zur Selbsthilfe erteilt.

Heute liegt wohl Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger an der Spitze der Aufmerksamkeitshitliste. „Wir“ stünden, so sagte er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung „vor der größten Krise, die das Land je hatte“. Und: „Das bleibt nicht auf die Industrie beschränkt, sondern trifft alle. Das ist eine völlig neue Situation. Wir müssen uns ehrlich machen und sagen: Wir werden den Wohlstand, den wir jahrelang hatten, erst mal verlieren.“ 

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Flankiert wird diese triste Ansage von der konkreten Ankündigung des mittlerweile zu einiger Prominenz gelangten Chefs der Bundesnetzagentur Klaus Müller: „Bei denen, die jetzt ihre Heizkostenabrechnung bekommen, verdoppeln sich die Abschläge bereits – und da sind die Folgen des Ukraine-Krieges noch gar nicht berücksichtigt“, sagte Müller den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland.  „Ab 2023 müssen sich Gaskunden auf eine Verdreifachung der Abschläge einstellen, mindestens.“ Es sei „absolut realistisch“, dass Kunden, die derzeit 1500 Euro im Jahr für Gas bezahlen, künftig 4500 Euro oder mehr zahlen müssten. 

Müller hat sich auch schnell an den Schweinchen-Schlau-Ratgeber-Tonfall angepasst, den Politiker sich gegenüber Bürgern zugelegt haben. Neben dem Tipp, die Heizung sparsam einstellen zu lassen rät er: „Erhöht freiwillig euren Abschlag oder legt jeden Monat etwas Geld zurück, etwa auf ein Sonderkonto.“

Während Müller aber noch davon ausgeht, dass die europäische Rechtslage gilt, wonach Privathaushalte vorrangig mit Gas versorgt werden, zeichnet sich ab, dass das nicht zu halten sein wird. Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte schon deutlich gemacht, dass „eine dauerhafte oder langfristige Unterbrechung von industrieller Produktion … massive Folgen“ für die Versorgungssituation hätte. In einem heute bekannt gewordenen Entwurf eines Notfallplans der Europäischen Kommission, der am 20. Juli vorgestellt werden soll, heißt es nun: „In Notfällen können die Mitgliedstaaten beschließen, der Gasversorgung bestimmter kritischer Gaskraftwerke Vorrang vor der Gasversorgung bestimmter Kategorien geschützter Kunden einzuräumen, sofern die Sicherheit der Elektrizitätsversorgung gefährdet sein könnte.“ 

Koordinierter politischer Widerstand gegen die Nichtmehrpriorisierung der Privathaushalte scheint kaum in Aussicht zu stehen. Jetzt sagt auch der CDU-Oppositionspolitiker Roderich Kiesewetter: „Man kann sich wärmer anziehen. Wichtig ist, dass die Wirtschaft am Laufen bleibt.

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Einen ähnlich schlauen Ratschlag wie Behörden-Leiter Müller und CDU-Politiker Kiesewetter konnte sich auch der in der Corona-Pandemie für seine Hardliner-Haltung notorische Bundesärztekammer-Präsident Ulrich Montgomery nicht verkneifen. „Dann bringt man sich halt den Pullover von zuhause mit“, sagte er am Donnerstag der Mediengruppe Bayern. Für die Gesundheit der Beschäftigten bedeute die Temperatursenkung „gar nichts“. Wirklich? War da nicht mal was mit einer Krankheit namens Covid, die sich bei kühleren Temperaturen erfahrungsgemäß deutlich schneller ausbreitet? 

Und erinnert sich noch jemand daran, wie einst ein gewisser Berliner Finanzsenator namens Thilo Sarrazin gescholten wurde, als er 2008 einen Pullover gegen (deutlich weniger steil) steigende Heizkosten empfahl? Was damals als „Pulli-Provokation“ (Spiegel) verurteilt wurde, ist heute also der politischen Weisheit letzter Schluss.

Mehr als der Spitzenbeamte Müller, der Spitzenpolitiker Kiesewetter und der Spitzenlobbyist Montgomery mit ihrer Spar- und Pullover-Empfehlung hat letztlich auch die Europäische Kommission mit ihrem Notfallplan, dessen Entwurf jetzt durchsickerte, nicht zu bieten. Der Plan besteht letztlich vor allem aus Spar-Appellen. Öffentliche Gebäude nur auf 19 Grad heizen! Was für eine geniale Idee! In dem Entwurf steht laut Presseberichten auch: „Je höher die Reduzierung durch freiwillige Maßnahmen ist, desto geringer ist die Notwendigkeit obligatorischer Einschränkungen für die Industrie.“ Ach! 

Doch, wie in jeder Krise, wird es auch in dieser Gewinner geben. Denn, wie bei regierungsseitigen Simulieren von politischem Handeln üblich, soll es nach dem Willen der Brüsseler Kommission eine breit angelegte öffentliche Kampagne zum Gas-Sparen geben. Die Chance, die eigenen Weisheiten allerorten unters Volk zu bringen, lässt sich kein Regierender entgehen. So verdienen dann wenigstens die PR-Agenturen als Auftragnehmer der Brüsseler Bürokraten an der Gas-Not. 

 

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