Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, ist seinem Ruf als undiplomatischster Diplomat auch an Ostern treu geblieben. Erneut ist es ein SPD-Politiker, und nach Frank-Walter Steinmeier der zweite Ex-Außenminister, über den er seinen Unmut ganz unverdünnt twitter-öffentlich bekannt macht: Sigmar Gabriel, der zwar kein politisches Amt jenseits des Vorsitzes der „Atlantikbrücke“ mehr innehat, aber publizistisch hochaktiv bleibt, hatte mit einem Gastbeitrag im Spiegel den Anlass dazu geliefert.
Sigmar Gabriel bringt sich mit seinen Vorwürfen gegen die Ukraine selbst in die Kritik
Ex-Außenminister Sigmar Gabriel rechtfertigt die sozialdemokratische Russlandpolitik – mit Kritik an der ukrainischen Regierung. Deren Botschafter Andrij Melnyk poltert gewohnt undiplomatisch zurück. Gabriel kaschiert Entscheidendes – auch über sich selbst.
In diesem hatte er nach einer Einleitung mit Verständnis für den Zorn der Ukrainer und einem Eingeständnis, den „Wandel Russlands“ zu einer revisionistischen, gewaltbereiten Macht „nicht wahrgenommen und die Befürchtungen und Warnungen unserer osteuropäischen Nachbarn nicht ernst genommen zu haben“, der ukrainischen Regierung die Verbreitung von „Verschwörungstheorien über die Politik unseres Landes und seine Verantwortungsträger“ vorgeworfen. „Dazu zählt die auch von deutschen Medien wiedergegebene Behauptung, Steinmeier, seine Nachfolger im Amt und die Bundeskanzlerin seien quasi voraussetzungslos für den Abbau der nach der russischen Annexion der Krim verhängten Sanktion eingetreten.“ Er hätte durchaus auch erwähnen können, dass er selbst Steinmeiers Nachfolger war und 2018 im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz für die Erleichterung der Sanktionen plädierte.
Und Gabriel greift – ähnlich undiplomatisch wie Melnyk in seiner Kommunikation – diesen persönlich an, nämlich dessen Behauptung, „der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier habe in seiner aktiven Zeit als Politiker »seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft«, die bis in die heutige Regierung hineinwirkten“. Dieser Vergleich insinuiere, „dass der frühere Kanzleramts- und Außenminister die Interessenvertretung Russlands in Deutschland mitorganisiert habe. Das ist wahrheitswidrig und bösartig. Wahr dagegen ist, dass der Außenminister Frank-Walter Steinmeier gemeinsam mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel mehr als alle anderen in Europa dafür getan hat, die Ukraine zu unterstützen“.
Was Gabriel hier versucht, ist eine Art nachträgliche Ehrenrettung seines Parteifreundes und früheren Kabinettskollegen Frank-Walter Steinmeier – und natürlich auch seiner selbst und der gesamten damaligen Bundesregierung einschließlich Angela Merkel, die 2014 das Minsker Abkommen aushandelten. Es sollte den Krieg im Donbas mittels einer Teilautonomie beenden. Gabriel gibt auch der damaligen ukrainischen Regierung eine Mitschuld an der Nichteinhaltung: „Der damalige ukrainische Präsident war nur unter dem Druck einer unmittelbar bevorstehenden schweren militärischen Niederlage zur Unterschrift bereit. Die politischen Vertreter der Ukraine haben deshalb nie so etwas wie »Ownership« für die Minsker Abkommen entwickelt, was wiederum die russische Führung ihrerseits nutzte, um sich ihrer Verantwortung für die Umsetzung der Abkommen zu entziehen.“
Gabriel hat hier, wie der frühere Grünen-Vordenker Ralf Fücks sehr treffend kritisiert, eine „Rechtfertigungsschrift“ verfasst, die „dem gleichen Muster wie die Selbstkritik des Bundespräsidenten“ folgt: „Unsere Ostpolitik war richtig. Leider hat Putin sich nicht darauf eingelassen. Als spezielle Gemeinheit fügt er hinzu: Die Ukraine auch nicht.“
Was Gabriel hier betreibt, ist aber auch ein Ablenkungsmanöver. Denn die ukrainische Kritik an der sozialdemokratischen und Merkelschen Außenpolitik zielt ja längst nicht nur auf die Verhandlungen von 2014, sondern auf die lange Vorgeschichte der russland- und auch konkret putinfreundlichen Politik, die besonders von SPD-Politikern seit den 1990er Jahren in einer Art verqueren Schein-Kontinuität zur Brandtschen Ostpolitik der 1970er Jahre gepflegt wurde.
Gabriel meint, dass es einen „eigentlichen Grund für die gezielten Angriffe auf den deutschen Bundespräsidenten“ gebe: „Es ist kein Zufall, dass die massive Kritik des ukrainischen Präsidenten nicht nur ihn, sondern auch die frühere Kanzlerin Angela Merkel, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und auch seinen Amtsvorgänger Petro Poroschenko betrifft. Alle stehen für die Minsker Verträge, die als Weg zur friedlichen Lösung des Konflikts in der Ostukraine eine Art regionale Teilautonomie unter Wahrung der Staatszugehörigkeit zur Ukraine vorsahen. Exakt diesen Weg will der heutige ukrainische Präsident ausschließen, denn schließlich hat er seine Wahl auch der massiven Kritik an seinem Amtsvorgänger wegen dessen Zustimmung zu den Minsker Abkommen zu verdanken.“
Das ist ein schwerer Vorwurf. Gabriel unterstellt damit letztlich der ukrainischen Regierung, einer „friedlichen Lösung“ damals wie heute im Wege zu stehen – aus innen- und machtpolitischen Erwägungen. O-Ton Gabriel: „Was hierzulande also als außenpolitischer Dissens um die frühere Russlandpolitik Deutschlands wahrgenommen wird, ist in Wahrheit mindestens ein Teil des innenpolitischen Meinungskampfes in der Ukraine, wenn nicht sogar das Hauptmotiv. Die einfache Formel lautet: Wer mit Russland verhandelt hat, ist schuld an diesem Krieg.“
Was Gabriel verdreht: Die Ukrainer werfen seiner früheren Regierung nicht vor, dass diese mit Russland verhandelt hat. Selenskyj selbst hat schließlich auch mit Moskau verhandelt und tut dies sogar weiterhin, sondern die enge vor allem ökonomische Kooperation, für die in Steinmeiers erster Amtszeit 2007 im Auswärtigen Amt die Parole „Annäherung durch Verflechtung“ geprägt wurde.
Seit seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik hat Gabriel zahlreiche Funktionen in Stiftungen, Kuratorien, Aufsichtsräten Beratungsunternehmen und anderen Institutionen übernommen – was ein noch rüstiger mitredefreudiger Ex-Spitzenpolitiker eben so macht, um sich nicht zu langweilen. Dazu gehört als wohl renommierteste Funktion die Präsidentschaft der Atlantikbrücke. Sie gilt als zentrale Institution der politischen Vernetzung zwischen Washington und Berlin. Dort dürfte Gabriel mit seinem Spiegel-Beitrag nicht unbedingt für einhellige Begeisterung gesorgt haben.
Weniger Renommee dürfte Gabriels Minderheitsbeteiligung an der Beratungsfirma VIB International Strategy Group mit sich bringen, die im November 2018 bekannt wurde. Deren Teilhaber Heino Wiese war SPD-Bundestagsabgeordneter und managte als niedersächsischer Landesgeschäftsführer der SPD Wahlkämpfe für Gerhard Schröder und Sigmar Gabriel – und er war Honorarkonsul der Russischen Föderation in Hannover. Über ihn heißt es in einem Zeitungsartikel: „Der Miteigentümer Heino Wiese ist in Berlin mit seiner Firma Wiese Consult schon lange im Beratungsgeschäft tätig und bezeichnete sich bereits vor Jahren als „Lobbyist für Russland“. Zu seinen Kunden zählte der Stahlkonzern Severstal des Oligarchen Alexej Mordaschow. Wiese, den eine enge Freundschaft mit Altkanzler Schröder verbindet, ist seit 2016 Honorarkonsul Russlands in Hannover. Seine Beratungsfirma und das neue Unternehmen der Sozialdemokraten aus Österreich und Deutschland haben in Berlin dieselbe Adresse.“
An der Stelle seines Spiegel-Beitrags, wo Gabriel die Unterstellung als „wahrheitswidrig und bösartig“ bezeichnet, dass Steinmeier die Interessenvertretung Russlands in Deutschland mitorganisiert, hätte ihm durchaus der Name Wiese einfallen können. Dieser sein früherer Landesgeschäftsführer hat sich schließlich offen zur Vertretung russischer Interessen bekannt. Gabriel selbst hielt dies nicht ab, mit ihm gemeinsame Geschäfte zu machen. Wiese ist
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